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23.01.2007 10:30

Witzig oder nicht - Alkoholiker verpassen die Pointe

Dr. Josef König Pressestelle
Ruhr-Universität Bochum

    Was wir witzig finden, ist für Neurowissenschaftler eine Quelle wichtiger Erkenntnisse über die zugrundeliegenden Hirnfunktionen. Sind bestimmte Hirnbereiche geschädigt, funktioniert der Humor nicht mehr so wie bei gesunden Menschen. Diese Tatsache machte sich Dr. Jennifer Uekermann (Institut für Kognitive Neurowissenschaft der RUB) für eine Studie über die Hirnschädigung durch Alkoholismus zunutze. Sie konfrontierte Gesunde und Alkoholiker mit unfertigen Witzen und ließ sie aus einer Auswahl die passende Pointe auswählen. Rückfragen an die Testpersonen zur ihrer Auswahl und ihrem Verständnis der Situation im Witz lieferten genauere Informationen über die Humorverarbeitung. Es zeigte sich, dass Alkoholiker seltener die richtige Pointe auswählten und die Pointen allgemein weniger witzig einschätzten als gesunde Kontrollpersonen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei Alkoholismus Fehlfunktionen des Frontallappens vorliegen. Über ihre Studie berichtet Dr. Uekermann in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Addiction".

    Bochum, 23.01.2007
    Nr. 33

    Witzig oder nicht - Alkoholiker verpassen die Pointe
    Studie zur Humorverarbeitung bei Alkoholismus
    Hinweise auf geschädigte Hirnbereiche

    Was wir witzig finden, ist für Neurowissenschaftler eine Quelle wichtiger Erkenntnisse über die zugrundeliegenden Hirnfunktionen. Sind bestimmte Hirnbereiche geschädigt, funktioniert der Humor nicht mehr so wie bei gesunden Menschen. Diese Tatsache machte sich Dr. Jennifer Uekermann (Institut für Kognitive Neurowissenschaft der RUB) für eine Studie über die Hirnschädigung durch Alkoholismus zunutze. Sie konfrontierte Gesunde und Alkoholiker mit unfertigen Witzen und ließ sie aus einer Auswahl die passende Pointe auswählen. Rückfragen an die Testpersonen zur ihrer Auswahl und ihrem Verständnis der Situation im Witz lieferten genauere Informationen über die Humorverarbeitung. Es zeigte sich, dass Alkoholiker seltener die richtige Pointe auswählten und die Pointen allgemein weniger witzig einschätzten als gesunde Kontrollpersonen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei Alkoholismus Fehlfunktionen des Frontallappens vorliegen. Über ihre Studie berichtet Dr. Uekermann in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Addiction".

    Humor theoretisch betrachtet

    Die Verarbeitung humorvoller Reize ist nicht nur für zwischenmenschliche Beziehungen von großer Bedeutung, Humor wirkt sich auch positiv auf das Immunsystem und auf die Stressverarbeitung aus. Theoretisch betrachtet besteht die Humorverarbeitung aus zwei Stufen: erstens der Entdeckung einer sog. Inkongruenz, der zweite Schritt ist ihre Aufklärung. Auf kognitiver Ebene muss man den humorvollen Reiz verstehen, die affektive Komponente beinhaltet die Wertschätzung humorvoller Reize, das heißt sie als witzig zu empfinden. Ob die Verarbeitung humorvoller Reize gelingt, hängt früheren Studien zufolge insbesondere davon ab, ob jemand fähig ist, das Verhalten anderer Menschen vorhersagen zu können und sich in sie einzufühlen. "Diese Fähigkeiten fassen wir unter dem Begriff 'Theory of Mind' zusammen", erklärt Jennifer Uekermann. Wichtig ist weiterhin die Fähigkeit, Handlungen in Abhängigkeit von der Umwelt gezielt zu planen. Für solche sog. exekutiven Prozesse ist der präfrontale Kortex, ein stirnseitiger Bereich des Frontallappens der Großhirnrinde, von zentraler Bedeutung.

    Gesichter, Emotionen, Sprache machen Alkoholikern Probleme

    Alkoholismus ist mit einer ganzen Reihe kognitiver Störungen und mit Problemen bei der Interpretation emotionaler Gesichter und Sprache verbunden. "Man nimmt daher an, dass besonders der präfrontale Kortex für die giftige Wirkung des Alkohols anfällig ist", so Dr. Uekermann. Diese "Frontallappenhypothese" ist unter anderem durch bildgebende Verfahren bestätigt worden.

