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15.05.2000 15:20

Im freien Fall auf Einsteins Fährte

Dr. Wolfgang Hirsch Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Jena/Bremen. (15.05.00) Was fällt schneller zu Boden: eine Bleikugel oder eine aus Holz? - So leichtherzig wie in der Schule wollen Experimentalphysiker der Friedrich-Schiller-Universität Jena diese Frage nicht beantworten, sondern gehen der Sache genauer auf den Grund. Mit hochsensiblen supraleitenden Quanteninterferenz-Detektoren, so genannten SQUIDS, messen sie am Bremer Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation die Fallgeschwindigkeit unterschiedlicher Festkörper. Dabei geht es um nicht weniger als die Überprüfung des Einstein'schen Äquiva-lenzprinzips, auf dem unser heutiges physikalisches Weltbild beruht. Das langjährige Jenaer Forschungsprojekt wird vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gefördert.

    Schon Galileo Galilei lieferte 1638 in seinen "Discorsi" eine sehr moderne Analyse ähnlicher Experimente, bei denen man vom Schiefen Turm zu Pisa Metallkugeln mit verschiedener spezifischer Materialdichte hinabwarf. - Gleich schnell, befand der Renaissance-Wissenschaftler. Aber Dr. Wolfgang Vodel und sein Jenaer Team sind immer noch skeptisch, obwohl ihr Abenteuer Wissenschaft sich heute bereits an der 14. Stelle hinter dem Komma abspielt: Auf 10 hoch minus 14 Meter genau - weniger als der Durchmesser eines Urankerns beträgt - überprüfen Detektoren bei einer Messbandbreite von einem Hertz, ob im Bremer Fallturm ein Testkörper aus Blei schneller als einer aus dem erheblich leichteren Aluminium zu Boden rauscht.

    4,7 Sekunden lang herrschen im freien Fall innerhalb der Testkapsel Weltraumbedingungen: Vakuum und Schwerelosigkeit. Damit die supraleitende Messinfrastruktur überhaupt arbeiten kann, wird das Innere des 220 Kilo schweren Fallkapsel mit flüssigem Helium auf minus 269° Celsius abgekühlt.

    Rund 100 Stunden dauert es, bis diese extreme Temperatur erreicht ist und sich nach dem Experiment die Verhältnisse soweit normalisiert haben, dass die Wissenschaftler wieder unmittelbar an ihre Messinstrumente herankommen. "Genau genommen werfen wir eine überdimensionierte Thermoskanne den Fallturm hinunter", schmunzelt Dr. Wolfgang Vodel, "aber kein Instrument könnte mögliche Abstandsveränderungen so genau mes-sen wie unsere SQUIDs." Wenn beide Körper gleich schnell fallen und die Apparate nicht kaputt sind, liegt der Messwert immer bei Null, hofft der Forscher.

    109 Meter saust die Kapsel in die Tiefe und nimmt 150 Stundenkilometer Fahrt auf, um schließlich mit dem 40fachen der Erdbeschleunigung in einem Styroporbett zu landen. Die hochsensiblen SQUIDs überstehen die brachiale Prozedur mühelos und sind auch daher etwa einer laseroptischen Messtechnik überlegen.

    Eigentlich reagieren diese Sensoren nur auf winzige Magnetfeldveränderungen hochsensibel. Aber um die ultragenaue Abstandskontrolle der beiden Testkörper überhaupt vornehmen zu können, haben sich die Jenaer Physiker einen originellen Trick ausgedacht: Sowohl das Blei als auch das mit einer hauchdünnen Niob-Schicht überzogene Aluminium platzieren sie als supraleitende Körper in einer hochempfindlichen Antennenspule. Diese Antennenspule wiederum ist Teil eines supraleitenden Stromkreises, der einen permanent konstanten Magnetfluss umschließt. Würde nun einer der beiden Testkörper seine Position verändern, so nähme die Induktivität der Antennenspule zu oder ab, was die angekoppelten SQUIDs mit höchster Präzision registrieren würden.

    Aber warum nur dieser Aufwand um einer letzten Bestätigung willen? - "Für den Ottonormalverbraucher spielt es sicher kaum eine Rolle, ob sich die träge Masse und die schwere Masse eines Körpers geringfügig unterscheiden", konzediert Dr. Helmar Koch, Mitarbeiter in Wolfgang Vodels Jenaer Arbeitsgruppe. "Aber für uns Physiker ist die strenge Gültigkeit des Einstein'schen Äquivalenzprinzips ein Grundpfeiler jeder Gravitationstheorie." Würde sich das Einstein'sche Theorem experimentell nicht bestätigen lassen, wären Berechnungen über den Aufbau der Atome oder über die Entstehung des Weltalls zumindest korrekturbedürftig.

    Nach sechsjähriger Entwicklungszeit und einer Reihe von Probeexperimenten stehen die Jenaer Festkörperphysiker nun in diesem Jahr vor dem ,großen Wurf': Endlich ist ihre Messinfrastruktur soweit optimiert, dass sie die entscheidende Testserie starten können. "Wir glauben natürlich, dass Galilei und Einstein recht behalten", blickt Vodel voraus, "aber auch wenn wir sie in Bremen bestätigen, sind wir immer noch nicht ganz zufrieden." Für den Fall, dass die Experimente im Bremer Turm funktionieren, haben schon einmal die US-amerikanische Weltraumbehörde NASA und ihr europäisches Pendant ESA an die Jenaer Türen gepocht.

    Sie wollen im Jahre 2004 die Versuche im Weltall satellitengestützt wiederholen. "Dann geht es aber nicht um 4,7 Sekunden freien Fall, sondern gleich um mehrere Stunden", freut sich Wolfgang Vodel. Die Überprüfung des Äquivalenzprinzips mit einer Genauigkeit von 10 hoch minus 18 würde somit möglich.

    Ansprechpartner:
    Dr. Wolfgang Vodel
    Institut für Festkörperphysik der Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Tel.: 03641/947421, Fax: 947422
    E-Mail: Wolfgang.Vodel@uni-jena.de

    Friedrich-Schiller-Universität
    Referat Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Wolfgang Hirsch
    Fürstengraben 1
    07743 Jena
    Tel.: 03641/931031
    Fax: 03641/931032
    E-Mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Mathematik, Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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