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03.09.1996 00:00

Ruhrgebiet - Starkes Stück NRW

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Bochum, 30.08.1996 Nr. 155

    Ein starkes Stueck!

    Politik im Ruhrgebiet zwischen 1946 und 1996

    Historiker und Sozialwissenschaftler ueber den Wandel im Revier

    Puenktlich zum 50. Geburtstag Nordrhein-Westfalens veroeffentlichten Wissenschaftler der RUB eine Textsammlung ,Das Ruhrgebiet - Ein starkes Stueck Nordrhein-Westfalen". Sie gibt einen UEberblick ueber Politik im Ruhrgebiet von der Landesgruendung bis heute. 23 Autoren aus der Region berichten ueber alte und neue soziale Milieus zwischen Duisburg und Unna, politische Eliten und wirtschaftliche Verlierer, aber auch ueber den Umweltschutz der fruehen Jahre und die Kulturpolitik im Wandel der Zeiten. Herausgegeber der fast 600 Seiten sind Dr. Rainer Bovermann (Politische Wissenschaft, Fakultaet fuer Sozialwissenschaft der RUB), Dr. Stefan Goch und Dr. Heinz-Juergen Priamus (beide: Institut fuer Stadtgeschichte, Gelsenkirchen und Lehrbeauftrage an der RUB).

    ,Ruhrfrage" im Zentrum der NRW-Gruendung

    Den Alliierten war nach dem Zweiten Weltkrieg klar, dass dem Ruhrgebiet mit seinen Grundstoffindustrien beim Wiederaufbau Europas eine wichtige Rolle zukommen wuerde. Bei der Gruendung des Landes NRW ging es vor allem um die ,Ruhrfrage", welche Rolle dieses bedeutende Industriegebiet kuenftig spielen sollte. Neben den rheinischen Bezirken Aachen und Koeln wurden im neuen Bundesland alle Regierungsbezirke der ehemaligen preussischen Provinzen Rheinland (Duesseldorf) und Westfalen (Muenster, Arnsberg, Detmold - neugeschaffen aus Minden und Lippe ) zusammengefasst, die ins Ruhrgebiet hineinreichen. Nach der Landesgruendung und den Kommunalwahlen im Oktober 1946 konnte die erste Landesregierung und die Gemeinden 1947 wieder selbstaendig aktiv werden.

    Vom ,Bindestrichland" zum neuen sozialen Gebilde

    Zahlreiche deutsche Politiker, Verwaltungsbeamte und Wissenschaftler kritisierten damals die Entscheidung fuer ein ,Bindestrichland" ohne historische Traditionen. Fritz Henssler, Vorsitzender des schon damals gewichtigen SPD-Bezirks Westliches Westfalen, bezeichnete Nordrhein Westfalen als ,ein uns aufgezwungenes Gebilde". UEberhaupt war die SPD der Meinung, es sei ein Land entstanden, in dem die CDU strukturell eine Mehrheit haben wuerde. Tatsaechlich konnte die SPD erst 1966 die Dominanz der CDU brechen. Entscheidend dafuer war die sogenannte ,Sozialdemokratisierung" des Ruhrgebietes in den 1950er Jahren, der dann Wahlerfolge der SPD im Land folgten. Diese Veraenderungen der ,politischen Landschaft" im bevoelkerungsreichsten Bundesland wiederum waren die Grundlage fuer die 1969 gebildete sozialliberale Koalition in Bonn.

    Parteiengeschichten und die Signalwirkung auf Bonn/Berlin

    In den Beitraegen zur Geschichte der Parteien im Ruhrgebiet arbeiten die Autoren - mit Blick auf heutige Konstellationen - die entscheidenen Wendepunkte heraus. Der Zustand der sozialdemokratischen Partei im Ruhrgebiet laesst Rueckschluesse auf die Gesamtbefindlichkeit der SPD in der Bundesrepublik zu. Die Geschichte der CDU im Revier ist bisher noch nicht zusammenhaengend analysiert worden, deshalb gibt es einige Forschungsdefizite aufzuarbeiten. Die Veraenderungen im Parteiensystem dokumentiert das schwierige und schlechte Verhaeltnis zwischen SPD und Gruenen. Themen und Zielsetzungen der Gruenen kollidieren mit dem gewachsenen Politikverstaendnis der SPD-Parteibasis im Revier, so dass kuenftige Entscheidungen ueber Zusammenarbeit und Koalitionen zwischen Gruenen und SPD im Ruhrgebiet vermutlich Signalcharakter fuer die bundesweite Entwicklung haben werden.

