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09.05.2000 16:09

20 Prozent weniger Studenten in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern

Dr. Birgit Spaeth Pressestelle
Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg

    TA-Akademie untersuchte im Auftrag des
    Wissenschaftsmi-nisteriums Baden-Württemberg die
    Studien- und Berufswahl junger Men-schen: Was zählt, sind
    persönliche Neigungen und Inte-res-sen und weniger die
    Berufschancen

    Ganze Branchen suchen nach Ingenieuren und Naturwissen-schaftlern - aber der Arbeitsmarkt scheint leergefegt. Nicht genug damit: Auch in Baden-Württemberg gibt es immer weniger Studie-rende in natur- und in-genieurwissenschaftlichen Fächern. In die-sen Studiengängen nahm die Zahl der Studienanfänger an den Hochschulen des Landes zwischen 1994 und 1998 um 20 Prozent ab. So sank etwa die Zahl der Studienanfänger in den Fä-chern Physik/Astronomie und Bauwesen um jeweils 32 Prozent, in Chemie um 30 Prozent, in Mathematik um 24 Prozent und bei der
    Elektrotechnik um 21 Prozent. Zudem weisen diese Fächer hohe Zahlen von Studienabbrechern und -wechslern auf: So erwägt etwa jeder zweite Chemiestudent, sein Studium ab-zubrechen oder zu wechseln. Dies ergab eine Studie* der Aka-de-mie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg (Stuttgart) im Auftrag des Wissenschaftsministeriums Baden-Württemberg.

    Die Studie dokumentiert, dass sich die Mehrheit der heutigen Abiturienten bei der Studien- und Berufswahl weder an gesellschaftli-chen und wirt-schaftlichen Anforderungen noch an Karrierechan-cen orien-tiert. Entscheidend ist vor allem die Ver-wirklichung persönlicher und fachlicher Interessen. Knapp 90 Pro-zent der Abiturien-ten geht es deshalb darum, dass ihr Beruf "inte-ressant" ist. Deutlich weniger träumen von hohem Einkommen (Frauen: 17 Prozent; Männer: 30 Prozent) oder gesell-schaftli-chem Nutzen (rund drei Prozent).

    Der Rückgang der Studienanfänger in technischen und naturwis-senschaftlichen Fächern ist nach der Studie zur Hälfte auf die sin-ken-den Geburtenzahlen seit Mitte der 60er Jahre zurückzufüh-ren. Dieser demographische Wandel betrifft zwar auch andere Stu-dienfächer - nur "profitieren" Geistes- und Sozialwissen-schaften vom über-proportionalen Rückgang der Studienanfänger in den technischen Fächern. Doch auch das mangelnde Vertrauen jun-ger Menschen in Arbeitsmarktprognosen beeinflusst die Stu-dien-wahl zuun-gunsten von Technik und Naturwissenschaft. So hält die Entlas-sungswelle, die Ingeni-eure und Techniker zu Be-ginn der 90er Jahre traf, von der Aufnahme eines In-genieurstudi-ums ab. Nur elf Prozent der Schüler, die ein ingenieurwissen-schaftliches Fach anstreben, begründen ihre Studienwahl mit gu-ten Berufsaus-sich-ten - bei Interessenten für wirtschaftswissen-schaftliche Fä-cher tun dies immerhin 26 Prozent. Skeptisch stimmt junge Men-schen auch, dass Führungs-kräfte in der Wirt-schaft zunehmend be-triebswirtschaftliche und weniger techni-sche Studien absolviert haben - und nach Angaben der Bundes-anstalt für Arbeit noch im-mer etwa 60.000 Ingenieure und rund 31.000 EDV-Spezialis-ten arbeitslos sind.

    Der Soziologe Dr. Michael Zwick von der TA-Akademie fragte unter anderem über 400 Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg danach, welche Faktoren ihre Studienentschei-dung beeinflussen. Sein Fazit: Mehr als zwei Drittel aller Befragten ma-chen die Studienfachwahl von persönlichen Neigungen und Be-gabungen abhängig. "In-divi-duelle Motive stehen dem hohen Grad gesellschaftlicher Individu-alisierung entsprechend ganz oben", so Zwick. Wichtige Bezugs-personen wie Eltern und Lehrer empfehlen technische und natur-wissenschaftliche Fächer eher selten. Wachsen junge Menschen zudem in einem Umfeld auf, das keine entspre-chenden Anreize bietet, sinkt die Motivation zum Studium technischer und natur-wissenschaftlicher Fächer noch mehr.

    Eine Rolle spielt dabei auch, dass die frühzeitige Vermittlung von Technik in unserer "vaterlosen Gesellschaft" immer mehr ab-nimmt: Väter sind häufig berufsbedingt abwesend, steigende Scheidungsraten führen zu immer mehr Ein-Eltern-Familien ohne Vater.

