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13.04.2000 14:38

Essener Chemiker entwickelten Anti-Virus-Handschuh zum Schutz vor vergiftetem Patientenblut

Monika Roegge Pressestelle Standort Essen
Universität Essen (bis 31.12.2002)

    Im Institut für Umweltanalytik der Universität Essen ist ein Anti-Virus-Handschuh, der Chirurgen bei einer Verletzung vor vergiftetem Blut des Patienten schützt, entwickelt worden. In einer Pilotanlage in der Nähe von Paris wird der Handschuh hergestellt, in Krankenhäusern in Deutschland und Frankreich wird er zur Zeit getestet. Die Wirkungsweise: Im Innern des doppelwandigen Handschuhs befindet sich ein Tensid, das Viren sofort tötet.

    97/2000
    13. April 2000

    Wir kennen sie alle und benutzen sie jeden Tag. Schon die Sumerer wussten sie zu schätzen - 2000 Jahre vor Christi Geburt. 2000 Jahre danach ist der Gebrauchswert der in der Natur oft vorkommenden Substanzen ungebrochen. Eher gedankenlos gehen wir mit ihnen um, aber auf Wissenschaftler üben sie eine eigenartige Faszina-tion aus. Tenside - grenzflächenaktive Systeme, die man auch Waschpulver oder Seife nennen könnte, ohne allzu falsch zu liegen. An der Universität Essen befasst sich Heinz Rehage mit seiner Arbeitsgruppe im Institut für Umweltanalytik seit 1991 mit den besonderen Eigenschaften, die Tenside für industrielle Anwendungen so interessant machen. Rehages grundlegende Arbeiten zum Verhalten grenzflä-chenaktiver Tenside fanden vielfache Anerkennung; auf der 39. Hauptversammlung der Kolloidgesellschaft in Würzburg erhielt er den "Raphael-Eduard-Liesegang-Preis" - eine Auszeichnung, die zuvor erst einmal ausgesprochen worden war. Sie galt 1998 dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächen-forschung in Golm/Potsdam.

    "Viele unserer aktuellen Forschungsprojekte", sagte Rehage, "beschäftigen sich mit innovativen Anwendungen der Tenside. In enger Kooperation mit zwei Firmen haben wir zum Beispiel den Anti-Virus-Handschuh entwickelt."

    Drei Jahre hatte das gedauert; die erste Idee, wie man einen solchen Handschuh machen könnte, hatte im französischen Mulhouse der mit Rehage befreundete Chemiker Gerard Riess. Dass Bedarf an dem Produkt bestehen würde, stand fest. Weltweit verletzt sich alle zwanzig Minuten ein Arzt selbst, wenn er eine Operati-onswunde näht. Die Gefahr einer Ansteckung durch verseuchtes Blut des Patienten, etwa mit AIDS- oder Hepatitis-Viren, ist also groß, waren Rehage und Riess sicher, und relativ schnell konnten sie sich auch über das Prinzip verständigen, das einem schützenden Handschuh zu Grunde liegen müsste. "In einer Kautschukhülle", er-zählt Rehage, "befindet sich eine dichte Lage flüssiger Tröpfchen, die ein virustö-tendes Tensid, ein Viruzid, enthält. Wenn sich ein Chirurg beim Nähen einer Wun-de mit der Nadel verletzt, wird diese, wenn sie durch den Handschuh dringt, sofort desinfiziert, Viren im Blut des Patienten werden sicher abgetötet. Denn das Viruzid sprengt die Proteinhülle des Virus, der dann relativ schnell stirbt."

    Das klingt einfach, aber so einfach war es nicht. "Das große Problem", sagt Rehage, "war es, die Tensidtröpfchen in der Kautschukmatrix zu stabilisieren. Denn sie ha-ben einen Durchmesser von nur zehn Mikrometern (ein Mikrometer = ein milli-onstel Meter), können also durch den porösen Kautschuk austreten, wenn man sie daran nicht hindert. Das geschieht durch spezielle Blockpolymere, die von der Fir-ma Goldschmidt speziell für diesen Zweck entwickelt wurden." Nähere Einzelhei-ten darüber berichtet der Chemiker nicht - der Handschuh ist patentreif. Nur Technische Details sind noch zu erfahren.

    Partner bei der Entwicklung des Handschuhs war neben der Goldschmidt AG in Essen die Firma Hutchinson bei Paris. Hutchinson hat auch bereits eine Pilotanlage errichtet, in der der Handschuh produziert wird, und es gibt einige Krankenhäuser in Deutschland und Frankreich, deren Ärzte das Produkt im Alltag intensiv testen. Bevor es in großem Maßstab eingesetzt werden kann, muss es als medizinisches Hilfsmittel aber noch etliche "Behördengänge" bestehen. Sie könnten, meint Reha-ge, etwa ein Jahr beanspruchen.

    Im Institut für Umweltanalytik wird diese Wartezeit rasch vergehen; es gibt eine Fülle anderer Projekte, mit denen sich die Wissenschaftler befassen, mit Mikrokap-seln und Vesikeln zum Beispiel. Beides sind einander ähnliche mikroskopisch kleine Systeme. Zwischen 0,01 und 50 Mikrometer messen sie und werden benutzt zum Transport von Medikamenten, Duftstoffen, Dünger oder Pflanzenschutzmitteln. Die Technologie zur Synthese von Mikrokapseln wird auch benutzt, um die Ver-teilung von Erdöl auf der Wasseroberfläche zu verhindern. In der Arbeitsgruppe von Rehage wurden spezielle Hilfsmittel entwickelt, die auslaufendes Erdöl auto-matisch in Mikrokapseln überführen. Diese schwimmen dann auf der Wasserober-fläche und können abgeschöpft werden. So lassen sich bei Tankerunglücken die Umweltschäden in begrenztem Rahmen halten.

    Umgekehrt verhält sich die Sache mit den Vesikeln. Sie sind die Transportbehälter der Natur. Sie nehmen Stoffe - zum Beispiel Schadstoffe in kontaminierten Böden - durch ihre Membran auf. So kann man Erdreich entgiften. Mit Wasser werden die fleißigen Transportkolonnen aus dem Boden gespült, wenn sie sich dort mit den Giftpartikeln "vollgesogen" haben.

    Ein drittes Arbeitsgebiet sind "künstliche Muskeln", winzige biomechanische Ma-schinen, die mit Hilfe spezieller Kapseln auf Halbleiterplatinen aufgebaut werden und sich mit diesen zu multifunktionalen Systemen arrangieren können. "Ein sehr zukunftsträchtiges Arbeitsgebiet", meint Rehage und stellt sich Anwendungen bei Sensoren oder mikroskopisch kleinen Motoren oder Ventilen vor.

    Redaktion: Monika Rögge, Telefon (02 01) 1 83-20 85
    Weitere Informationen: Professor Dr. Heinz Rehage, Telefon (02 01) 1 83-39 87


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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