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05.05.2000 07:54

Russische Bevölkerung trägt Folgen der Krise von 1998

Ingrid Dede Bereich Öffentlichkeitsarbeit
Institut für Wirtschaftsforschung Halle

    In einer jüngst abgeschlossenen Studie kommt das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zu dem Schluss, dass die russische Wirtschaft die Folgen der Finanz- und Währungskrise vom August 1998 weitgehend überwunden hat, zu allerdings hohen sozialen Kosten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs im vergangenen Jahr um 3,2 vH, nachdem es im Krisenjahr 1998 um nahezu 5 vH gefallen war. Die zwischenzeitlich gestiegene Inflationsrate nahm von Monat zu Monat ab und betrug im März 2000 nur noch 0,6 vH gegenüber dem Februar. Im Jahresdurchschnitt betrug die Inflationsrate gut 86 vH. Der Anteil der Bevölkerung mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze stieg im vergangenen Jahr von knapp 24 vH auf 30 vH. Besonders betroffen von der Inflation waren die Rentnerhaushalte.

    In einer jüngst abgeschlossenen Studie kommt das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zu dem Schluss, dass die russische Wirtschaft die Folgen der Finanz- und Währungskrise vom August 1998 weitgehend überwunden hat, zu allerdings hohen sozialen Kosten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs im vergangenen Jahr um 3,2 vH, nachdem es im Krisenjahr 1998 um nahezu 5 vH gefallen war. Die zwischenzeitlich gestiegene Inflationsrate nahm von Monat zu Monat ab und betrug im März 2000 nur noch 0,6 vH gegenüber dem Februar. Im Jahresdurchschnitt betrug die Inflationsrate gut 86 vH. Der Anteil der Bevölkerung mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze stieg im vergangenen Jahr von knapp 24 vH auf 30 vH. Besonders betroffen von der Inflation waren die Rentnerhaushalte.
    Zur wirtschaftlichen Erholung trugen bessere äußere Bedingungen bei, wie insbesondere die Beseitigung der Überbewertung des Rubels, der Anstieg des Rohölpreises und die Belebung der Weltkonjunktur. Aber auch die binnenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich verbessert; die meisten Indikatoren signalisieren ein deutlich abnehmendes Krisenpotential der Volkswirtschaft.
    Besonders positiv wirkten sich die inneren und äußeren Rahmenbedingungen für die Industrie aus, deren Bruttoproduktionswert um gut 8 vH zunahm. Nach der Abwertung des Rubels in den letzten Monaten 1998 stieg die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Produkte, und die Nachfrage schwenkte von importierten zu im Inland produzierten Gütern um. Besonders deutlich kam die Importsubstitution im vergangenen Jahr der Konsumgüter erzeugenden Leichtindustrie zugute.
    Auf der Verwendungsseite der Volkswirtschaft expandierte der Außenbeitrag hauptsächlich durch den starken Rückgang der Importe. Die Handelsbilanz schloss 1999 mit einem Rekordüberschuss von knapp 35 Mrd. US-Dollar ab (1997 und 1998: 17 Mrd. US-Dollar). Dies trug entscheidend dazu bei, dass der traditionelle Überschuss in der Leistungsbilanz einen Rekordwert von 25 Mrd. US-Dollar erreichte, nachdem 1998 erstmals ein Defizit drohte. Während jedoch die Exporte nahezu konstant blieben, sanken die Importe um etwa 18 Mrd. US-Dollar.
    Im vergangenen Jahr kam es erstmals seit 1990 zu einem Wachstum der Brutto-Anlageinvestitionen (4,5 vH). Dies ist ein positives Zeichen, zumal auch in den ersten Monaten des Jahres 2000 die Anlageinvestitionen wuchsen, und zwar um 6 vH. Keinerlei Wachstumsimpulse gingen dagegen vom Verbrauch aus. Die Realeinkommen der Bevölkerung sanken im vergangenen Jahr um 15 vH, was sich in rückläufigen Einzelhandelsumsätzen fortsetzte. Der reale Staatsverbrauch stagnierte, und der föderale Haushalt erzielte einen Primärüberschuss.
    Trotz erster Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung stieg die Arbeitslosenquote von 11,9 vH jahresdurchschnittlich auf 12,5 vH. Die Erholung kam stattdessen in einem Anstieg der Beschäftigung von fast 1 Mio. Personen zum Ausdruck. Die Diskrepanz zwischen beiden Entwicklungen ist zum einen einem demografischen Faktor (Anstieg der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) und zum anderen einer höheren Erwerbsquote zuzuschreiben. Letzteres dürfte mit den rapide gefallenen Realeinkommen insbesondere der Rentnerhaushalte zu erklären sein. Folglich drängten mehr Personen auf den Arbeitsmarkt, so dass zunächst die Arbeitslosigkeit und erst später die Beschäftigung stieg. Die Arbeitslosenquote lag im vierten Quartal 1999 um 1,8 Prozentpunkte niedriger als im ersten Quartal, so dass auch hier die Belebung zum Ausdruck kam.
