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07.12.2006 17:23

Aleida Assmann: Geschichte im Familiengedächtnis. Private Zugänge zu historischen Ereignissen

Dr. Armin Flender Pressestelle
Kulturwissenschaftliches Institut

    Aleida Assmann, Rednerin der Krupp-Vorlesungen zu Politik und Geschichte 2006/2007, spricht in ihrem zweiten Vortrag am 14. Dezember 2006 um 18.00 Uhr im Ruhrlandmuseum in Essen über die Verschränkung von Individuum, Familiengeschichte und nationaler Geschichte.

    Die existentielle Erfahrung der 68er Generation bestand darin, dass man entdeckte, 'von schlechten Eltern' zu sein. Die praktischen Antworten auf diese Erfahrungen waren unterschiedlich, aber alle beruhten auf dem radikalen Bruch der genealogischen Kette, in die man durch Geburt eingschlossen war. Von diesem Bruch zeugt eine westdeutsche Literaturgattung, die in den 70er und 80er Jahren Konjunktur hatte: die 'Väterliteratur'. An ihre Stelle traten in 1990er Jahren die Generationen- bzw. Familienromane, die sich seit der Millenniumswende mit unverminderter Produktivität fortsetzen. Gemeinsames Thema beider Gattungen ist die Fokussierung auf ein fiktives oder autobiographisches Ich, das sich seiner Identität gegenüber der eigenen Familie und Geschichte vergewissert. Während die Väterliteratur im Zeichen des Bruchs steht - ihr thematisches Zentrum ist die Konfrontation, die Auseinandersetzung, die Abrechnung mit dem Vater -, steht der Familienroman im Zeichen der Kontinuität - hier geht es um die Integration des eigenen Ich in einen längeren Generationenzusammenhang. Diese eher auf Rückblick und z.T. auf Verstehenwollen ausgerichtete Haltung ist nicht unbedingt mit Verzeihen gleichzusetzen, sie kann ebenso der Ablösung dienen. Grundlage ist dabei jedoch die existentielle Verschränkung von Individuum, Familiengeschichte und nationaler Geschichte als ein wichtiges Strukturmerkmal des Familienromans. An einigen Beispielen soll gezeigt werden, welche besonderen Zugänge zur deutschen Geschichte durch die Familiengeschichte eröffnet werden.

    Aleida Assmann, an der Universität Konstanz lehrende Kultur- und Literaturwissenschaftlerin, geht in vier öffentlichen Vorträgen über Geschichte im Gedächtnis der Frage nach, wie sich die gegenwärtige Geschichtskultur entwickelt und präsentiert. Neben Fachhistorikern beschäftigen sich zunehmend unterschiedliche Akteure mit der Rekonstruktion, Aufarbeitung und Präsentation von Vergangenheit. So eröffnet sich im Familiengedächtnis ein privater Zugang zu historischen Ereignissen, während in Museen und Medien Geschichte öffentlich inszeniert wird. Diesem Trend zur Dezentralisierung der Erinnerung schließt sich letztendlich die Frage nach der Gegenwart der deutschen Geschichte im zeitgenössischen Gedächtnis an.
    Das Kulturwissenschaftliche Institut in Essen veranstaltet in diesem Winter zum sechsten Mal die Krupp-Vorlesungen zu Politik und Geschichte. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe werden bedeutende Wissenschaftler und Persönlichkeiten der Zeitgeschichte jeweils für ein Semester an das Institut eingeladen, um in öffentlichen Vorträgen einen Überblick über zentrale Themen ihres Lebenswerks zu geben. In den letzten Jahren waren Neville Alexander, Christian Meier, Ralf Dahrendorf, Jutta Limbach und Adolf Muschg in Essen zu Gast. Ihre Vorträge stießen auf nachhaltiges Interesse in Presse und Öffentlichkeit. Die Krupp-Vorlesungen werden seit 1999 von der Stiftung gefördert.

    Die diesjährigen Krupp-Vorlesungen zu Politik und Geschichte wurden am 8. November durch Prof. Dr. Aleida Assmann, Dr. Gerhard Cromme, Kuratoriumsmitglied der Krupp-Stiftung, sowie Prof. Dr. Jörn Rüsen, Präsident des Kulturwissenschaftlichen Instituts, in der Villa Hügel vor geladenen Gästen feierlich eröffnet.

    Aleida Assmann wurde 1947 in Bethel bei Bielefeld geboren. Nach dem Studium der Anglistik und Ägyptologie in Tübingen und Heidelberg absolvierte sie längere Grabungsaufenthalte in Oberägypten. Sie promovierte 1977 in Anglistik in Heidelberg über Die Legitimität der Fiktion. 1992 schloss sie ihre Habilitation an der Neuphilologischen Fakultät der Universität Heidelberg ab. Seit 1993 ist Aleida Assmann Lehrstuhlinhaberin für Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz. Neben ihrer Lehrtätigkeit hat sie Gastprofessuren in Kalifornien, Texas, New Jersey und Connecticut sowie in Wien wahrgenommen. Aleida Assmann ist Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Akademien. Sie setzt sich in ihren Arbeiten u.a. mit der Archäologie der literarischen Kommunikation auseinander. Seit den 1990er Jahren ist ihr Forschungsschwerpunkt die Kulturanthropologie, wobei sie sich verstärkt den Themen "Kulturelles Gedächtnis" und "Erinnerung" widmet. Zu ihren Veröffentlichungen zählen: Arbeit am nationalen Gedächtnis. Eine kurze Geschichte der deutschen Bildungsidee (1993), (zus. mit Ute Frevert:) Geschichtsvergessenheit - Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945 (1999), Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses (1999, 3. Aufl. 2006), Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen (2006), Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik (2006).

    Aleida Assmann: Geschichte im Gedächtnis
    Der öffentliche Teil der Krupp-Vorlesungen hat am Donnerstag, 23. November 2006 um 18.00 Uhr im Aalto-Theater in Essen begonnen.

    Verkörperte Geschichte. Erfahrungsgedächtnis und Generationszugehörigkeit
    Donnerstag, 23. November 2006, 18:00 Uhr
    Ort: Aalto-Theater (Foyer), Opernplatz 10, 45128 Essen

    Geschichte im Familiengedächtnis. Private Zugänge zu historischen Ereignissen
    Donnerstag, 14. Dezember 2006, 18:00 Uhr
    Ort: Ruhrlandmuseum, Goethestraße 41, 45128 Essen

    Geschichte und materielle Kultur. Präsenz und Absenz der Vergangenheit im öffentlichen Raum
    Donnerstag, 25. Januar 2007, 18:00 Uhr
    Ort: Ruhrlandmuseum, Goethestraße 41, 45128 Essen

    Inszenierte Geschichte: Medien und Museen
    Donnerstag, 15. Februar 2007, 18:00 Uhr
    Ort: Ruhrlandmuseum, Goethestraße 41, 45128 Essen

    Weitere Informationen erhalten Sie im Internet unter www.kwi-nrw.de oder unter den Telefonnummern 0201/7204-213 oder 0201/7204-260


    Weitere Informationen:

    http://www.kwi-nrw.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Sprache / Literatur
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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