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12.12.1997 00:00

Die Wetternachhersage für China

Ulrich Thimm Presse, Kommunikation und Marketing
Justus-Liebig-Universität Gießen

    bitte Sperrfrist beachten: 15. Dezember, 0:00 Uhr

    10. Dezember 1997 Nr. 154

    Die Wetternachhersage für China

    Einzigartige historische Wetteraufzeichnungen erlauben eine Abschätzung des Klimawandels

    Nichts ist so wechselhaft wie das Wetter, und so fällt es bei Überschwemmungen und ähnlichen Katastrophen schwer abzuschätzen, ob es sich um eine normale Wetterkapriole oder eine Folge des befürchteten Treibhauseffekts handelt. Zwar liefern die Archäologie und die Analyse von Pollen, Staubniederschlägen und Baumringen wertvolle Hinweise auf die Klimageschichte, doch wäre es schön, wenigstens für die letzten tausend Jahre menschliche Wetterbeobachtungen zu besitzen. Lange ist im Westen übersehen worden, daß es in der ältesten Bürokratie der Welt tatsächlich einen solchen Schatz mit historischen Wetterberichten zu heben gibt. Prof. Chen Jiaqi vom Institut für Geographie der Academia Sinica in Nanjing hat ihn in riesigen Karteikartensammlungen ausgewertet, und mit Hilfe von Dr. Dirk Wollesen aus der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Lorenz King vom Institut für Geographie der Universität Gießen werden die historischen Wetterberichte jetzt in eine Datenbank aufgenommen.

    Wie in Europa war auch in China der Weg zu einer systematischen Wetterbeobachtung lang. Anfangs erschienen den Menschen nur extreme Ereignisse, wie Dürren, Überschwemmungen und Stürme, berichtenswert, weil sie häufig als gutes oder schlechtes Omen aufgefaßt wurden. Ein Beispiel aus unseren Tagen stammt aus dem Jahr 1976, als nach einem extrem starken Sturm Steine aus dem Himmel regneten, was sofort mit dem Tod des Vorsitzenden Mao in Verbindung gebracht wurde. Diese Art von "Wetterberichten" setzt schon um 700 vor Christus ein. Die Quellen können in den unterschiedlichsten Formen gefaßt sein. So lautet ein 800 Jahre altes Ein-Zeilen-Gedicht: "Der Frühlingswind geht nicht durchs Jade-Tor." Prof. Chen interpretiert es so, daß der Frühling - sprich der Monsun - in jenem Jahr nicht das nordwestchinesische Trockengebiet - das "Jade-Tor" - erreichte. Aufschlußreich sind die landwirtschaftlichen Aufzeichnungen, die mit großer Sorgfalt geführt wurden. Ein Tagebuch vermeldet etwa, daß die Pflaumenbäume in einem Jahr ausnahmsweise zweimal blühten, und auch die Aussaat und Keimung der Reispflanzen liefert regelmäßig Hinweise auf das herrschende Wetter. Die chinesische Medizin beruht zum großen Teil auf pflanzlichen Präparaten, und so sind die Berichte von Pflanzensammlern über die Blüte der Heilpflanzen ebenfalls eine nützliche Lektüre für Wetterhistoriker.

    Im Geographischen Institut von Nanjing befindet sich eine über tausend Jahre alte Enzyklopädie mit Wetterberichten, die aus einigen Dutzend Bänden besteht. Weitere zwei rund tausendbändige Enzyklopädien sind etwa 800 und 600 Jahre alt, eine rund 300 Jahre alte Enzyklopädie umfaßt sogar rund 10.000 Bände. Die größten Sammlungen dieser Art befinden sich im Archiv des Sommerpalastes in Peking. Auch kann für das ganze Land auf sogenannte "lokale Chroniken" zurückgegriffen werden, die aus 8.384 Reihen mit insgesamt 119.687 Bänden bestehen. Die aufgezeichneten Wetterdaten helfen zum Beispiel, politische Ereignisse zu verstehen. So war das Ende der Ming-Dynastie (1368 - 1644) von einer zehn Jahre währenden Dürre begleitet. Das Land erbebte unter zahlreichen Bauernaufständen, und der letzte Ming-Kaiser Chong Zhen beging 1644 Selbstmord. Es folgte die Qing Dynastie, die bis 1911 währte.

