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18.05.2000 09:21

Kardiologische Versorgung im Osten krankt an der Vergütungsstruktur

Dr. Wolfgang Hirsch Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Jena (18.05.00) Erhebliche Einschränkungen bei der klinischen Versorgung von Herzpatienten in den neuen Bundesländern moniert der Jenaer Kardiologe Prof. Dr. Hans-Reiner Figulla. Zwar sei die apparative Einrichtung der Fachkrankenhäuser inzwischen qualitativ, aber noch nicht quantitativ auf einem guten Stand angelangt. Das größte Hindernis jedoch sieht der Direktor der Jenaer Uni-Klinik für Innere Medizin III in den Entgeltleistungen durch die Krankenkassen. "Hier wird das dürftige Niveau aus der unmittelbaren Nachwendezeit fortgeschrieben und damit jegliche Entwicklung ausgebremst", klagt er. "Dabei ist die Herzinfarktrate im Osten um ein Viertel höher als im Westen."

    Die Gründe dafür lägen nicht allein in dem anderen Ernährungs- und Rauchverhalten der Ostdeutschen, sondern auch in der geringeren Versorgungsdichte für eine vorbeugende klinische Diagnostik und Therapie. So weist die Statistik für 1997 im Osten lediglich 4.100 Linksherzkatheteruntersuchungen auf eine Million Einwohner aus - ein Drittel weniger als im Bundesdurchschnitt. Thüringen liegt vor Branden-burg am Ende der Skala. "Wir bauen in unserer Klinik gerade einen zweiten Linksherzkatheter-Messplatz auf, um den immens gestiegenen Bedarf zu bewältigen", berichtet Figulla, "ob wir diese Untersuchungen dann auch abrechnen können, steht noch in den Sternen."

    Ähnlich ist die Situation bei den Ballondilatationen, der wohl wichtigsten präventiven Behandlungsform. Dabei werden Engstellen in den Herzkranzgefäßen minimalinvasiv mit einem kleinen Hochdruckballon aufgeweitet. Lag 1997 der Bundesdurchschnitt für solche Behandlungen bei 1.681 pro eine Million Einwohner, so brachten es die Mediziner im Osten der Republik gerade mal auf 1.152 - in Thüringen sogar nur auf 624. "Heute machen wir allein in meiner Klinik rund 750 solcher Koronarangioplastien", erläutert Prof. Figulla, "abrechnen darf ich aber nur 250." Bei Behandlungskosten von jeweils rund 6.700 Mark ist die Deckungslücke durch den Klinikshaushalt nicht mehr zu stopfen. "Was soll ich tun: etwa meine Patienten nach Hause schicken?" fragt Figulla aufgebracht.

    In einem gemeinsamen Brief mit seinen Kollegen von den Universitäten Berlin, Magdeburg, Rostock und Halle klagt der Jenaer Kardiologe bei der Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer ein "ethisches Anrecht" der Menschen in den neuen Ländern auf gleich gute medizinische Versorgungsstrukturen ein. "Natürlich akzeptieren wir ein generelles Wirtschaftlichkeitsgebot im Gesundheitswesen", konzediert Figulla, "eine einfallslose Sparpolitik darf aber nicht ganz Ostdeutschland auf Jahrzehnte zu einem medizinischen Entwicklungsland degradieren."

    Nicht viel besser dran sind die Fachärzte mit eigener Praxis. "Unsere Disziplin ist nun einmal sehr geräteintensiv", gibt Dr. Frank Sonntag, Erster Vorsitzender des Bundesverbandes Niedergelassener Kardiologen, zu bedenken. "Mit der Neuausstattung ihrer Praxen nach der Wende haben sich viele Kollegen im Osten einen Schuldenberg auf den Rücken geladen, den sie bei 85 Prozent der Westvergütung und den inakzeptablen Punktwerten kaum abtragen können." Außerdem gibt es im Osten kaum Privatpatienten. Rote Zahlen bis ans Lebensende blühten wohl nicht wenigen Kardiologen, schaut Sonntag voraus. Je besser eine Praxis floriert, desto schlechter das betriebswirtschaftliche Ergebnis, schildert der Facharzt die groteske Situation. Sobald die erste Praxis deshalb Konkurs anmelde, werde sein Verband gegen das Gesundheitsstrukturgesetz vor Gericht ziehen, kündigte er an. Erste Musterverfahren sind in verschiedenen Bundesländern bereits auf dem Weg.

    Ansprechpartner:
    Prof. Dr. Hans-Reiner Figulla
    Klinik für Innere Medizin III der Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Tel.: 03641/939138, Fax: 939363

    Dr. Frank Sonntag
    Bundesverband Niedergelassener Kardiologen
    Tel.: 04193/79696, Fax: 78895
    E-Mail: Frank.Sonntag@hamburg-netsurf.de

    PRESSEGESPRÄCH morgen, am Freitag, dem 19. Mai, um 14.00 Uhr in der Weimarhalle, Weimar, im Flügelsaal I
    Kongresstelefon ab Freitag: 03643/810195

    Friedrich-Schiller-Universität
    Referat Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Wolfgang Hirsch
    Fürstengraben 1
    07743 Jena
    Tel.: 03641/931031
    Fax: 03641/931032
    E-Mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
    überregional
    Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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