    Ein stagnierender Staatsverbrauch und gestiegene Einnahmen des Staates infolge der verbesserten Lage der Unternehmen ließen auch das Defizit im konsolidierten Haushalt auf 1 vH des BIP sinken. Geldpolitisch wurde ein leicht lockerer Kurs gefahren. Der nominale Wert des Rubel konnte auf dem geplanten Niveau gehalten werden, wobei die Zentralbank allerdings mehrmals intervenieren musste. Der reale Kurs des Rubel blieb gegenüber dem US-Dollar weitgehend konstant, berücksichtigt man die Verbraucherpreise. Auf Basis der Erzeugerpreise ergab sich indes eine reale Aufwertung, die einen Teil der Abwertung nach der Währungskrise kompensierte. Diese Aufwertung war aber insofern nicht problematisch, weil sie bei stark rückläufiger Inflation, leichtem Wirtschaftswachstum und erheblichen Devisenzuflüssen stattfand, und der Rubel nicht überbewertet ist. Im vergangenen Jahr kam es zu erheblichen Kapitalabflüssen, die mit den laufenden Deviseneinnahmen finanziert wurden. Die Kapitalabflüsse gingen auf die massive Auflösung von Portfoliobeständen ausländischer Anleger und auf eine Reduktion von Forderungspositionen ausländischer Gläubiger zurück. Der Zufluss an ausländischen Direktinvestitionen blieb mit 3 Mrd. US-Dollar gering.
    Ordnungspolitisch war das vergangene Jahr allerdings ein Jahr der Stagnation. Die Privatisierung kam kaum voran, obwohl noch ein großer Bestand an staatlichen Unternehmen vorhanden war. Nach wie vor war das Klima für Investitionen, insbesondere ausländische Investitionen, ungünstig. Die politischen Rahmenbedingungen für die Aufhebung der Reformblockade der vergangenen Jahre haben sich seit den Parlaments- und Präsidentenwahlen aber erheblich verbessert. Vordringlich ist eine Reform der öffentlichen Haushalte und der Rentenversicherung mit dem Ziel, das Investitionsklima zu verbessern bzw. die Armut zu bekämpfen.
    Solange der Rubel nicht überbewertet ist, und dafür gibt es derzeit keine Anhaltspunkte, stellt der gegenwärtige Wechselkurs eine solide Wachstumsbasis dar. Im laufenden Jahr werden die Investitionen weiter und der private Konsum wieder steigen. Demgegenüber wird die Nachfrage des Staates weiter rückläufig ausfallen (der Primärüberschuss soll auf 3 vH steigen) und eine abermalige starke Steigerung des Außenbeitrages wird nicht eintreten. Eher wird der Leistungsbilanzüberschuss angesichts wieder steigender Importe und möglicherweise fallender Rohölpreise etwas abnehmen. Für die deutsche Exportwirtschaft wird sich der russische Markt im laufenden Jahr sichtlich erholen, nachdem die deutschen Ausfuhren im vergangenen Jahr um 30 vH rückläufig waren.
    Eine Prognose wird insbesondere von Unsicherheiten belastet, die von den öffentlichen Haushalten ausgehen: Das Budget für das laufende Jahr sichert noch nicht die Tilgungszahlungen an ausländische Gläubiger. Neue Kredite des Auslandes würde es erfordern, dass der IWF die Suspendierung seines Abkommens mit Russland seit Dezember 1999 aufhebt. Andernfalls müsste die Ersparnis des Staates viel höher als geplant ausfallen, so dass sich ein wachstumsbremsender Effekt ergäbe. Vor diesem Hintergrund ist für das Jahr 2000 eine Wachstumsrate des realen BIP von nicht mehr als 3,5 vH zu erwarten, für das Jahr 2001 unter sonst gleichen Bedingungen von 2,5 vH bis 3 vH. Die Inflationsrate wird im Jahresdurchschnitt 2000 etwa 20 vH betragen. Im übrigen stehen die Hallenser Wirtschaftsforscher dem Wunsch der russischen Seite, die Gläubiger des Pariser Clubs mögen ebenfalls eine großzügige Schuldenstreichung wie der Londoner Club vornehmen, skeptisch gegenüber. Russland ist nicht überschuldet, sondern leidet unter Kapitalflucht, und diese ist mit einer Schuldenstreichung nicht zu beherrschen.

    Hubert Gabrisch
    Institut für Wirtschaftsforschung Halle
    Abteilung Mittel- und Ostdeuropa
    Tel. 0345/77 53 830
    gab@iwh.uni-halle.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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