idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
04.01.2007 12:08

60 Jahre Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (von Univ.-Prof. Dr. Stefan Fisch)

Dr. Klauspeter Strohm Referat für Information und Kommunikation
Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

    Eine der unbekanntesten Hochschulen der Republik, mal als Fachhochschule, mal als Kochschule bezeichnet - das ist die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer am Rhein. Und doch ist sie einzigartig im deutschen Universitätssystem: sie ist die einzige deutsche Hochschule, an der man nur dann (weiter)studieren darf, wenn man bereits ein Universitätsstudium erfolgreich abgeschlossen hat. Daß sie noch nicht "Universität Speyer" heißt, hat mit ihrer jetzt 60 Jahre alten Tradition zu tun.

    Am 11. Januar 1947 unterzeichnete in Baden-Baden der zweite Mann der französischen Besatzungszone in Deutschland, der Generalverwalter Émile Laffon, den Arrêté Nr. 194. In durchaus zentralistischer Tradition richtete er in der Mitte seiner Zone, die von Rolandseck südlich von Bonn bis zum bayerischen Lindau reichte, eine École Supérieure d'Administration. In der amtlichen Übersetzung hieß sie ziemlich anders, Höhere Verwaltungsakademie. Damit war bereits in der Geburtsstunde der entstehenden Hochschule der Spagat zwischen französischer und deutscher Idee der Universität deutlich. Wie ihre - nur wenige Monate - ältere französische 'Schwester', die École Nationale d'Administration, sollte sie eine streng anwendungsorientierte, praxisnahe Spezialhochschule für höhere Verwaltungsbeamte werden. Andererseits sollte sie im Kern ihrer Lehre eine postuniversitär und multidisziplinär verstandene "culture générale" pflegen, und zwar gerade nicht durch Berufung von Praktikern, sondern von Universitätsprofessoren. Die Lehre sollte somit von Anfang an eng verbunden sein mit aktueller Forschung. Und bei dem Speyerer Fächerzuschnitt würden die Angehörigen einer kommenden neuen deutschen Verwaltung aus demokratischem Geiste lernen, so die französische Hoffnung, nicht nur in Rechtsnormen, sondern auch in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und historischen Zusammenhängen zu denken.

    Diese neue vielseitige Sonderausbildung für die Verwaltung widersprach jedoch zutiefst einer damals legalistisch und damit juristisch geprägten deutschen Verwaltungstradition, noch dazu, weil die Besatzungsmacht vorschrieb, daß Speyer ein Monopol bei der Eröffnung des Wegs in den öffentlichen Dienst haben sollte. Die französische Verwaltung sah deutlich die Unmöglichkeit, zwei Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur in traditioneller Weise junge Rechtsreferendare bei unbelasteten erfahrenen Beamten ausbilden zu können.

    Die unterschwellige Auseinandersetzung zwischen einem juristischen, aber nicht verwaltungsspezifischen Referendariat und einer berufsnahen Spezialausbildung à la française bestimmte auch das weitere Schicksal der Speyerer École/Akademie. Aus der Natur der Sache mußten ihre Gegner aus dem Lager der Landesuniversitäten Freiburg, Tübingen und Mainz kommen, besonders aus deren Juristischen Fakultäten.

    Speyer war von Anfang an Chefsache im jungen Lande Rheinland-Pfalz. Geradezu selbstverständlich beanspruchten Ministerpräsident Altmeier und seine Staatskanzlei, für diese länderübergreifende Institution zuständig zu sein, zumal das Land faktisch die Akademie seit 1947 alleine finanziert hatte. Nach dem Ende der Besatzungszeit betrieben sie eine behutsame Neuausrichtung von Speyer, indem sie es als "Hochschule für Verwaltungswissenschaften" 1950 in die Ausbildung der Rechtsreferendare einbauten, ohne dabei den von der französischen Besatzungsmacht geformten multidisziplinären Charakter anzutasten. Ein noch größerer Erfolg des jungen (und armen) Landes war es, andere Länder der Bundesrepublik für eine gemeinsame Trägerschaft der Hochschule zu gewinnen, als erstes Bayern mit seiner sehr selbständigen und selbstbewußten Tradition der Ausbildung höherer Beamter. Sehr bald folgten die meisten Länder folgten, das Saarland sogar schon vor seiner offiziellen Rückkehr zu Deutschland. Berlin trat 1961 als letztes Land dem Verwaltungsabkommen bei, nachdem schon 1953 die ersten Rechtsreferendare in Privatinitiative nach Speyer gekommen waren.

