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02.05.2000 12:00

Teamwork im Kleinhirn: Zellgruppen als Zeitmesser

Dr. Ellen Katz Kommunikation und Medien
Universitätsklinikum Tübingen

    Die Zeitschrift Nature verlangt die Einhaltung einer Sperrfrist bis 3. Mai, 19.00 Uhr. Wir bitten auch im Namen der Autoren um Beachtung! Vielen Dank.

    Nature Publikation zur Zeitmessung durch das Kleinhirn vom 4.5. 2000

    Am 4. Mai wird in der renommierten Wissenschaftszeitschrift "Nature" ein Beitrag** der Arbeitsgruppe des Tübinger Wissenschaftlers Prof. Hans Peter Thier, Neurologische Universitätsklinik Tübingen, zur Zeitmessung durch spezielle Kleinhirnzellgruppen erscheinen.

    Das Kleinhirn ist ein Teil unseres Gehirns, der seinen Namen zu Unrecht trägt: Sein Volumen ist zweifellos kleiner als das des Großhirns, aber die Zahl der Nervenzellen, also die Zahl der elementaren Bausteine des Gehirns, die die Rechenleistung des Gehirns bedingen, übertrifft die des Großhirns bei weitem. Anatomen waren von alters her vom Bau des Kleinhirns fasziniert. Das Kleinhirn weist eine phantastische Furchung auf, die letztlich dazu dient, seine Oberfläche zu vergrößern. Bei mikroskopischer Betrachtung gleicht es einem regelmäßig gebauten Kristall, der drei senk-recht aufeinander stehende Vorzugsachsen aufweist. Eine dieser Achsen wird durch die Verlaufsrichtung dichter Nervenfaserbündel, der Parallelfasern, bestimmt, auf denen sich Nervenimpulse mit einer konstanten Geschwindigkeit ausbreiten. Ein Be-obachter, der weiter entfernt vom Ausbreitungsort dieser Nervenimpulse auf solchen Parallelfasern positioniert wäre, würde von ihnen einige Sekundenbruchteile später erreicht werden als ein Beobachter, der der Quelle näher ist.
    Die Beobachter der Parallelfaser-Erregungswelle sind im realen Kleinhirn die sog. Purkinje-Zellen, sehr große und die vielleicht schönsten Nervenzellen des Säugetier-gehirns. Sie sind entlang der Parallelfaserbündel angeordnet und greifen die Nervenimpulse von den Parallelfasern ab. Sie "sehen" diese Nervenimpulse je nach ihrer Position einige Sekundenbruchteile früher oder später, messen also gleich einer Stoppuhr Zeitintervalle.
    Der Gedanke, dass dieser Teil des Kleinhirns als Uhr arbeiten könnte, die Zeitinter-valle mißt, wurde erstmals in den 60er Jahren von Valentino Braitenberg, bis vor we-nigen Jahren Direktor am Tübinger Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik, geäußert und übrigens auch in Nature publiziert. Thier, Dicke und Haas aus der Tü-binger Neurologie und Barash vom Weizmann Institute in Rehovot, Israel, haben nun in gemeinsamen Experimenten, die durch die Forschungsförderung der German-Israeli-Foundation und der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglicht wurden, wichtige physiologische Erkenntnisse dafür erbringen können, dass nicht einzelne Purkinjezellen sondern Gruppen solcher Purkinjezellen - gleichsam im Konzert - Zeiten messen.
    In ihren Experimenten konnten sie zeigen, dass solche Zellgruppen die Dauer von schnellen Augenbewegungen bemessen. Solche Augenbewegungen werden in erster Näherung mit konstanter Geschwindigkeit ausgeführt. Sie werden umso größer, je länger sie dauern. Mit anderen Worten, das Kleinhirn bestimmt das genaue Ausmaß der Bewegung dadurch, dass es eine präzise, wohlbemessene Bewegungsdauer vor-gibt.
    Nicht nur Augenbewegungen sondern jede Art von Bewegung muß präzise zeitlich abgestimmt werden. Und nicht nur Bewegungen sondern auch Wahrnehmung, Denken und Fühlen finden in der Zeit statt und müssen in der Zeit abgestimmt werden.

    Die Befunde von Thier et al. sprechen dafür, dass das Kleinhirn eine elementare Leistung, die Messung von Zeitdauern für eine Vielfalt von höheren Hirnleistungen bereitstellen könnte. Der Verlust dieses elementaren Prinzips bei Kleinhirnerkrankungen erklärt, dass Motorik, aber auch Wahrnehmen, Handeln, Denken und Fühlen zwar noch möglich sind, aber an Genauigkeit, an Präzision und an Abstimmung verlieren.

    Ansprechpartner für nähere Informationen:
    Universitätsklinikum Tübingen
    Neurologische Klinik
    Prof. Dr. Hans-Peter Thier
    Hoppe-Seyler-Str. 3, Tübingen
    E-Mail: thier@uni-tuebingen.de
    Telefon 0 70 71/29-8 56 62, Fax 0 70 71/29-52 60

    ** "Encoding of movement time by populations of cerebellar Purkinje cells"
    by Peter Thier et al. (Dept of Neurology, University of Tubingen), Shabtai Barash (Dept of Neurobiology, Weizmann Inst, Rehovot)


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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