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19.10.1995 00:00

Rechtsstreitfall als Strukturwandel

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Bochum, 19.10.1995, Nr. 173

    Wie der Bergbau dem Bauer das Wasser abgrub ...

    Bauer Vierhaus ./. Zeche Dannenbaum anno 1898

    Bergschadenprozess zeigt Strukturwandel im Ruhrgebiet

    Bauer Heinrich Vierhaus aus Bochum traf es um die Jahrhundertwende wirklich hart: Erst gewinnt er eine Reihe von Prozessen gegen die benachbarte Zeche und dann bringt ihn das dubiose Geschaeftsgebaren seines Sohnes um den Besitz seines ganzen Hofes. Den Bergschadenprozess zwischen Landwirt Vierhaus zu Wiemelhausen ./. Zeche Dannenbaum zu Bochum hat Prof. Dr. Christoph Krampe (Buergerliches Recht, Antike Rechtsgeschichte und Roemisches Recht, Juristische Fakultaet der Ruhr-Universitaet Bochum) aufgearbeitet, um Aspekte des Strukturwandels im Ruhrgebiet der Gruenderjahre lebendig erscheinen zu lassen. Die Rede von Prof. Krampe (Anlass: 70. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Paul Mikat) hat jetzt hat das Institut fuer Berg- und Energierecht in Zu- sammenarbeit mit der Pressestelle der RUB als kleine Festschrift veroeffentlicht. Interessenten koennen sie kostenlos ueber die Pressestelle beziehen.