    Ein Witz - vier Pointen

    Um die Beziehung zwischen der Humorverarbeitung, exekutiven Funktionen und Theory of Mind bei Alkoholikern zu erforschen, untersuchten die Neurowissenschaftler 29 Alkoholiker und 29 gesunde Kontrollpersonen. Die Testbatterie zur Erfassung des Humorverständnisses hat Dr. Uekermann am University College London entwickelt. Zunächst erfolgt die Präsentation eines Witzstammes auf dem Bildschirm:
    Andre und Jenny waren schon seit sehr langer Zeit verheiratet. Andre war sehr stolz auf die Tatsache, dass seine Ehefrau in dieser Zeit sechs Kinder geboren hatte. Daher fing er an, sie "Mutter von Sechsen" zu nennen, anstelle ihres wirklichen Namens "Jenny". Zunächst fand das Jenny sehr lustig. Mit der Zeit hatte sie es jedoch ziemlich satt. "Mutter von Sechsen", sagte er zum Beispiel, "hol mir ein Bier". "Was gibt es heute zum Abendessen, Mutter von Sechsen?" Schließlich sagte er sogar vor einigen Freunden bei einem Abendessen: "Mutter von Sechsen! Es ist Zeit zu gehen."
    Danach werden vier Pointen dargeboten, unter denen die Versuchspersonen die korrekte, witzige Pointe durch Mausklick auswählen sollen:
    1) Sie sagte: "Ja, Du hast Recht, es ist schon sehr spät." (logisches Ende)
    2) Sie sagte: "Ich komme schon, Schatz", doch sie stolperte über ein Tischbein und fiel genau auf ihr Gesicht. (Slapstick-Ende)
    3) Sie sagte: "Ich bin fertig, wir gehen - Vater von Vieren." (korrektes Ende)
    4) Sie sagte: "Ich mag dieses Bild an der Wand." (unsinniges Ende)

    Die Auswahl verrät den Humor

    An der Verarbeitung der korrekten Pointe sind beide Stufen (Inkongruenzdetektion und Resolution) der Humorverarbeitung beteiligt, während für das Verständnis der Slapstick-Alternative nur die Inkongruenzdetektion nötig ist. Die Verarbeitung des logischen Endes erfordert Resolution und das Verständnis des unsinnigen Endes Inkongruenzdetektion. Dann wird die Versuchsperson gebeten, jede alternative Endigung hinsichtlich der Dimensionen "Logik" (Wie logisch/passend finden Sie dieses Ende?) und empfundene "Witzigkeit" (Wie lustig finden Sie dieses Ende?) auf einer Fünf-Punkte Skala einzuschätzen. Anschließend erfolgt die Präsentation von Kontrollfragen, mit denen das allgemeine Verständnis überprüft wird. (Hieß der Ehemann Markus?; Hatte André Kinder?)

    Was dachte Jenny?

    Zur Erfassung der Theory of Mind wurden nach der Präsentation des Witzes und der korrekten Pointe drei Fragen auf dem Bildschirm dargeboten. Sie beziehen sich auf die Perspektiven der zwei Hauptakteure des Witzes (Was denkt X als Y sagt...?; Was denkt Y als X sagt...?) und das Theory of Mind-Wissen, das für das Verständnis der Pointe von zentraler Bedeutung ist (Warum nannte Andre seine Frau "Mutter von Sechsen"?, Was dachte Jenny als Andre sie vor ihren Freunden "Mutter von Sechsen" nannte?, Was dachte André als Jenny sagte "Ich bin fertig, wir gehen - Vater von Vieren"?) Die Theory of Mind-Fragen wurden mithilfe eines dazu entwickelten Auswertungsschlüssels bewertet.

    Anstöße für die Therapie

    Die Gruppe der Alkoholiker wies dabei ausgeprägte Beeinträchtigungen der Theory of Mind und Defizite exekutiver Funktionen auf. Außerdem wählten sie seltener als Gesunde die korrekten Pointen aus. Stattdessen wählten sie eher Slapstick-Alternativen und logische Endigungen. Außerdem schätzten sie die korrekten, Slapstick- und unsinnige Alternativen als weniger witzig ein. "Diese Ergebnisse sprechen für Beeinträchtigungen der affektiven und kognitiven Humorkomponente bei Alkoholismus", fasst Jennifer Uekermann zusammen. Die Probleme treten dann auf, wenn beide Stufen der Humorverarbeitung nötig sind. Weitere Analysen machten deutlich, dass die Defizite der Humorverarbeitung unter anderem durch die Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen und der Theory of Mind verursacht sind. Diese Ergebnisse stützen die Frontallappenhypothese. "Da Probleme bei der Verarbeitung humorvoller Stimuli und Defizite der Theory of Mind zu zwischenmenschlichen Problemen führen können, sind sie wahrscheinlich für die Rehabilitation von Alkoholikern von großer Bedeutung und sollten somit im Rahmen der Therapie berücksichtigt werden", gibt Dr. Uekermann zu bedenken.

    Titelaufnahme

    Uekermann, J.: Theory of mind, humour processing and executive functioning in alcoholism. In: ADDICTION 102(2), http://www.blackwell-synergy.com/toc/add/102/2

    Weitere Informationen

    Dr. Jennifer Uekermann, Institut für Kognitive Neurowissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-23119, E-Mail: jennifer.uekermann@rub.de


    Weitere Informationen:

    http://www.blackwell-synergy.com/toc/add/102/2


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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