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10.05.2000 15:20

Das Chromom 21 ist entschlüsselt - Gespräch mit dem Humangenetiker Professor Karl Sperling

Dr. med. Silvia Schattenfroh GB Unternehmenskommunikation
Charité-Universitätsmedizin Berlin

    Medizin für die Medien 15-2000

    Der Aufbau des Chromsoms 21 ist von den Forscher des Humanen Genom Projektes am 8. Mai im Internet veröffentlicht worden und wird am 18. Mai auch in der Zeitschrift Nature nachzulesen sein. Damit steht er den Forschern in aller Welt zur Verfügung. Wir fragten Professor Karl Sperling, Direktor des Instituts für Humangenetik an der Charité, wie er die Bedeutung dieser Forschungsleistung.
    einschätzt.
    Sperling: Die Entschlüsselung des Genoms, hier beispielhaft am Chromosom 21 geschehen, (und im Dezember 1999 bereits am Chromosom 22), ist eine technologische Meisterleistung, die sich dadurch auszeichnet, daß sie von bleibender Gültigkeit ist, d. h. nicht durch den wissenschaftlichen Fortschritt überholt werden wird. Herausragend daran ist, daß uns nun Genkarten mit denkbar höchster Auflösung (Genauigkeit) vorliegen. Vergleichbar den besten Landkarten der Geographen verfügen die Genetiker nun über Karten, die die genaue Orientierung im Genom erlauben.

    Sch: Welche Auswirkungen wird das haben?
    Sperling: Es hat große Folgen für die Medizin: Die Genkarten sind die Grundlage für das Verständnis der Funktion der Gene und der Basensequenzen zwischen den Genen. Wir haben damit den Zugang zur molekularen Anatomie und zur molekularen Medizin. Aber nicht nur das, wenngleich die Medizin in den kommenden Jahren ganz im Vordergrund stehen wird. Die Genkarten bieten uns auch die Chance, molekulare Archeologie zu betreiben, denn ihre Inhalte spiegeln die evolutionäre Historie. Wir können durch Vergleich der Genkarten verschiedener Säuger die einzelnen Schritte der Chromosomen-Evolution rekonstruieren. So hat man beispielsweise schon erkannt, daß die Katze in dieser Hinsicht dem Menschen viel ähnlicher ist als die Maus. So etwas zu erkennen wäre ohne Genkarten unvorstellbar.
    Und schließlich treten wir ein in die molekulare Anthropologie: Wir fragen neu: Was ist der Mensch? Was unterscheidet uns beispielsweise von den Menschenaffen? Das herauszufinden, ist sicherlich viel anspruchsvoller als die Antwort auf medizinische Fragen zu geben.

    Sch: Das Human-Genom-Projekt kann bis heute nur die Sequenzierung und Kartierung von 2 Chromosomen vorweisen. Der Amerikaner Craig Venter verfügt angeblich schon über die Sequenz des gesamten menschlichen Genoms. Wo liegen die Unterschiede?
    Sperling: Venter kennt bisher nur kurze Abschnitte des Genoms. Das Human-Genom-Projekt hat dagegen nicht nur die Basenfolge, sondern auch die Lage der Gene auf den Chromosomen (Genkartierung) vorgelegt und zwar mit einer Genauigkeit von 99,9 %.
    Venter sucht primär die Gene, aus den er nach Patentierung Gewinn ziehen will, weiß aber noch nicht, wo sie liegen. Wenn ihm nun im Internet die Genkarten des Human-Genom-Projektes zur Verfügung stehen, wird es ihm allerdings leicht fallen, die Gene auch zuzuordnen. Anders als Venter interessiert sich das Genomprojekt auch für die zwischen den Genen angeordneten unterschiedlich langen Strecken von sich wiederholenden Sequenzen, die mindestens ein Drittel des Genoms ausmachen, und deren Funktion noch im Dunklen liegt. Um auch sie später verstehen zu können, kommt man eben nicht umhin, die Sequenzierung und Kartierung konsequent systematisch zu durchlaufen.

    Sch: Die Chromosomen 22 und 21 sind nun im Aufbau bekannt. Wie lange wird es dauern, bis die gesamte molekulare Anatomie der Erbsubstanz vor uns liegt?
    Sperling: Es wird sehr schnell gehen, spätestens bis 2003. Ein Problem wird sein, wieviel Lücken man akzeptiert. Denn insbesondere bei den sich wiederholenden Sequenzen zwischen den Genen wird es Schwierigkeiten geben. Manche sind sehr reich an dem Basenpaar Guanin-Cytosin. Dieses Paar hält besonders fest zusammen, seine Trennung ist aber Voraussetzung für die Klonierung, die zur Identifizierung der Stücke führt.

