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07.04.1998 00:00

Die 'Polizey' und die Mütter

Gerhard Harms Presse & Kommunikation
Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg

    CARL VON OSSIETZKY-UNIVERSITAET OLDENBURG PRESSEMITTEILUNG 99/98

    "Polizeyliche" Bemuehungen ums weibliche Geschlecht

    Oldenburg. "Nicht die Natur des Weibes, sondern dessen Lebensart hat sich veraendert: Das viele Thee- und Caffeetrinken, die uebertriebene Neigung zum taeglichen und bis in die spaete Nacht anhaltenden Spielen, die seltsamen Kleidertrachten, die neuerfundenen Arten, bis zum Schwindel und Niedersinken zu tanzen, das vernachlaessigte Stillen eigener Kinder, das viele die Einbildungskraft und das Blut erhitzende Lesen besonderer Buecher". Mit solcherlei Klagen begruendete der "Polizeywissenschaftler" Johann Peter Frank (1745-1821), der beruehmteste Vertreter seiner Zunft, die "polizeyliche" Erziehung des weiblichen Geschlechts im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert in Deutschland.

    Anstatt sich dem Genuss hinzugeben, sollten sich die Frauen "ihrer Bestimmung gemaess auf ihre ureigene Rolle als Muetter und vernuenftige und haeusliche Gattinnen" besinnen. Ziel dieser Politik war es, so konstatiert die Oldenburger Paedagogin Dr. Sabine Toppe in einem Beitrag fuer das Forschungsmagazin der Universitaet EINBLICKE, die soziale und politische Unterordnung der Frau, die den sich allgemein durchsetzenden buergerlichen Prinzipien von Freiheit und Gleichheit eklatant widersprach, zu legitimieren (Die Polizey und die Muetter, EINBLICKE Nr. 27, S. 14-16).

    Die "Polizey" zur Zeit des aufgeklaerten Absolutismus unterscheidet sich nicht nur in ihrer Schreibweise von der heutigen Polizei. Sie war nicht allein fuer Verbrechensbekaempfung und Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung, sondern auch fuer Gesetzgebung und die private wie allgemeine "Glueckseligkeit" zustaendig. Die Polizey verkoerperte die gesamte innere Staatsverwaltung und ihr Gegenstand war nahezu grenzenlos. So gab es eine "Moralpolizey", eine "Kultur- und Bildungspolizey", eine "medizinische Polizey", eine "Armenpolizey", eine "Bevoelkerungspolizey" und eine "Polizey der Sittlichkeit". In dem weiten Aufgabenfeld nahm die Erziehung der Frauen zur Mutterschaft einen breiten Raum ein. Es gab dazu keine zeitgenoessische Entsprechung in anderen europaeischen Laendern, was, so die Oldenburger Wissenschaftlerin, "diese Form staatlicher Erziehung und Kontrolle und Weiblichkeit einzigartig" mache.

    Den "Polizeywissenschaftlern" erschienen die Frauen als potentielle Verweigererinnen im Bereich der Kinderpflege und Erziehung. So richteten sie ihre Bemuehungen darauf, die Muetter auf ihre "natuerlichste" Mutterpflicht festzuschreiben, naemlich das Stillen. Johann Peter Frank entwarf sogar eine "Stillordnung", die per Gesetz Frauen zum Stillen verpflichtete. Nicht-stillende Muetter bezeichnete er als "Halbmuetter" und prophezeite ihnen haeufigere Krankheiten und eine hoehere Muettersterblichkeit als den "wahren Muettern". Das Stillen erscheint in der polizeywissenschaftlichen Literatur nicht nur als eine Taetigkeit, der entscheidenden Einfluss auf die Saeuglingssterblichkeit beigemessen wurde, sondern die stillende Mutter wurde als Ausgangspunkt einer guten Gesellschaft konzipiert und entscheidend zur Aufwertung von Mutterschaft und buergerlicher Haeuslichkeit benutzt. 1794 wurde die Verpflichtung der Frau zum Selbststillen im Allgemeinen Preussischen Landrecht gesetzlich festgeschrieben, ebenso wurden Gebaeranstalten und Findelhaeuser eingerichtet und Gesetze zur Verhinderung des Kindesmords und zur "Besserung" lediger Muetter erlassen.

    Die buergerliche Mutterrolle habe sich schliesslich durchgesetzt, so Toppe, und zwar zunaechst bei den buergerlichen Frauen, die dieses Leitbild spaeter an alle anderen Schichten weitergaben. Staat und Polizey haetten somit entscheidend dazu beigetragen, "die moderne Mutterrolle und heute noch aktuelle Vorstellungen von Weiblichkeit festzuschreiben und zu verbreiten und damit die hierarchische Ordnung der Geschlechterverhaeltnisse zu erhalten".

    Kontakt: Dr. Sabine Toppe, Institut fuer Erziehungswissenschaft 1 Fachbereich Paedagogik, Carl von Ossietzky Universitaet Oldenburg Tel.: 0441/798-2051


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Recht
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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