Medienmitteilung der Uni Bayreuth, Nr. 44/97, 1. August 1997
Wird am Dienstag im Bayerischen Geoinstitut installiert
NEUE SUPER-PRESSE ERLAUBT EINEN QUALITATIVEN HOCHDRUCKSPRUNG IN DER GEOFORSCHUNG
Messungen mit groesseren Proben moeglich - Europaeische Grossforschungseinrichtung
Bayreuth (UBT). Zu einem qualitativen "Hochdruck"-Sprung setzt das Bayerische Geoinstitut der Universitaet Bayreuth an: In einer naechtlichen Aktion wird naemlich naechsten Dienstag auf einem Spezialtransporter eine Presse nach Oberfranken transportiert, die eine kaum vorstellbare Presskraft von 5.000 Tonnen erzeugen kann. Am 5. August soll das Forschungswerkzeug, das selber 50 Tonnen wiegt, im Hochdrucklabor installiert werden, was alle Beteiligten zur Loesung erheblicher technischer Schwierigkeiten und Umbaumassnahmen zwingt. So werden etwas zwei Autokraene im Einsatz sein, einer davon mit einer Tragkraft von 200 Tonnen, die Zentimeterarbeit verrichten muessen.
Europaweit beste Apparaturen im Einsatz
Bereits jetzt sind am Bayerischen Forschungsinstitut fuer Experimentelle Geochemie und Geophysik, wie das Bayerische Geoinstitut offiziell genannt wird, die europaweit besten Apparaturen installiert. Sie erlauben es, in Druckbereiche bis max. 300 kbar (300.000 Atmosphaeren) und bis zu Temperaturen um 3000xC vorzustossen und so die Bedingungen bis unter die "Uebergangszone" zwischen oberem und unterem Erdmantel, bis in den oberen Teil des tieferen Erdmantels - das entspricht einer Tiefe bis ca. 700 km - zu simulieren. Bei diesen Pressen handelt es sich um sogenannte Multi-Anvil-Systeme (Vielstempel-Systeme), die in den letzten 20 Jahren in Japan entwickelt wurden. Am Bayerischen Geoinstitut ist seit 1989 eine 1200-Tonnen-Presse und seit 1992 ein 1000-Tonnen-System betrieben, die beide je etwa 15 Tonnen schwer sind.
Aehnliche "Multi-Anvil"-Systeme mit vergleichbarer Leistung finden sich nur noch in mehreren japanischen Laboratorien, sowie in Australien, den USA und in Kanada.
Entwicklung der Erde verstehen lernen
Die nochmals gesteigerte Pressleistung ist natuerlich kein technologischer Selbstzweck, sondern ordnet sich in Fragestellungen ein, denen die Geowissenschaftler auf der Spur sind. Ein Hauptziel solcher geowissenschaftlicher Forschungen, naemlich das Verstaendnis des Aufbaus, der Zusammensetzung, sowie der thermischen, mechanischen und chemischen Entwicklung der Erde.
Obwohl der Erdmantel ca. 90 % des Gesamtvolumens der Erde ausmacht, weiss die Menschheit zur Zeit nur wenig ueber diesen Bereich. Es gibt immer noch grosse Unsicherheiten ueber die Entwicklung des Erdmantels in Abhaengigkeit von der Zeit, eine moegliche chemische Schichtung im Erdmantel sowie ueber die Natur der seismischen Diskontinuitaeten, d. h. der Trennflaechen, an denen Erdbebenwellen abrupt ihre Geschwindigkeiten aendern. Und: Es besteht immer noch ein grosses Wissensdefizit ueber die Zusammensetzung des tieferen Erdmantels, die Dimension der Waermekonvektion im Erdmantel, ueber Prozesse des teilweisen Aufschmelzens und der Abtrennung von Teilschmelzen aus dem Magma.
Erkenntnisse der Geophysik
Da der Erdmantel fuer direkte Beobachtung nicht zugaenglich ist, stammt ein wesentlicher Teil der gegenwaertigen Kenntnis aus der Geophysik. Zum Beispiel haben in den letzten Jahren Fortschritte in der Erdbebenkunde (Seismologie) es ermoeglicht, die Geschwindigkeiten von Erdbebenwellen und die Tiefenlage der seismischen Diskontinuitaeten im Erdmantel sehr genau zu bestimmen. Weitere Messmethoden, die Geophysiker an der Erdoberflaeche einsetzen, um das Erdinnere zu erforschen, dienen der Bestimmung der elektrischen Leitfaehigkeit bzw. der magnetischen Eigenschaften des Erdinneren.
Zustaende wie im Erdinnern
Mit der Vorlage einer grossen Menge geophysikalischer Daten stellt jetzt die Uebertragung und Abstimmung dieser Daten mit den vorhandenen chemischen und mineralogischen Modellen der Erde ein wichtiges Ziel dar. Dazu ist es notwendig, im Labor die Zustaende des Erdinneren nachzustellen und entsprechende Experimente unter den Hochdruck- und Hochtemperatur -Bedingungen der dortigen Verhaeltnisse durchzufuehren. So werden etwa verschiedene chemische Grundstoffe in einem bestimmten Verhaeltnis vermischt und extremen Druecken und Temperaturen ausgesetzt, so dass sie moeglichst der unterschiedlichen Materie im Erdinneren entsprechen. Im Experiment werden an dieser Materie unterschiedliche physikalische Eigenschaften bestimmt, wie z. B. die Dichte, die elektrische und thermische Waermeleitfaehigkeit.