    Seit dem 17. Jahrhundert gibt es in China einen staatlichen Wetterdienst, dessen offizielle Meßreihen über Regen- und Schneefall in Nord-, Ost- und Südchina bis auf das Jahr 1693 zurückgehen und bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein geführt wurden. Eine typische Eintragung für die Stadt Suzhou vom 1. Tag des 5. Monats 1752 lautet etwa: "tagsüber klar, Südost-Wind, ab Mitternacht bewölkt." Für die vier Städte Peking (1724 - 1903), Hangzhou (1723 - 1773), Suzhou (1725 - 1782) und Nanjing (1722 - 1785) lassen sich sogar durchgehende Meßreihen aufstellen. Diese Reihen beginnen fast gleichzeitig, weil unersetzliche ältere Werke, die an zentraler Stelle aufbewahrt wurden, während der Kulturrevolution von 1966 bis 1976 zerstört wurden. Doch noch immer umfassen zahlreiche dieser meteorologischen Tagebücher mehr als 200 Bände.

    In gewisser Weise ist die Arbeit der Wetterhistoriker in China einfacher als in Europa. Da die chinesischen Schriftzeichen keine Lautwerte widergeben, sind sie über die Jahrhunderte weitgehend unverändert geblieben und auch für moderne Chinesen relativ gut lesbar. In ganz China galten einheitliche Maßeinheiten, so daß sich die Historiker nicht wie in Europa mit einem Wirrwarr unterschiedlicher Ellen, Füße, Zoll und Spannen auseinandersetzen müssen.

    In der Gießener Datenbank ist inzwischen das Wetter über die letzten 500 Jahre an 120 chinesischen Orten abrufbar sowie in hoher räumlicher Auflösung für 97 Stationen im Yantze-Delta-Gebiet. Die Wissenschaftler interessieren vor allem Dürren und Überschwemmungen, denn sie schätzen, das China etwa die Hälfte seines potentiellen Wirtschaftszuwachs durch Naturkatastrophen verliert. So haben allein fünf Hochwasser in diesem Jahrhundert - 1931, 1935, 1954, 1995 und 1996 - 320.000 Tote entlang des Yangtze gefordert. Während der Rhein, den wir für unsere Verhältnisse für einen großen Fluß halten, an der deutsch-niederländischen Grenze durchschnittlich 2.200 Kubikmeter pro Sekunde transportiert, fließen über den Yangtze schon in normalen Zeiten 32.400 Kubikmeter jede Sekunde ab. Auffällig ist, daß sich bei ihm in den achtziger und neunziger Jahren dieses Jahrhunderts die Überschwemmungen häufen, und anhand der historischen Wetterdaten läßt sich eindeutig sagen, daß sie nicht mehr im Rahmen der üblichen Schwankungen liegen. Die historischen Wetterberichte werden auch erlauben abzuschätzen, ob die Dämme des Dreischluchten-Projekts am Oberlauf des Yangtze, die jetzt in Angriff genommen werden, sich als Hochwasserschutzmaßnahme gelohnt haben werden.

    Mit Hilfe der chinesischen Wetterdaten kann endlich auch eine Rekonstruktion der weltweiten Wettersysteme in historischer Zeit begonnen werden. So unterliegt auch in China das Wetter einem elfjährigen Zyklus, was durch das rhythmische An- und Abschwellen der Sonnenflecken zu erklären ist. Zwischen dem Wetter in Europa und in China zeigen sich allerdings sonst nur wenige Übereinstimmungen, denn die Wettermaschine des Pazifiks mit ihrem El-Nino-Zyklus erweist sich als weitaus bedeutender für das chinesische Wetter. Nur von 1622 bis 1740 hat die sogenannte "kleine Eiszeit" wohl auch China erfaßt; ansonsten decken sich insbesondere die Kaltphasen des 19. Jahrhunderts mit denen in China.

    Kontaktadresse:

    Dr. Dirk Wollesen Institut für Geographie Schloßgasse 7 Telefon (0641) 99-36256 Fax (0641) 99-36219


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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