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22.02.2007 09:37

Arzneimittelempfehlungen auf Kosten von Patientinnen und Patienten?

Dr. Thomas Nesseler Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)

    Stellungnahme der DGGPN zur Verordnung von modernen Medikamenten bei Schizophrenie
    Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) setzt sich in ihrer jüngsten Stellungnahme kritisch mit Auffassungen zur Behandlung von Schizophrenie-Patienten auseinander, wie diese in den letzten Wochen von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) publiziert worden waren.

    Sowohl im Newsletter der AkdÄ vom 18. Dezember 2006 als auch in der Informationsschrift "Wirkstoff aktuell 05/2006" vom 15. November 2006, die von der KBV in Zusammenarbeit mit der AkdÄ herausgegeben wird, waren negative Beurteilungen des Medikaments "Quetiapin" und anderer moderner "Antipsychotika" nachzulesen. Unter dem Begriff "Antipsychotika" bzw. "Neuroleptika" werden unterschiedliche, bei schizophrenen Erkrankungen wirksame Medikamente geführt, wobei man generell die neueren "atypischen" von den älteren "typischen" Substanzklassen unterscheiden kann. Tenor dieser Beurteilung der modernen Atypika durch AkdÄ und KBV: "Die kostengünstigen typischen Neuroleptika wie Haloperidol zeigten bei der medikamentösen Behandlung von schizophrenen Psychosen keine geringere Wirksamkeit als die Gruppe der neueren atypischen Neuroleptika". Weiterhin wurde behauptet, dass das teurere Medikament Quetiapin in der Behandlung der Schizophrenie keineswegs überlegen sei. Dabei beruft sich die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft auch auf die S3-Behandlungslinie "Schizophrenie" der DGGPN, die Anfang des vergangenen Jahres erschienen ist. Die AkdÄ zieht den Schluss, dass es nicht berechtigt sei, atypische Neuroleptika uneingeschränkt als ausschließliche Mittel der ersten Wahl in der Schizophreniebehandlung zu empfehlen.

    Als wissenschaftliche Fachgesellschaft weist die DGPPN darauf hin, dass die von ihr entwickelte Behandlungsleitlinie von der AkdÄ und deren Publikationsorganen irreführend zitiert wird. In der S3-Behandlungsleitlinie der DGPPN wird zur Behandlung der ersten Manifestation einer Schizophrenie (sog. "Ersterkrankung") empfohlen, bei zumindest vergleichbarer Wirksamkeit auf die Positivsymptomatik und Hinweisen auf eine überlegene Wirksamkeit auf die Negativsymptomatik sowie bei geringeren extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen in erster Linie atypische Antipsychotika einzusetzen. Auch bei einer Wiedererkrankung empfiehlt die S3-Behandlungsleitlinie die aytpischen Antipsychotika als Mittel der ersten Wahl, für die Rezidivprophylaxe betont die S3-Behandlungsleitlinie die überlegene rezidivprophylaktische Wirkung der atypischen Antipsychotika. Mit dieser Beurteilung steht die DGPPN nicht allein. Sämtliche publizierten Leitlinien sowohl internationaler als auch nationaler Fachgesellschaften in anderen europäischen Ländern, den USA und Kanada unterstützen die Auffassung der DGPPN. Insbesondere fordern alle diese Leitlinien bei der Erstbehandlung von Schizophrenie-Patienten die Verordnung moderner atypischer Antipsychotika.

    Nach Ansicht des Präsidenten der DGPPN, Professor Dr. med. Wolfgang Gaebel, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, ist es bedenklich, dass die AkdÄ und die KBV in ihren Stellungnahmen so weit von der S3-Behandlungsleitlinie der DGPPN abweichen und der besseren Verträglichkeit von Quetiapin und anderer vergleichbarer Atypika hinsichtlich der extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen keine besondere Bedeutung zumessen wollen.

    Weiterhin verweist der Präsident der DGPPN darauf, dass es im Sinne der Behandlungsleitlinien seiner Fachgesellschaft grundsätzlich jedem Patienten nach umfassender medizinischer Aufklärung und in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt offen steht, sich für die eine oder die andere Therapieform zu entscheiden. Nicht akzeptabel ist es nach Professor Gaebel daher, den Patientinnen und Patienten aus Kostengründen die mit den typischen hochpotenten Neuroleptika verbundenen extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen zumuten zu wollen, wenn bessere Alternativen zur Verfügung stehen. Die Empfehlung von Medikamenten sollte nach Auffassung des DGPPN-Präsidenten generell primär nach medizinischen Kriterien erfolgen, wobei Nutzen und Risiken der medikamentösen antipsychotischen Therapie im jeweiligen Einzelfall konkretisiert und abgewogen werden müssen. In den Entscheidungsprozess fließen dabei auch die individuellen Erfahrungen und Präferenzen der Patientinnen und Patienten ein.

    Die Schizophrenie gehört zu den schwerwiegenden psychischen Erkrankungen aus der Gruppe der Psychosen. Diese Erkrankung tritt im Laufe des Lebens bei etwa einem Prozent der Bevölkerung auf. Derzeit sind in der Bundesrepublik Deutschland etwa 800.000 Menschen betroffen. Wegen der Symptomatik, der Schwere der Erkrankung und der häufig chronischen Verlaufsform stellt die Schizophrenie für die Betroffenen, aber auch für deren Familienangehörige, häufig eine große Belastung dar. Störungen im Denken, der Wahrnehmung und des Handelns gehören zum Krankheitsbild. Im Rahmen der Wahrnehmungsstörungen können Sinnestäuschungen wie Halluzinationen auftreten, zusätzlich kann es auch zu Wahnphänomenen wie wahnhaften Gedanken oder Wahnwahrnehmungen kommen. Entgegen der weit verbreiteten Meinung ist die Schizophrenie heute gut behandelbar. Behandlungsziel ist dabei eine weitgehende Symptomfreiheit und die bestmögliche Lebensqualität. Um dies zu erreichen, sind eine frühzeitige medikamentöse Akuttherapie, eine konsequente Rückfallprophylaxe sowie begleitende psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen notwendig.

    Originaltext der Stellungnahme im Internet: http://www.dgppn.de/stellungnahmen/2007/stellungnahmen2007.htm

    Kontakt:
    Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel
    Präsident der DGPPN
    Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
    Heinrich-Heine-Universität
    Bergische Landstrasse 2
    40629 Düsseldorf
    Tel.: 0211/ 922-2000
    Fax: 0211/ 922-2020
    E-Mail: wolfgang.gaebel@uni-duesseldorf.de

    Literatur:
    Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) (Hrsg.): S3 Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie. Redaktion: Wolfgang Gaebel und Peter Falkai. Band 1 Behandlungsleitlinie Schizophrenie. Darmstadt 2006: Steinkopff Verlag. ISBN 3-7985-1493-3.
    Internet: http://www.dgppn.de/leitlinien/leitlinien.htm


    Weitere Informationen:

    http://www.dgppn.de/stellungnahmen/2007/stellungnahmen2007.htm
    http://www.dgppn.de/leitlinien/leitlinien.htm


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     


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