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02.05.2007 12:20

D.I. Tschižewskij - Impulse eines Philologen und Philosophen für eine komparative Geistesgeschichte

Friederike Lippold Kultur- und Öffentlichkeitsarbeit
Franckesche Stiftungen zu Halle

    Vom 9.-11. Mai 2007 findet in den Franckeschen Stiftungen zu Halle eine wissenschaftliche Tagung statt, die in besonderer Weise dem "Jahr der Geisteswissenschaften 2007" verpflichtet ist: Sie fokussiert das Wirken des Wissenschaftlers Dmitrij I. Tschižewskij (1894-1977), der die heute für deutsche Universitäten geltenden Schlagworte Exzellenz und Elite ohne Abstriche für seine Arbeit beanspruchen dürfte. In slavistischen Kreisen wird er als Polyhistor charakterisiert, weil er gegen die Unkultur der Halbbildung auftrat, Fachgrenzen selbstverständlich überschritt, überraschende Vorstöße in entlegene Wissensgebiete machte und ebenso selbstverständlich Wissenselemente aus unterschiedlichen historischen und kulturellen Kontexten zu verbinden vermochte. Wissenschaftler aus Deutschland, Polen, Russland und der Ukraine werden den Stand der deutschen und internationalen Tschižewskij-Forschung unter dem Gesichtspunkt der Wirkungsgeschichte und aktuelle Rezeption in den jeweiligen Ländern diskutieren sowie Perspektiven für die weitere Erschließung und Erforschung von Quellenmatierial eröffnen. Die Tagung wird organisiert von den Franckeschen Stiftungen zu Halle und dem Institut für Slavistik und Sprechwissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

    Dmitrij I. Tschižewskij wurde 1894 in der Ukraine geboren. Er studierte ab 1911 zuerst in St. Petersburg Astronomie und Mathematik, ab 1913 an der Historisch-Philologischen Fakultät der Universität des Heiligen Vladimir in Kiev vorwiegend Philosophie und slavische (russische) Philologie. Bereits im April 1921 wurde er Dozent am Kiever Pädagogischen Institut, kurz darauf wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften. Nach seiner Emigration nach Deutschland im Jahr 1921 lernte er bei so bedeutenden Geisteswissenschaftlern wie K. Jaspers, H. Rickert, J. Cohn, J. Ebbinghaus, R. Kroner und vor allem E. Husserl. In Heidelberg lernte er auch M. Heidegger kennen.
    Nach mannigfaltigen Anstrengungen und Fürsprache von Freunden und ehemaligen Lehrern erhielt Tschižewskij 1932 das Angebot, als Lektor (!) für russische Sprache an die Universität Halle/Wittenberg zu kommen. So schrieb der bekannte deutsche Slavist Max Vasmer in seinem Gutachten: "Wenn er für Halle gewonnen werden kann, dann wäre bei Ihnen für die slavische Philologie und Literaturgeschichte in einer Weise gesorgt, um die sie jede deutsche Universität beneiden könnte." Tschižewskij nahm das Angebot an und führte seine umfangreiche wissenschaftliche Arbeit an der Universität in Halle fort. Dabei regten ihn die Bestände der Franckeschen Stiftungen zu Forschungen über Comenius und über die Bedeutung des Pietismus in den slavischen Literaturen an. Er untersuchte die Wirkung des Kreises um August Hermann Francke auf die Slaven und erschloss so ein neues Forschungsgebiet, das von seinen Schülern weiter bearbeitet wurde.

    Spektakulär und viel beachtet war die Wiederentdeckung von Teilen des Hauptwerks des Johann Amos Comenius "De rerum humanarum emendatione consultatio catholica" in einem 3440 Seiten umfassenden Manuskript in lateinischer Handschrift in den Franckeschen Stiftungen. Mit seinen Comenius-Forschungen setzte Tschižewskij einen neuen Akzent in der slavistischen Barockforschung; viele seiner Überlegungen und Impulse sollten Jahre später in der slavistischen Forschung ein Echo finden. Für die Etablierung der Slavistik in Halle als Wissenschaft vor 1945 steht der Name Tschižewskij für eine über den damals präferierten sprachhistorischen Rahmen hinausgehende, kulturhistorische und philosophische Aspekte integrierende Entwicklung der wissenschaftlichen Studien.

    Rückbezug nehmend auf die vielseitige wissenschaftliche Persönlichkeit gliedert sich die Tagung in drei Sektionen. Sektion 1 ist der Halleschen Zeit von Tschižewskij gewidmet (1932-1945). Sie zeigt die enge Verflechtung von Schaffens- und lebensweltlichen Fragen gerade in dieser schwierigen Phase und umreißt einschlägige exemplarische Segmente forscherischen Interesses des Gelehrten: die Halleschen slavischen Drucke, besonders das slavische Erbe des Pietismus sowie die Rolle des laut Tschižewskij ersten deutschen Slavisten und Slavophilen Heinrich Milde in enger Anbindung an die Bestände der Franckeschen Stiftungen. Sektion 2 wertet die Vielschichtigkeit des Wirkens von Tschižewskij aus unserer heutigen Perspektive, wobei Fragen der slavischen Literaturwissenschaft, der Verflechtungen von Philosophie und Religion und natürlich die komplexe Problematik der Comenius-Forschungen fokussiert werden. Die Zusammenschau der Tschižewskij-Forschung mehrerer Länder ist Thema der Sektion 3. Intendiert ist ein Überblick über den Forschungsstand in Deutschland, aber u.a. auch in der Ukraine und in Russland. Ein Austausch über die Perspektiven für die weitere Befassung mit Quellenmaterial, u.a. mit den Nachlässen an den Wirkungsstätten in Halle und Heidelberg, soll der Festlegung künftiger Schwerpunkte in der Forschung dienen.


    Weitere Informationen:

    http://www.francke-halle.de/main/index2.php?cf=3_3


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Sprache / Literatur
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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