    Vom ,Bergarbeitermilieu" bis neuer Kultur

    Unter ,Kontinuitaeten und Brueche" sind drei Beitraege ueber den Wandel der ehemals bestimmenden Milieus des Ruhrgebietes - Bergarbeiter, Katholiken und sozialistische Arbeiterbewegung - zusammengefasst. ,Institutionelle Rahmenbedingungen" ist die Klammer, mit der Beitraege ueber die Kommunalverfassung, den Kommunalverband, das junge Ruhrbistum und die ,Mitbestimmung als Institution" thematisch zusammengefasst sind. Weitere Themenkomplexe, mit denen das Buch eine gelungene Struktur erhaelt, sind ,Verbaende" und ,Eliten" sowie ,Wahlen und politische Kultur".

    AEnderungen in Sozialraeumen

    Der letzte Bereich - ,Politikfelder" - besticht aus aktueller Perspektive: Klaus-Peter Strohmeier und Volker Kersting berichten ueber das laufenden Projekt ,Sozialraum Ruhrgebiet". Die Veraenderungen der Staedte durch Armut und die damit zusammenhaengenden Phaenomene werden unter verschiedenen Fragestellungen auf der Grundlage empirischer Daten analysiert. Allein dass mehr als ein Drittel (37%) der Sozialhilfeempfaenger Nordrhein-Westfalens im Ruhrgebiet lebt und dort vor allem in den Staedten (25%), zeigt auf, wie sich das Leben veraendert hat und weiter veraendern wird. Frueher konnten die gewachsenen Strukturen einer proletarischen Wohnkultur in typischen Zechen- und Werkskolonien des Ruhrgebietes Verelendungstendenzen zumindest ein Stueck abschwaechen. Heute, wo sich eine neue Art von Urbanitaet herausgebildet hat und familiaere und nachbarschaftliche Solidaritaet laengst nicht mehr selbstverstaendlich sind, entstehen neue kleinraeumige Sozialstrukturen, die den veraenderten Bedingungen entsprechen. Der Charakter der Staedte und Stadtteile veraendert sich in zunehmenden Masse.

    Der Weg zum ,Blauen Himmel ueber der Ruhr"

    In Bayern oder Hamburg glauben vermutlich immer noch einige Unverbesserliche, dass an Ruhr und Emscher die Briketts nur so durch die Luft fliegen. Der Strukturwandel, die Stillegung von Zechen und Kokereien und die Aufgabe von Eisen- und Stahlproduktionen haben zwar keinen neuen Luftkurort geschaffen, aber die Umweltbelastung weist im Vergleich zu anderen urbanen Zentren Europas wohl kaum noch Besonderheiten auf. Wie sensibel die Menschen im Ruhrgebiet aber bereits in den fuenfziger und sechziger Jahren auf die damals wirklich extremen Emissionen reagierten, beschreibt Rainer Weichelt. So titelte im Januar 1957 der Duisburger Generalanzeiger ,Gebt uns reine Luft!". In Duisburg und anderen Staedten der Emscherzone kaempften damals Buergerinitiativen um strengere technische Auflagen fuer die Betriebe und wurden dabei oftmals von engagierten AErzten unterstuetzt.

    ,Wir-Gefuehl" im Ruhrgebiet

    Ob es ueberhaupt ein Regionalbewusstsein der Menschen im Ruhrgebiet gibt, darueber wird seit langem gestritten. Die Herausgeber bejahen diese Frage, obwohl das Ruhrgebiet historisch betrachtet einen geographisch-raeumlichen Teilausschnitt aus zwei groesseren, weitaus aelteren Regionen, dem Rheinland und Westfalen bildet. Das ,Wir-Gefuehl" der Menschen im Ruhrgebiet ist zwar schwer zu fassen, aber es koennen einige Indizien dafuer genannt werden. Eines davon ist der Faktor Migration, die wieder oder immer noch laufende Zuwanderung von Menschen aus unterschiedlichen Lebensraeumen ins Ruhrgebiet. In der Vergangenheit hat dies zu einer Identitaet gefuehrt, die vielleicht in erster Linie ausserhalb des Ruhrgebietes wahrgenommen wird.

    Titelaufnahme

    Rainer Bovermann, Stefan Goch, Heinz-Juergen Priamus (Hg.). Das Ruhrgebiet - Ein starkes Stueck Nordrhein-Westfalen. Politik in der Region 1946-1996. Klartext Verlag Essen 1996. ISBN 3-88474-524-7., DM 48,-

    Weitere Informationen

    Dr. Rainer Bovermann, Ruhr-Universitaet Bochum, Fakultaet fuer Sozialwissenschaft, Politikwissenschaft I , 44780 Bochum, Tel.: (02343) 700-2978 oder -2976, Fax.: (0234) 7094-508.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Recht
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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