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02.05.2007 10:28

Eine Entdeckung zur Langsamkeit am frühen Morgen

Michael Seifert Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Wie die Dauer von Entscheidungsprozessen mit der Tageszeit zusammenhängt

    Dass sich der Mensch mit Denken und Handeln zu bestimmten Tageszeiten schwerer tut als
    zu anderen, das hat nicht nur die Wissenschaft festgestellt, sondern das entspricht auch der
    eigenen Erfahrung. Doch die Wissenschaftler Daniel Bratzke, Dr. Bettina Rolke und Prof.
    Rolf Ulrich vom Psychologischen Institut der Universität Tübingen sowie Maren Peters von
    der Humboldt-Universität Berlin wollten genauer wissen, an welcher Stelle die Informations-
    verarbeitung beim Lösen von Aufgaben zu manchen Tageszeiten stockt. Dafür haben die
    Forscher einen experimentellen Ansatz gewählt, mit dem sich drei Phasen bei der Informati-
    onsverarbeitung unterscheiden lassen. Der erste Schritt wird frühe Wahrnehmungsphase
    genannt, der zweite zentrale Informationsverarbeitung oder Entscheidungsphase, der dritte
    ist die späte motorische Phase. Die Tübinger und Berliner Psychologen arbeiten im Rahmen
    des interdisziplinären Forschungsverbunds "ClockWORK" zusammen, der von der Daimler-
    Benz Stiftung gefördert wird. Sie haben nun nachgewiesen, dass der mittlere Schritt, die
    zentrale Entscheidungsphase vor allem nachts von etwa 23 Uhr an länger wird und den tiefs-
    ten Punkt am Morgen gegen sieben Uhr erreicht. Ihre Forschungsergebnisse werden in der
    Mai-Ausgabe der Fachzeitschrift Psychological Science (Bratzke, D., Rolke, B., Ulrich, R., &
    Peters, M. Central slowing during the night. Psychological Science, 18(5), 456-461) veröf-
    fentlicht.

    Für das Experiment blieben sechs Männer 28 Stunden lang wach. Sie hatten während der
    Versuche keinen Anhaltspunkt, wie spät es war, sondern verbrachten die Zeit im Labor unter
    konstanten Lichtbedingungen. Alle zwei Stunden wurde getestet. Die Forscher wählten einen
    Versuchsaufbau, bei dem die Probanden jeweils zwei Aufgaben hintereinander ausführen
    sollen, auf die möglichst schnell reagiert werden muss und die sich zeitlich überlappen (Psy-
    chologisches Refraktärzeit Paradigma; PRP). Während ein hoher oder tiefer Ton mit dem
    Drücken einer linken beziehungsweise rechten Taste der linken Hand beantwortet werden
    soll, erscheint als zweite Aufgabe bereits auf dem Bildschirm ein "X" oder "O", woraufhin mit
    der rechten Hand die richtige von zwei Tasten gedrückt werden soll. Das alles passiert in
    Sekundenbruchteilen.

    Aus früheren Untersuchungen war bekannt, dass bei Verkürzung der Zeitspanne zwischen
    dem Beginn der ersten und der zweiten Aufgabe von einem gewissen Punkt an die Reaktion
    auf die zweite Aufgabe verzögert erfolgt. Die Ausführung der ersten Aufgabe wird dabei je-
    doch nicht beeinträchtigt. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die längere Reakti-
    onszeit bei der zweiten Aufgabe sozusagen mit einem Flaschenhals in der zentralen Verar-
    beitungsphase zusammenhängt - einer Engstelle, an der sich kurzzeitig die beiden Aufga-
    ben stauen. Denn die erste und dritte Phase der Aufgabenlösung, Wahrnehmung und moto-
    rische Ausführung, können gleichzeitig und ohne Beeinträchtigung mit jeder anderen Phase
    der zweiten Aufgabe zusammen ausgeführt werden.

    Indem die Forscher die Zeitspanne zwischen der ersten und zweiten Aufgabe variieren und
    feststellen, wie stark die zweite Reaktion jeweils verzögert ist, haben sie auch ein Maß für
    die Geschwindigkeit, mit der die Entscheidungsprozesse in der ersten Aufgabe ablaufen. Der
    Tagesrhythmus der Versuchspersonen wurde über die Melatoninkonzentration im Speichel,
    die Körpertemperatur und die subjektive Schläfrigkeit gemessen. Die Melatoninkonzentration
    beginnt zwischen 22 und 23 Uhr zu steigen. Dann sinkt die Körpertemperatur und erreicht ihr
    Minimum am frühen Morgen. Die kürzesten Reaktionszeiten zeigten die Versuchspersonen
    gegen 23 Uhr, dann wurden sie länger. Gegen sieben Uhr morgens war der Tiefpunkt mit
    den längsten Reaktionszeiten erreicht. Dasselbe Muster zeigte sich auch für die Verzöge-
    rung der zweiten Aufgabe. Daraus schließen die Forscher, dass sich die zentralen Entschei-
    dungsprozesse während der Nacht verlangsamen und ihren Tiefpunkt am frühen Morgen
    erreichen. Da sich die Reaktionszeit im Laufe des Vormittags wieder verkürzte, gehen die
    Forscher davon aus, dass die gemessenen Effekte nicht nur durch den Schlafentzug, son-
    dern im Zusammenhang mit dem Tagesrhythmus entstanden sind. Über die ganze Ver-
    suchszeit hinweg blieb die Fehlerrate der Probanden bei der Aufgabenlösung praktisch
    gleich.

    Dass die zentrale Informationsverarbeitung einem Tagesrhythmus unterliegt und nachts
    langsamer wird, habe auch einige praktische Implikationen, sagen die Wissenschaftler. Denn
    viele Aufgaben beinhalteten die Koordination mehrerer Unteraufgaben und sollten daher von
    dem "Flaschenhals" in der zentralen Informationsverarbeitung betroffen sein. Andere For-
    scher hatten zum Beispiel vor kurzem festgestellt, dass die Aufgabe, ein Fahrzeug zu brem-
    sen, einer solchen Verlangsamung unterliegt. Wenn am frühen Morgen die Reaktionen von
    Auto- oder Lastwagenfahrern sowieso verlangsamt sind und große Müdigkeit hinzukommt,
    müsse man, so meinen die Wissenschaftler, von einem höheren Risiko für Verkehrsunfälle
    ausgehen.

    Nähere Informationen:

    Der Forschungsverbund "ClockWORK" im Internet: Siehe unten stehende Internetadresse.

    Dipl.-Psych. Daniel Bratzke
    Psychologisches Institut
    Friedrichstraße 21
    72072 Tübingen
    Tel. 0 70 71/2 97 45 12
    Fax 0 70 71/29 24 10
    E-Mail daniel.bratzke [at] uni-tuebingen.de



    EBERHARD KARLS UNIVERSITÄT TÜBINGEN
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit · Michael Seifert
    Wilhelmstr. 5 · 72074 Tübingen
    Tel.: 0 70 71 · 29 · 7 67 89 · Fax: 0 70 71 · 29 · 5566
    E-Mail: michael.seifert@uni-tuebingen.de
    Wir bitten um Zusendung von Belegexemplaren!


    Weitere Informationen:

    http://www.clock-work.org


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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