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23.05.2000 15:05

Essener Wissenschaftler ermittelten: Fast 40 Millionen Chinesen leben unter extremer Strahlenbelastu

Monika Roegge Pressestelle Standort Essen
Universität Essen (bis 31.12.2002)

    Weltweit sind die Menschen einer Belastung durch radioaktive Strahlung von durchschnittlich 2,8 Millisievert ausgesetzt. Auf einem Löß-Plateau in Zentralchina aber leben 30 bis 40 Millionen Menschen mit einer Belastung von ca. 20 Millisievert. Zwei Wissenschaftler der Universität Essen haben zusammen mit chinesischen Kollegen im Sommer 1997 die Daten erhoben und wissen jetzt: Der extreme Wert wird durch Thoron erreicht, das natürliche, im Boden vorkommende Edelgas mit der kurzen Halbwertzeit von 56 Sekunden. Auf dem Plateau ist das noch zu lang, denn Höhlen im Löß, aus denen das Gas ausströmt, sind dort die übliche Wohnform.

    134/2000
    23. Mai 2000

    An der Universität Essen arbeitet der Geologe Privatdozent Jens Wiegand bereits seit einigen Jahren mit vorwiegend geowissenschaftlich interessierten Kollegen am Guilin Institute of Technology in Südchina zusammen. Es lag also nahe, den auf Radio-Ökologie spezialisierten Wiegand und seinen Doktoranden Sebastian Feige, den ersten an der Uni Essen diplomierten Umweltwissenschaftler, einzuladen, als das chinesische Umweltministerium im Sommer 1997 eine international besetzte Arbeitsgruppe auf das Löß-Plateau in der zentralchinesischen Provinz Shaanxi Sheng schicken wollte. Aktuelle Daten über die radioaktive Belastung sollten erhoben werden, denn bereits zu Beginn der neunziger Jahre waren dort unverhältnismäßig hohe Radon-Konzentrationen festgestellt worden. Überraschendes Ergebnis der aktuellen dreiwöchigen Messaktion: Die Menschen in Shaanxi Sheng und den Nachbarprovinzen leben unter einer Strahlenbelastung, die auch durch Radon, vor allem aber durch das dem Radon verwandte Gas Thoron ausgelöst werden. Die 30 bis 40 Millionen Bewohner des Löß-Plateaus bilden vermutlich die weltweit größte Bevölkerungsgruppe, die einer extremen Belastung von etwa 20 Millisievert ausgesetzt sind. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es ein paar Tausend Arbeitsplätze mit einer Belastung von mehr als 15 Millisievert - vor allem unter Tage. Alle diese Arbeitsplätze gehören zum Kontrollbereich; die dort beschäftigten Menschen werden ständig mit Personendosimetern überwacht.

    Die Erklärung für die extreme Thoron-Belastung auf dem Löß-Plateau ist so simpel wie die Möglichkeit, sie rigoros zu mindern. Die Löß-Höhlen, in denen die Menschen leben, sind kein Zeichen besonderer Armut, sondern die übliche Wohnform. Sie sind geräumig und hoch gewölbt, haben große Fenster und Türen und bieten einen hervorragenden Schutz gegen die Sommerhitze von rund 30 Grad plus und die Winterkälte von rund 20 Grad minus. Viele dieser Höhlen haben als Schlafstätten den traditionellen "Kang", einen Löß-Quader, der beim Graben der Höhlen einfach stehen gelassen wird. Eine dünne Matratze ist darüber gebreitet, ungeeignet, das aus dem Löß strömende Thoron "abzufangen" bevor es zerfallen ist. Vergleichsmessungen zeigen: Menschen, die statt des Kang ein einfaches Metallgestell als Bett benutzen, sind einer Gesamtbelastung von 7,42 Millisievert ausgesetzt - 2,43 Millisievert durch Radon, 4,99 durch Thoron. In Höhlen mit einem Kang schnellt der Gesamtwert auf 17,35 Milllisievert empor - bei gleich bleibender Radon-Belastung kommt er durch 14,92 Millisievert Thoron zustande. Im Winter liegen diese Werte wegen des veränderten Austausches von warmer Innen- und kalter Außenluft noch höher, so dass die Wissenschaftler die Jahresbelastung auf ca. 20 Millisivert hochrechnen.

    Nur wenige Häuser gibt es in Yan'an, der Provinzhauptstadt. Auch dort hat das deutsch-chinesische Wissenschaftler-Team die Strahlenbelastung gemessen. Sie liegt mit 2,9 Millisievert (1,11 durch Radon und 1,79 durch Thoron) nur knapp über dem weltweiten Durchschnitt und übertrifft auch nur unwesentlich das deutsche Niveau von 1,4 Millisievert. Wegen des hohen Standards der medizinischen Versorgung - auch durch den Einsatz von Röntgengeräten - liegt die Gesamtexposition in Deutschlöand allerdings bei 4 bis 4,5 Millisievert.

    Für das Lößgebiet können sich Jens Wiegand und Sebastian Feige schnelle Hilfe vorstellen. Eine groß angelegte Aufklärungsaktion der Bevölkerung wäre notwendig. Schon eine Kunststofffolie unter der Matratze auf dem Kang würde ausreichen, um die Menschen vor dem Thoron zu schützen, denn es wäre zerfallen, bevor es seine schädigende Wirkung ausüben könnte.

    Vom chinesischen Umweltministerium wünschen sich die Essener Wissenschaftler weniger Zurückhaltung im Umgang mit dem Radon/Thoron-Problem. Erst zu Beginn dieses Jahres wurden die Ergebnisse der Forschungsreise vom Sommer 1997 zur Veröffentlichung frei gegeben und konnten in "Health Physics", dem internationalen Standardwerk für Gesundheit und Umwelt, publiziert werden (Health Physics. April 2000. Heft 78/4, S. 438 - 444). Wissenschaftler verschiedener Disziplinen in vielen Ländern der Welt dürften sich dafür interessieren. Denn mehrfach beschrieben sind bereits einige endemische Krankheiten, Krankheiten also, deren Auftreten in genau dieser Form nur auf dem Löß-Plateau, in anderen Regionen bislang aber nicht beob-achtet wurde. Eine Art des Schilddrüsenkrebs gehört dazu, auch eine äußerst schmerzhafte Gelenkerkrankung. Für ein Thema, schätzt Wiegand, könnten Studien im Gebiet von Yan'an besonders aufschlussreiche Ergebnisse bringen. "7 v. H. der Lungenkrebserkrankungen gehen auf das Konto von Radon. Es ist gefährlicher als Asbest", sagt er.

    Redaktion: Monika Rögge, Telefon (02 01) 1 83-20 85
    Weitere Informationen: Dr. Jens Wiegand, Telefon (02 01) 1 83-31 03


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geowissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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