    Der Fall hat sich in Wiemelhausen zugetragen, das heute zum Bezirk Bochum-Sued gehoert. Den Stadtteil durchquert, wer von der Innenstadt ueber die Universitaetsstrasse zur RUB faehrt. Wiemelhausen wurde 1904 eingemeindet. Hier lebte die alteingesessene, katholische Familie Vierhaus. Mittelpunkt des Hofes war zunaechst der Stratmann-Hof an der Wiemelhauser Strasse, spaeter der Hof am Kommunalweg nach Steinkuhl, der seit der Eingemeindung Querenburgs im Jahre 1929 Querenburger Strasse heisst. Im Jahre 1864 uebergab Anton Vierhaus den Hof, den er durch Heirat geerbt hatte, seinem Sohn Heinrich Vierhaus. Der Hof umfasste zahlreiche Grundstuecke in Wiemelhausen. Dazu gehoerten auch mehrere Steinbrueche, die zum Ausbau der Zechen und der Kommunalwege dienten. Auf dem Hof befand sich ein Brunnen. Noch zu Beginn der 1880er Jahre diente er als Viehtraenke. Zu dieser Zeit war die Industrialisierung des Ruhrgebiets durch den Bergbau bereits voll im Gange. Infolge des Berg- baubetriebs der benachbarten Zeche Friederika trocknete der Brunnen aus. Noch bevor dem Brunnen das Wasser entzogen wurde, hatte der Bauer ihn erweitern und vertiefen lassen. Heinrich Vierhaus, den man sich als eine markante, auch ein wenig streitbare westfaelische Bauernpersoenlichkeit vorstellen muss - zeitweise war er auch Gemeindevorsteher -, verlangte Ersatz fuer den Schaden, der durch die Austrocknung seines Brunnens entstanden war. Er klagte vor dem Essener Landgericht gegen die Zeche und bekam recht: Das Allgemeine Berggesetz (ABG) Preussens sah vor, dass die Zeche Entschaedigung zu leisten haette, "ohne Unterschied, ob der Betrieb unter dem beschaedigten Grundstueck stattgefunden hat oder nicht." So wurde der Vierhaus'sche Hof an die zecheneigene Wasserleitung angeschlossen und kostenlos mit Wasser versorgt. 1895 gruendete Heinrich Vierhaus eine Ringofenziegelei. Er hatte erkannt, dass im Zuge des Strukturwandels der Region ein zweites wirtschaftliches Standbein neben der Landwirtschaft ratsam war. Um die Jahrhundertwende war die "Ringofen-Ziegelei Heinr. Vierhaus" in Wiemelhausen ein fester Begriff. Auch fuer diesen neuen Betrieb forderte Heinrich Vierhaus kostenloses Wasser von der Zeche, da er ja auf das Wasser seines Brunnens nicht mehr zurueckgreifen konnte. Die beklagte Aktiengesellschaft Zeche Dannenbaum, die die Gewerkschaft Zeche Friederika 1889 erwarb, stellte sich auf den Standpunkt, sie schulde Schadensersatz nur entsprechend den Verhaeltnissen, wie sie seinerzeit bei der Austrocknung des Brunnens gegeben waren. Wenn aber der Landwirt nachtraeglich eine Ziegelei gruende, so sei sie nicht gehalten, auch noch das dafuer benoetigte Wasser kostenfrei zu liefern. Zudem bestritt die Zeche, dass der Brunnen je soviel Wasser gefuehrt hatte, wie Vierhaus nun verlangt. Erneut gewann Vierhaus den Prozess gegen die Zeche. Das Gericht stellte durch Sachverstaendigenbeweis und die Zeugenaussagen der benachbarten Gebrueder Huelsenbusch fest, "dass der Brunnen insbesondere nach dem Zeitpunkt, wo eine Hauptquellen-Ader erschlossen war, mehr Wasser lieferte, als [...] zu der heutigen Ringofen-Ziegelei des Klaegers notwendig ist." Also musste die Zeche dem Betrieb Vierhaus' das geforderte Wasser liefern. Bis zuletzt war Heinrich Vierhaus senior Eigentuemer des Hofes geblieben. Zu einer Hofuebertragung an seinen Sohn Heinrich konnte er sich nicht entschliessen. Doch Heinrich Vierhaus junior hat in einer Weise, die das Schicksal des Hofes besiegelte, nach aussen so gehandelt, als sei er der Hofeigentuemer. So beobachtete der alte Vierhaus im Juni 1907, wie ein Unbekannter sein Grundstueck vermass. Zur Rede gestellt, gab der Mann die Auskunft, er handele im Auftrag der Deutsch-Luxemburgischen Bergwerks- und Huetten AG, die das Grundstueck gekauft habe. Schliesslich kam folgendes ans Tageslicht: Um das Unternehmen eines Vetters zu unterstuetzen, hatte Heinrich Vierhaus junior, mit dem Namen "Heinrich Vierhaus" zeichnend, leichtsinnigerweise mit einer Kreditaufnahme die Grundstuecke des Vaters belastet. Schlimmer noch: Er hatte den Hof auch noch fuer 2300 Mark pro Morgen an die Bank verkauft. Da der Kredit nicht zurueckgezahlt werden konnte, kam es zur Zwangsverwaltung des Hofes und dann zur UEbernahme durch die Bank an die Deutsch-Luxemburgischen Bergwerks- und Huetten AG. Um seinen Sohn vor dem drohenden Gefaengnis zu bewahren, erklaerte Heinrich Vierhaus senior die von seinem Sohn unberechtigterweise geschlossenen Vertraege fuer gueltig. Junior Vierhaus setzte sich mit unbekanntem Ziel ins Ausland ab. Die Eltern fanden Aufnahme bei der Familie der Tochter. Vierhaus senior hat detailliert aufgezeichnet, wie sein Sohn schliesslich "die ganze Familie um ihr noch zustehendes Vermoegen (gebracht), sich und die Eltern ruiniert und ungluecklich gemacht hat". Am 2. Mai 1911 starb der Bauer Vierhaus in Muelheim an der Ruhr. Bergbau und Industrialisierung haben im Ruhrgebiet die ueberkommenen landwirtschaftlichen Strukturen verdraengt. Deshalb liess sich auch der Vierhaus-Hof auf Dauer nicht halten. Den Schadensersatzprozess wegen seines Brunnens konnte der Landwirt zwar als Erfolg verbuchen, doch langfristig ist seinem Hof durch den expandierenden Bergbau das Wasser abgegraben worden. Die Rechtsgeschaefte des Sohnes haben diesen Prozess des Strukturwandels wohl nur beschleunigt.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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