Ausloeser tiefer Erdbeben
In anderen Experimenten werden druck-/temperaturabhaengige Veraenderungen der Kristallstruktur bzw. die Umwandlung von fuer grosse Tiefen charakteristischen Mineralen untersucht. Die Umwandlungen und damit Veraenderungen der Kristallstruktur der Materie werden teilweise als Ausloeser von tiefen Erdbeben angesehen, die sich in bis zu 700 km Tiefe abspielen. Gerade zu diesem Themenkomplex hatten die Bayreuther Forscher kuerzlich die Hypothese vom sogenannten Transformationsbruch experimentell bestaetigen und ein lang andauerndes Raetsel fuer Geowissenschaftler loesen koennen. Schliesslich hilft die genauere Kenntnis von Eigenschaften unterschiedlich zusammengesetzter Gesteinsschmelzen bei der Abschaetzung des Gefaehrdungspotentials von Vulkanen.
Pressen zu fast 100 % genutzt
Bei allen diesen Forschungsbereichen sind Hoechstdruckpressen wichtiges Forschungshilfsmittel. Die beiden bisher in Bayreuth verfuegbaren Multi-Anvil-Systeme werden seit ihrer Installation zu annaehernd 100 % inklusive der Wochenenden genutzt. Jedes Jahr werden an ihnen ueber 500 Experimente, die je mindestens einen Tag benoetigen, durchgefuehrt. Die teilweise weniger als 1 mm3 grossen Versuchsprodukte aus den kleinen Probenkammern der Pressen werden mit einem hochaufloesenden Elektronenmikroskop, das eine bis zu zehnmillionenfache Vergroesserung erlangt, und mit weiteren Analysenmethoden mineralogisch und chemisch untersucht, um Antworten auf die geschilderten Fragestellungen zu finden.
Das neue, im sueddeutschen Raum gefertigte "Multi-Anvil_-System stellt mit einer Presskraft von 5000 Tonnen eine wesentliche Erweiterung der Moeglichkeiten des Hoechstdrucklabors im Bayerischen Geoinstitut dar. Die neue Presse wird sowohl dem Ziel dienen, unter Hochdruck/Hochtemperatur-Versuchsbedingungen Messungen durchzufuehren (in-situ-Messungen), als auch hoehere Absolutdruecke und groessere Probenvolumina bei der "kuenstlichen" Herstellung von Erdmaterie (Synthese-Experimente) zu gewaehrleisten.
EU-Grossforschungseinrichtung
Die Einzigartigkeit dieser Multi-Anvil-Systeme in Europa fuehrte zu einer wesentlichen finanziellen Foerderung des Hoechstdrucklabors durch die Europaeische Union. Es steht so als Grossforschungseinrichtung der Europaeischen Union Wissenschaftlern aus EU-Laendern zur Verfuegung.
Das Bayerische Geoinstitut wurde mit dem Hauptziel gegruendet, Zustaende und Prozesse im Erdinnern, insbesondere in grossen Tiefen durch Laborexperimente unter hohen Druecken und Temperaturen zu studieren.
Ein Charakteristikum des Instituts ist die enge Verflechtung verschiedener naturwissenschaftlicher Disziplinen. So sollen durch die Erforschung der Wechselbeziehungen zwischen Struktur, Chemismus, Mineralbestand und geowissenschaftlich relevanten physikalischen Eigenschaften gesicherte Modelle fuer den stofflichen Aufbau der Erde und zur Dynamik des Erdkoerpers entwickelt werden.
Als Ergebnis der erdwissenschaftlichen Forschungen in den Laboren des Bayerischen Geoinstitutes werden Beitraege und Modelle zu verschiedenen Fragestellungen erarbeitet, wie zum Beispiel
+ Bildung des Erdkerns und des Erdmantels in den Fruehstadien der Erdentstehung vor ca. 4,5 Milliarden Jahren;
+ Prozesse, die in Erdkrusten-Schollen beim Abtauchen in den Erdmantel ablaufen;
+ Antriebskraefte und Ablaeufe von Vulkanausbruechen und ihre Emissionen in die Atmosphaere;
+ Transportprozesse von Schwermetallen in Loesungen unter hohen Druecken.
Risikoabschaetzung von Vulkanausbruechen
Die Arbeiten des Institutes stellen vorwiegend Grundlagenforschung dar, haben aber auch Anwendungsbezug, zum Beispiel fuer die Ursache tiefer Erdbeben, die Risikoabschaetzung von Vulkan- ausbruechen, die natuerliche Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphaere und die Bildung von Erzlagerstaetten. Einen besonderen Stellenwert nehmen die methodischen Entwicklungen ein. Sie sollen die geplanten Experimente unter noch hoeheren Druecken und Temperaturen ermoeglichen. Zur Zeit konzentrieren sich mit der Inbetriebnahme der neuen Presse die Entwicklungsarbeiten auf den Einsatz hoeherer Druecke auf groessere Probenvolumina.
Das Bayerische Geoinstitut hat seine Arbeit 1986 aufgenommen und ist insbesondere in den letzten Jahren personell auf derzeit 50 wissenschaftliche (davon 42 befristet beschaeftigte) und 15 nichtwissenschaftliche Mitarbeiter gewachsen. Ueber die wissenschaftlichen Ergebnisse und die Hauptarbeitsrichtungen informiert ein Jahresbericht.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geowissenschaften
überregional
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