    Die Vielfalt der Verwaltungswissenschaften als Forschungsfeld gab der Speyerer Hochschule neuen Aufwind, als schon in den frühen 50er Jahren die Rückkehr der jungen Bundesrepublik Deutschland in die internationale Gemeinschaft einsetzte. Das Bundesinnenministerium betrieb die Beteiligung Deutschlands an der internationalen Verwaltungszusammenarbeit und stellte dabei fest, daß es in vergleichbaren Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Belgien, aber auch Italien und Spanien zentrale verwaltungswissenschaftliche Forschungseinrichtungen gab, nicht aber in Deutschland. In den Diskussionen über den Ort eines solchen deutschen Forschungsinstituts für internationale Verwaltung nahm Speyer von Anfang an einen herausragenden Platz ein. Der sich schnell festigende Ruf der Forschung wurde auch durch die frühe Verleihung des Habilitationsrechts bestätigt. Schließlich wurde 1961 das heute von der Hochschule getrennte "Deutsche Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung" als Bund-Länder-Institut eingerichtet.

    Die Rechtsreferendare hoben in ihren Semesterberichten noch anderes hervor, etwa im Jahre 1955 schon den länderübergreifenden Charakter von Speyer: "Sehr zu schätzen ist die Tatsache, daß Speyer ein Forum der bundesdeutschen Referendare ist." Bis heute ist Speyer die einzige deutsche Universität geblieben, in der nicht nur west- und ostdeutsche Hörer etwa entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung vertreten sind, sondern auch Schleswig-Holsteiner, Saarländer und Bayern. Und so konnte schon damals in Speyer "so manche falsche Vorstellung über wirtschaftliche und politische Strukturen eines anderen Landes korrigiert werden". Der Prozeß der europäischen Einigung wurde sehr bald aufgegriffen, frühe Exkursionen zur Montanunion im nahen Luxemburg oder zum Europarat in Straßburg zeigen das ebenso wie der Aufbau der bis heute bestehenden Partnerschaft mit der ENA in Paris durch den Soziologen Arnold Gehlen.

    So wuchsen die Hörerzahlen stetig, und ein Neubau am Stadtrand wurde nötig, der im September 1960 eingeweiht werden konnte. Dieses Speyerer Werk von Sep Ruf zeigt ähnlich wie sein Kanzlerbungalows in Bonn Flachdächer und atriumartige Innenhöfe, eine sparsame Formensprache und ausgewogene Proportionen und nicht zuletzt strenge Schwarz-Weiß-Kontraste. Die Hochschule Speyer hat damals ein Haus gewonnen, das ganz klar in der deutschen Moderne der Weimarer Republik, in der Tradition von Bauhaus und Neuer Sachlichkeit verankert ist. In einer Architekturzeitschrift hieß es zum Speyerer Bau deshalb: "Die wohl gegliederte, sich zur Umwelt und zur Natur öffnende Anlage schafft eine Stimmung der Aufgeschlossenheit und Kontaktbereitschaft, die stets eine Voraussetzung für staatliche Führungsaufgaben sein sollte." Und in der Sache war und ist die Speyerer Lehre, wie einer der über 25.000 Absolventen reflektierte, durch ihre Vielfalt "geeignet, manchem Kollegen, der ausschließlich vom Imperativ der Paragraphen und des positiven Rechts aus denkt, zu zeigen, daß die Wirklichkeit viel komplexer ist, als sie sich in der Wertung und Darstellung durch die Rechtsordnung zeigt."

    Der Autor lehrt Geschichte an der DHV Speyer


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    fachunabhängig
    überregional
    Organisatorisches
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).