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01.02.2007 13:25

Mildernde Umstände? - zur Debatte um die Minderungsverpflichtungen der PKW-Hersteller

Dorle Riechert Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH im Wissenschaftszentrum NRW

    Die öffentliche Debatte um den Beitrag der Automobilindustrie zur Einhaltung der CO2-Minderungsverpflichtung, die die EU und Deutschland im Jahre 1997 eingegangen sind, erweckt den Anschein, als ob nun Anforderungen zu ermäßigen seien, weil sonst die Existenz der PKW-Industrie in Europa und insbesondere in Deutschland auf's Spiel gesetzt wäre.

    Doch hier geht es nicht um Zumutungen, sondern um internationale Verpflichtungen. Mit der Entscheidung Kyoto-Protokoll besteht für den verpflichteten Staat ein 'Budget' an Treibhausgas-Emissionen, das nicht überschritten werden darf. Es handelt sich also um einen, der UN gemäßen, territorialstaatlichen Ansatz. Der primäre Halter der Verpflichtungen, der föderale Kopfstaat, emittiert (weitgehend) nicht selbst, sondern seine Aufgabe besteht darin, die seinerseits en bloc eingegangenen Verpflichtungen auf die wesentlichen Stakeholder auf seinem Territorium herunterzubrechen und die so individualisierten Verpflichtungen mit rechtskräftigen Pönalen für den Fall der Nichterfüllung zu versehen - der Nationalstaat ist unausweichlich in der Rolle des 'lender of last ressort', er hat für sämtliche Verfehlungen anderer Akteure auf seinem Territorium einzustehen.

    Mit dem Kyoto-Protokoll haben sich die Mitgliedsstaaten der EU somit auf ein Verfahren eingelassen, welches der Tendenz in der Medien-Demokratie, Einzelthemen isoliert zum Thema zu machen, strukturell widersteht. Es gilt das Prinzip kommunizierender Röhren: Will ein Sektor weniger Minderungsverpflichtungen, so muss ein anderer mehr 'übernehmen' - oder der Staat muss am Ende Rechte gegen Geld im Ausland zukaufen.

    Im Sinne dieses Ansatzes hat die Politik, die EU, gleich nach der Entscheidung von Kyoto, ausgemacht, welchen Teil der Minderungsverpflichtung die PKW-Industrie übernimmt. Ergebnis war die Selbstverpflichtung der europäischen Autohersteller (ACEA), die von der europäischen Politik akzeptiert wurde, mit nachfolgend analogen Vereinbarungen mit den ostasiatischen Importeuren (JAMA und KAMA). Inhalt der Selbstverpflichtung war, die spezifischen CO2-Emissionen aufgrund des Normverbrauchs von Neu-PKW im Schnitt herabzusenken auf 140 g/km - zu erreichen im Jahre 2008 (für europäische Hersteller). Die Kommission hatte angekündigt, dass sie durch "zusätzliche" Maßnahmen den durchschnittlichen Verbrauch von Neuwagen auf 120 g/km senken wolle.

    Es besteht Einigkeit, dass das Ziel "140 g/km in 2008" nicht erreicht wird - der Abwärtstrend ist in 2005 bei 162 g/km zum Stehen gekommen, es fehlen 22 g/km. Der Absatz in Deutschland stagniert bei 173 g/km in 2005 wie 2006. Dissens besteht allein darüber, ob dies als Vertragsbruch zu gelten habe. Die Automobilindustrie macht geltend, dass 'Umstände' es ihr unmöglich gemacht haben, das zugesagte Ziel auch zu erreichen. Im Wortlaut: "industry's efforts have been hindered by counter-productive effects of new EU regulations and the persistent lack of consumer demand for fuel-efficiency." (Pressemitteilung ACEA 26.1.07). Die Nachfrage der Autokäufer wird allerdings durch das Angebot der Autohersteller bestimmt. Nicht die Autokäufer sind als intransigent hinzustellen, sondern in erster Linie die Gestaltung der Angebotspalette sowie die Konzentration der Werbung der PKW-Hersteller für große und PS-starke Autos, die zu diesem Kaufverhalten führen, ist verantwortlich zu machen.

