Öko-Landbauforschung, Umweltforschung, Gesundheitsforschung - was sich theoretisch optimal ergänzen könnte, existiert derzeit in der wissenschaftlichen Praxis noch nahezu berührungsfrei nebeneinander her. Dass dies so ist, bezweifelte keiner der Diskussionsteilnehmer am Symposium "Selbstüberschätzung, Berührungsängste oder Dialogbereitschaft? Kooperationshemmnissen und -chancen am Beispiel der Agrarforschung und der Umweltwissenschaften" auf der 9. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau an der Universität Hohenheim.
Die Podiumsgäste Prof. Ulrich Köpke vom Institut für Organischen Landbau der Universität Bonn, Dr. Stefan Klotz, Leiter des Departments Biozönoseforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig-Halle, Josef Braun, Bioland-Landwirt in Freising und Prof. Albrecht Müller, Leiter der Koordinationsstelle Umwelt an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, fanden zahlreiche Gründe für das geringe Kooperationsinteresse: Hinderlich seien zum Beispiel die "kulturellen" Eigenheiten, die die verschiedenen Disziplinen, oft sogar schon einzelne Institute prägten, bis hin zu gravierenden Unterschieden in den verschiedenen Fachsprachen. "Jede Community hat ihre eigenen Zeitschriften und Medien," stellte Klotz fest und räumte auch für sich selbst ein, bis zur Symposium-Einladung nur wenig über die Öko-Landbau-Forschung gelesen zu haben. Generell werde das interdisziplinäre Forschen aber bereits durch die strikte Trennung von Verantwortlichkeiten auf Ebene der Bundesministerien (z.B. BMU, BMELV, BMBF) behindert; disziplinär ausgelegte, jeweils isolierte Forschungsförderprogramme seien die Folge.
Gerade bei den breit aufgestellten Lebenswissenschaftlern ist die Tendenz, wissenschaftliche Fragestellungen lieber selbst zu bearbeiten, statt einen Experten der angrenzenden Disziplin hinzuzuziehen, ausgeprägt. Anschaulich verdeutlichte dies Prof. Köpke für Agrarwissenschaftler und Ökologen: "Wenn er unter dem Zaun grast, grast er auf vertrautem Feld." Beide beforschen grundsätzlich die gleichen Flächen, arbeiten methodisch mit vergleichbarem Instrumentarium - doch von einer anderen Warte aus. Darum wäre es häufig sinnvoll und für das Forschungsergebnis von Bedeutung, würden die Wissenschaftler die Grenzen ihrer Disziplin akzeptieren und kooperieren: Wenn bei Fragen zum Naturschutz auf Agrarflächen Ökologen und Agrarwissenschaftler zusammenarbeiten würden oder bei Problemen des Gesundheitswertes von Lebensmitteln Mediziner, Ernährungs- und Agrarwissenschaftler.
Als eine Wurzel des Problems sprach Landwirt Sepp Braun das Studium an, in dessen Verlauf angehende Wissenschaftler kaum Kontakt zu den Nachbardisziplinen hätten und sich damit das für eine gute Zusammenarbeit erforderliche Vertrauen nicht aufbauen könnte. "Viele Probleme in der praktischen Landwirtschaft würden gar nicht entstehen, wenn Landmaschinen-Ingenieure Bodenkundler ernst nehmen würden," erläuterte Braun die Folgen. Weniger offensichtlich, doch von mindestens ebenso großer Bedeutung schätzte Prof. Müller die Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern mit Geisteswissenschaftlern ein. Gerade Umweltforscher oder Ökolandbauforscher hätten durchaus bestimmte ethische Vorstellungen und Motivationen, die sie allerdings nicht explizit machten. Kooperation in der Forschung könne jedoch nur gelebt werden, wenn diese "heimliche" Bewertung angesprochen werde und nicht als Vermutung, die jeweilige Gegenseite sei bezüglich einer Forschungsfrage ohnehin "voreingenommen", im Raum stehen bleibe.
Viele gute Gründe sprechen für Kooperationen von Wissenschaftlern, viele verhindern diese aber wirkungsvoll. Doch manche davon können allein mit gutem Willen beseitigt werden und dafür ist es höchste Zeit: Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Jürgen Mittelstraß hat die Notwendigkeit fachübergreifender Zusammenarbeit mit folgenden Worten beschrieben: "Probleme, die technische Kulturen, d. h. die modernen Industriegesellschaften, heute im überreichen Maße haben, tun uns nicht den Gefallen, sich als Probleme für disziplinäre Spezialisten zu definieren."
Ansprechpartner:
Stefan Lange
Geschäftsstelle Bundesprogramm Ökologischer Landbau in der BLE
- Forschungsmanagement -
Deichmanns Aue 29, D - 53179 Bonn
Tel.: +49 (0)228-6845-3930
Fax: +49 (0)228-6845-2960
E-Mail: stefan.lange@ble.de
http://www.wissenschaftstagung.de/de/programm/detailprogramm.html#Symp6
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Meer / Klima, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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