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12.05.2000 12:21

Schlaflos in Freiburg

Rudolf-Werner Dreier Hochschul- und Wissenschaftskommunikation
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

    Freiburger Ärzte behandeln erfolgreich Patienten mit sehr seltener Infektionskrankheit

    Ärzten der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie an der Freiburger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik ist es gelungen, einen Patienten mit einer sehr seltenen, aber um so gravierenderen Schlafstörung erfolgreich zu behandeln. Der 45-jährige Mann litt an fast kompletter Schlaflosigkeit, die durch eine schwere und sehr selten auftretende Morbus Whipple-Infektion im Cerebralbereich verursacht wurde. Weltweit wurden bisher nur wenige Fälle dieser Erkrankung mit Schlaflosigkeit als Leitsymptom beschrieben. Im Rahmen eines Lokaltermin Wissenschaft am Freitag, den 12. Mai 2000, stellten in Anwesenheit des Patienten der behandelnde Arzt, Privatdozent Dr. Klaus Lieb, Oberarzt an der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, sowie die Oberärzte und Leiter des Schlaflabors, Dr. Ulrich Voderholzer und Professor Dr. Dieter Riemann, diesen seltenen Krankheitsfall und die Strategie zur erfolgreichen Therapie der Öffentlichkeit vor.

    Ein jetzt 45-jähriger Fernmelde-Elektroniker kam im März 1999 wegen einer schweren Schlafstörung in die Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Freiburg. Diese Schlafstörung hatte über fünf Jahre hinweg kontinuierlich zugenommen, bis der Patient zuletzt monatelang überhaupt nicht mehr in den Schlaf fand. Der Patient versuchte sich selbst lange mit Erklärungen wie starker Arbeitsbelastung oder einem nicht bewältigten psychischen Problem zu beruhigen.

    Als die Schlafstörung immer unerträglicher wurde, wandte er sich an verschiedene Ärzte, die zwar schwere Folgesymptome wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, depressive Verstimmung und wiederholte Orientierungsstörungen feststellten, nicht jedoch die Ursache der Schlafstörung. Sie verordneten ihm Schlafmittel wie Benzodiazepine und Antidepressiva, die aber nur kurzzeitig halfen. Selbst eine häufige Einnahme der Medikamente brachte keine Linderung, so dass der Patient die Schlafmittel im Februar 1999 absetzte.

    Als er dann später in die Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg überwiesen wurde, fanden zunächst zahlreiche Untersuchungen im Schlaflabor statt. Dort wurde durch mehrere so genannte polysomnographische Schlafableitungen die schwere Schlafstörung objektiviert. Es zeigte sich eine beinahe komplette Schlaflosigkeit mit einem oberflächlichen "Dösen" bis zu 15 Minuten pro Nacht bzw. maximal 60 Minuten während 24 Stunden.

    Wie der ärztliche Leiter des Schlaflabors, Oberarzt Dr. Ulrich Voderholzer, und der psychologische Leiter des Schlaflabors, Professor Dieter Riemann, mitteilten, ist eine so schwere und langdauernde Schlaflosigkeit extrem ungewöhnlich. Bemerkenswert dabei ist, daß die Schlaflosigkeit zwar mit erheblichen psychischen Folgen einherging, jedoch nicht zum Tod führte.

    Die Ursache der Schlaflosigkeit blieb zunächst unklar, so dass vom behandelnden Oberarzt, Dr. Klaus Lieb, umfangreiche diagnostische Untersuchungen gestartet wurden. Diese erbrachten jedoch - bis auf laborchemische Hinweise für einen Entzündungsprozess - zunächst keine richtungsweisenden Befunde. Erst als die Mediziner erfuhren, daß der Patient vor zehn Jahren an der schweren und seltenen Dünndarminfektion Morbus Whipple gelitten hatte, vermuteten sie, dass der Erreger dieser Erkrankung, Tropheryma whippelii, auch Ursache der Schlaflosigkeit sein könnte. Damals wurde diese Dünndarminfektion, die mit schweren Durchfällen und starker Gewichtsabnahme einherging, mit einem Antibiotikum erfolgreich behandelt. Doch das Bakterium hatte schon das zentrale Nervensystem befallen und sich dort eingenistet. Da das damals verwendete Antibiotikum schlecht ins Gehirn eindringt, konnte das Bakterium dem Angriff des Antibiotikums entgehen und so eine schleichende Infektion des Gehirns verursachen.

    Tatsächlich gelang nun in Zusammenarbeit mit Privatdozent Dr. von Herbay (Universitätsklinik Heidleberg) der Nachweis des Erregers im Nervenwasser des Patienten, wodurch die Diagnose einer cerebralen Morbus Whipple-Infektion gesichert war. Diese Infektion ist extrem selten. Bisher wurden nur wenige Fälle von Schlafstörungen im Rahmen einer cerebralen Morbus Whipple-Infektion beschrieben, noch nie aber ein Fall mit einer solch schweren Schlaflosigkeit als Leitsymptom der Infektion. Dass diese Infektion auch Ursache der Schlaflosigkeit war, zeigte sich im weiteren Verlauf: Der Patient wurde mit hirngängigen Antibiotika über ein Jahr behandelt, was zu einem Verschwinden der Schlaflosigkeit führte und den Erreger aus dem Gehirn entfernte. Der Patient schläft in den meisten Nächten nun wieder sechs bis sieben Stunden. An depressiver Verstimmung oder Verwirrtheitszuständen leidet er nicht mehr. Nur die Konzentrations- und Gedächtnisprobleme sind noch nicht völlig verschwunden.

    Dieser Freiburger Fall wurde 1999 in einer der führenden internationalen medizinischen Fachzeitschriften publiziert:
    · K. Lieb, M. Maiwald, M. Berger, U. Voderholzer: Insomnia for 5 years. The Lancet, 354: 1966 (1999).

    Kontakt
    PD Dr. Klaus Lieb
    Oberarzt der Abteilung Psychiatrei und Psychotherapie
    Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik
    Hauptstraße 5
    79104 Freiburg
    Tel.:0761/270-6681
    Fax:0761/270-6917 oder 6619
    E-mail: klaus_lieb@psyallg.ukl.uni-freiburg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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