    Die Verfehlung der Selbstverpflichtung ist in sofern von besonderer Tragweite, weil hierdurch Minderungsverpflichtungen nicht nur auf andere Sektoren abgewälzt werden, sondern insgesamt hier auch der Grundstein dafür gelegt wird, dass die EU als Ganze ihre Minderungsziele verfehlt. Während im Schnitt Europas Emissionen um 8 Prozent gesenkt werden müssen, ist der Verkehrsbereich dabei, sich bis 2010 ein Wachstum um mehr als 40 Prozent herauszunehmen. Ein in solchem Maße 'unsolidarisches' Verhalten ist für die anderen Sektoren kaum mehr akzeptabel.

    Die Politik kann die angeführten Gründe 'höherer Gewalt' nicht quasi nach oben weiter durchreichen - das UN Klimasekretariat als Anwalt der Natur ist nicht in der Lage, Rabatte zu gewähren, da die Natur sie nicht gewährt. Die Politik hat eh schon den Automobilunternehmen Rabatte in erheblichem Umfang dadurch eingeräumt, als sie (a) lediglich auf den Normverbrauch der PKW abstellte, nicht auf den faktischen Verbrauch, der deutlich höher ist; und (b) nur die CO2-Emissionen von Fahrzeugen, nicht dagegen die anderen Treibhausgase berücksichtigte, die PKW ebenfalls emittieren (HFC aus Klimaanlagen, N2O aus Katalysatoren und CH4).

    Die Politik kann nicht anders, als auf Erfüllung des Vertrags seitens der Automobilindustrie zu bestehen, nun durch gesetzliche Vorgaben - und das bedeutet, dass Maßnahmen technischer Art realisiert werden müssen, wie sie im Handlungsfeld der Unternehmen liegen. Welcher Art diese Maßnahmen sein können, hat das Wuppertal Institut in der Studie "Klimawirksame Emissionen des PKW-Verkehrs und Bewertung von Minderungsstrategien" untersucht. Dabei geht es nicht um eine uniforme Belastung der Fahrzeuge oder gar Verbote, es geht um die Reduzierung der Flottenverbräuche. Denkbar sind dabei auch Instrumente, die Ausgleichmaßnahmen zulassen, für größere Fahrzeuge, aber dann zu dem Preis, dass sie eine höhere Zusatzbelastung zu tragen haben.

    Tatsächlich wird vielfach gefordert, die Politik solle der Fahrzeugindustrie Erleichterung zubilligen, indem sie andere Maßnahmen nicht-technischer Art (biofuels; Anreize zu effizienterem Fahrverhalten u.ä.) ergreift. Doch würde die Politik dem Rat folgen, dann würde sie damit in den Optionenkranz anderer Akteure eingreifen, die diese schon für die Erfüllung ihrer (ja lange bekannten) Verpflichtungen vorgesehen haben - z.B. hat die deutsche Politik in ihrem Klimaschutzprogramm 2005 mehrere Maßnahmen zur Minderung von Emissionen aus dem Verkehrsbereich vorgesehen - sie würden dann quasi doppelt "verfrühstückt". Insofern bleibt der Politik nur jetzt zu handeln und Glaubwürdigkeit in ihren Zielen zu demonstrieren.

    Die Untersuchung des Wuppertal Instituts ist in der Reihe "Wuppertal Spezial", Nr. 34 erschienen und steht als Download zur Verfügung unter:
    http://www.wupperinst.org/de/publikationen/wuppertal_spezial/index.html
    Ansprechpartner:

    Dr. Karl-Otto Schallaböck
    Dr. Hans-Jochen Luhmann

    Forschungsgruppe "Zukünftige Energie- und Mobilitätsstrukturen"
    Wuppertal Institut für Klima, Energie, Umwelt

    Tel: 0202-2492-109
    Mail:
    karl.otto.schallaboeck@wupperinst.org
    jochen.luhmann@wupperinst.org


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Gesellschaft, Meer / Klima, Politik, Recht, Umwelt / Ökologie, Verkehr / Transport, Wirtschaft
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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