    Sch: Die Tatsache, daß das Chromosm 21 nur über 225 Gene verfügt, hat die Forscher erstaunt. Hochgerechnet mit den 545 Genen des Chromosoms 22 bedeutet dies, das das gesamte menschliche Genom wahrscheinlich nur etwa 40 000 Gene besitzt, statt 140.000, wie man bisher vermutet hat. Enttäuscht Sie das?
    Sperling: In 2 Jahren werden wir es genau wissen. Tatsächlich hat man früher gedacht, je höher die Differenzierung eines Organismus, desto größer müsse auch die Zahl der Gene sein. Irritierend war dann, daß der Fadenwurm etwa 19 000 Gene hat, die Fruchtfliege aber nur 13 000, obwohl sie eine höhe Stufe der Evolution darstellt.
    Nun, der Wert eines Buches bemißt sich nicht an der Zahl der Worte, sondern an ihrer speziellen Verknüpfung. Die Evolution besteht offenbar vorrangig in der Veränderung der Regulation der Genaktivitäten; weniger in der Zahl der Gene, mehr in ihrer Vernetzung. Denkbar ist auch, daß die Anordnung der Gene und auch der zwischen ihnen liegenden, sich vielfach wiederholenden Sequenzen eine Rolle spielen.

    Sch: Welche Bedeutung wird die Entschlüsselung der Chromosomen für die Kliniken, etwa auch für die Charité, Europas größtes Klinikum, haben?
    Sperling: Da es praktisch keine Erkrankung gibt, bei der die Gene keine Rolle spielen, befaßt sich zumindst indirekt fast jeder Kliniker auch damit, besonders aber die Hamatologen, Pathologen, Tumorforscher und die Pädiater (etwa 2% der Kinder kommen mit genetisch bedingten Auffälligkeiten zur Welt). Die klinische Genetik hat zukünftig größte Chancen, weil sie aus Veränderungen im Erbgut von Kranken auf das Normale schließen kann. Als Herausforderung gelten dabei aber weniger die seltenen monogenen (auf einer einzigen Mutation beruhenden Erkrankungen) als vielmehr die Herz- und Kreislaufkrankheiten, Diabetes und Fettsucht, also Zivilisationskrankheiten, die auch deshalb auftreten, weil unser Genom nicht an die heutige Umwelt angepaßt ist, sondern an jene Zeit, zu der wir noch Sammler und Jäger waren.
    Viele Erkenntnisse wird der Genetiker an Hand der Daten von Kranken gewinnen, die z.B. aus Verwandtenehen stammen. Das liegt daran, daß rezessive Erbmerkmale von beiden Elternteilen an die Nachkommen vererbt werden und sich als Fehlbildung manifestieren. Ich möchte aber hervorheben: Die Gene sind die Voraussetzung, aber die Auslöser der Krankheiten sind die Proteine, ihre Zusammensetzung zu erforschen, ist die Aufgabe der Zukunft. Dafür hat zum Beispiel ein Mitarbeiter unseres Instututs, Professor Joachim Klose, zusammen mit Professor Hans Lehrach vom "Max Planck-Institut für molekulare Genetik" gerade 9,3 Millionen Mark an Fördermitteln erhalten. Klose hat das dazu notwendige Verfahren der "zweidimensionalen Protein-Gel-Elektrophorese" schon in den 70er Jahren entwickelt, und hat dafür auch einen Preis erhalten. Dies ist der Schlüssel zum Übergang vom Genom zum Proteom (der Gesamtheit aller von Genen kodierten Proteinen). Leider wurden die Arbeiten zunächst nicht angemessen gefördert und damit wurde die Chance vertan, in Deutschland an der Spitze der Entwicklung zu stehen.

    Sch: Als Humangentiker haben Sie Erfahrung mit dem Wissen, dass man Diagnostik nicht ohne vorherige Beratung vornehmen kann, und Erfahrung mit der Beratung, nachdem eine Diagnose vorliegt. Erwarten Sie striktere ethische Regeln?
    Sperling: In Holland haben Selbsthilfegruppen und Humangenetiker es einmal so formuliert: Unser Ziel ist es nicht, Leid zu verhindern, sondern Leid, das aus Unkenntnis entsteht. Aber das darf nicht bedeuten, daß Behinderung nicht Teil unseres Lebens ist und als Teil der Gesellschaft Behinderte nicht nachdrücklich unterstützt werden müssen. Freiheit zur Entscheidung, das Recht auf Wissen und Recht auf Nicht-Wissen-Wollen müssen erhalten bleiben. Wir brauchen keine strikteren ethischen Regeln, wir müssen nur dafür sorgen, daß die bestehenden eingehalten werden.

    Herzlichen Dank für das Gespräch
    ____________________________________________________________

    Charité
    Medizinische Fakultät der
    Humboldt Universität zu Berlin

    Dekanat
    Pressereferat-Forschung
    Dr. med. Silvia Schattenfroh
    Augustenburger Platz 1
    13353 Berlin

    FON: (030) 450-70 400
    FAX: (030) 450-70-940

    e-mail: silvia.schattenfroh@charite.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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