    Aber auch der mathematik- und theorielastige Physik- und Che-mieunterricht in den klassischen Gymnasien schreckt von in-geni-eur- und naturwissen-schaftlichen Studien ab: So nennen 30 Pro-zent der Abiturienten Physik als un-beliebtestes Schulfach, dicht gefolgt von Chemie. Dagegen stößt das - nur an techni-schen Gymnasien - unterrichtete Fach "Technik" auf fast unge-teilte Zu-stimmung. Außerdem kann von Technikfeindlichkeit bei jungen Leuten keine Rede sein: Über die Hälfte findet Sonnenenergie, Multimedia, Auto und Handy gut. 30 Prozent sind sogar ausge-sprochen tech-nikbegeistert, nur 22 Prozent bezeich-nen sich als eher skeptisch. "Kommt die Schule dieser Einstellung entgegen, wie die Technischen Gymnasien, so wird die Neigung zu techni-schen und naturwissenschaftlichen Studien gefördert", so Prof. Dr. Ortwin Renn, Sprecher des Vorstandes der TA-Akademie.

    Zwar nahm in Baden-Württemberg die Zahl der Frauen, die ein ingenieurwissenschaftliches Fach studieren, leicht ab (1996: 6.175; 1998: 5.781) - dennoch gilt Technik nicht mehr als reine Männersache: Nur noch drei Prozent der Schüler und 21 Prozent der Schülerinnen sind der Meinung, dass Technik Männersa-che sei. Männlichen Schü-lern wird dabei von Eltern, Lehrern oder Ämtern häufiger ein ingenieurwissen-schaftliches Studium nahe-gelegt als Mädchen - so rieten die Arbeitsämter nur 10 Prozent der ratsuchenden jungen Frauen, aber 30 Prozent der Männer zu einem ingenieurwissenschaftlichen Studium. Insgesamt liegt die Zahl der männlichen Schüler, die ein technisches Studium anstre-ben, rund zweiein-halbmal höher als die der Frauen. "In der Summe ergibt sich ein überra-schend starker geschlechtsspezifi-scher Zugang zu technischen und naturwis-senschaftlichen Stu-diengängen", resümiert Dr. Michael Zwick.

    Das Wissenschaftsministerium initiierte vor zwei Jahren eine In-formationskampagne. Die Hochschulen des Landes beraten ein-gehend über Studienmöglichkeiten und -chancen in den Ingeni-eur- und Naturwissenschaften. Bereits Anfang 1998 hatte Wis-senschaftsmi-nister Klaus von Trotha einen Arbeitskreis "Nach-wuchssituation im Ingenieur- und Informatikbereich" - unter ande-rem mit Vertretern der Wirtschaft - eingesetzt, der ein breites Maßnahmenbündel gegen den Mangel an Ingenieuren erarbei-tete. Minister von Trotha: "Erfreulicherweise stieg die Zahl der Studienanfängerplätze in den Infor-matikstudiengängen an den Hochschulen und Berufsakademien in Baden-Württemberg zwi-schen 1996 und 1999 um mehr als 40 Prozent. Auch in den Jah-ren geringer Nachfrage seitens der Wirtschaft und der Studienin-teressenten hat Baden-Württemberg die Kapazitäten in den In-formatikstudiengängen nicht etwa vermindert, sondern zum Teil sogar ausgebaut."
    Da vor allem die Schule persönliche Neigungen und Vorlieben - auch die zu Technik und Naturwissenschaft - fördert oder ab-schwächt, schlagen die Autoren der Studie unter anderem vor, die Lehr-pläne für naturwissenschaftliche Fä-cher an Gymnasien zu revidieren: weg von der theo-retischen und mathematischen Abstraktion, hin zu mehr Anschaulichkeit und Experimentiermög-lichkeiten. Auch eine flächendeckende Einführung des Fa-ches "Technik" an allen Gymnasien - neben dem herkömmlichen Phy-sikunter-richt - könnte nach Ansicht der Wissenschaftler langfristig die Bereitschaft zu technischen Stu-diengängen fördern. Schließ-lich sollte auf überzogene und un-kal-kulierbare Leistungsanforde-rungen an den Universitäten verzich-tet werden - überzogene Studienanforderungen und praxisferne Übungen sind nach der Studie Hauptgründe für den Abbruch des Studiums.

    Insgesamt hat jedoch die Technik in Baden-Württem-berg einen guten Ruf. Wissenschaftsminister Klaus von Trotha: "Schon die 1998 von der TA-Akademie in unserem Auftrag erar-beitete Studie "Wahrnehmung und Bewertung von Technik in Ba-den-Württem-berg" hat gezeigt, dass die Bevölkerung den Einsatz von Technik differenzierter und ausgewogener sieht als dies bis-her vielfach angenommen wird."

    *Zwick, Michael M. und Renn, Ortwin: "Die Attraktivität von technischen und naturwissenschaftlichen Fächern bei der Studien- und Berufswahl junger Frauen und Männer", (Präsentation der Akademie für Technikfolgenabschät-zung in Baden-Württemberg)
    Die Studie kann für DM 15 bei der Akademie für Technikfolgenabschätzung be-stellt werden: Fax 0711/9063-299

    Ansprechpartner: Dr. Michael Zwick, Tel. 0711/9063-163


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Bauwesen / Architektur, Biologie, Chemie, Elektrotechnik, Energie, Gesellschaft, Informationstechnik
    überregional
    Forschungsergebnisse, Studium und Lehre
    Deutsch


     

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