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07.06.2007 09:41

"Sprachwissenschaft für alle" im Jahr der Geisteswissenschaften

Klaus P. Prem Presse - Öffentlichkeitsarbeit - Information
Universität Augsburg

    In zwei Augsburger Vortragsreihen geht es um "Populäre Irrtümer über Sprache" und um den vielgescholtenen (vermeintlichen) "Sprachverfall".
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    Im Jahr der Geisteswissenschaften legen die Augsburger Geisteswissenschaften nach: Für den 19. Juni 2007 kündigen die Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler der Philologisch-Historischen Fakultät den ersten Vortrag zweier sich bis ans Ende des Jahres erstreckenden Vortragsreihen an, die sich unter dem gemeinsamen Motto "Sprachwissenschaft für alle" an ein breites Publikum wenden: In der ersten Reihe treten die Inhaberinnen und Inhaber der sprachwissenschaftlich ausgerichteten Germanistik-, Anglistik- und Romanistik-Lehrstühle an, um "Populäre Irrtümer über Sprache" aufzudecken. Mit "Sprachverfall: '(Al)so what!?'" haben sieben Augsburger Nachwuchslinguistinnen und -linguisten die zweite Reihe überschrieben, mit der sie im Wintersemester 2007/08 klarstellen wollen, "dass Sprache vielfältiger, facettenreicher und interessanter ist, als es uns der eine oder andere massenmediale Oberlehrer in seiner Beschränkung auf die Sprachrichtigkeit weismachen will." Neben "Geistreiches Augsburg" und "Musikwissenschaft in Museen", für die sie beim bundesweiten BMBF-Wettbewerb "Geist begeistert" bereits ausgezeichnet wurden (siehe http://idw-online.de/pages/de/news198218 und http://idw-online.de/pages/de/news198453) ist "Sprachwissenschaft für alle" das dritte große Projekt der Augsburger Geisteswissenschaften zu "ihrem" Jahr.

    "Sprachwissenschaft für alle"

    Obwohl die Sprachwissenschaft einen für alle Menschen im alltäglichen Leben unmittelbar relevanten Bereich zum Gegenstand hat, dringen die Ergebnisse der Sprachwissenschaft meist nur in verkürzter Form ins Bewusstsein der Öffentlichkeit."Das Jahr der Geisteswissenschaften ist uns deshalb willkommener Anlass, die Inhalte unseres Forschungsbereichs der Öffentlichkeit verständlich zu präsentieren", erläutert Prof. Elspaß. Prof. Elspaß. Publikumsnah heißt nicht nur, dass man Veranstaltungsorte in der Stadt gewählt hat; vielmehr werden auch Fragen aufgegriffen, die jeden - bewusst oder unbewusst - betreffen und bewegen, und die einzelnen Veranstaltungen werden sich auch nicht in dozierenden Vorträgen erschöpfen, sondern Raum für Diskussion lassen: "Es gibt viele Irrtümer und Klischees über Sprache und darüber was sprachlich 'richtig' und 'falsch', 'gut' und 'schlecht' ist. Wenn es uns gelingt, diese Klischees aufzubrechen und die Leute zu ermuntern, sich weiter mit dem Thema 'Sprache' kritisch auseinanderzusetzen, werden wir unser Ziel erreicht haben", so Prof. Dr. Bublitz. Geplant ist, dass die Vorträge beider Reihen am Ende in einem Sammelband publiziert werden.

    Populäre Irrtümer über Sprache

    Was wissen wir selbst über unsere Sprache, und was glauben wir nur zu wissen? Welche Irrtümer tragen wir tagtäglich mit uns herum, und wie beeinflussen sie das, was wir selbst über unsere Sprache denken und manchmal auch sagen? Sind Anglizismen eine Bedrohung für das Deutsche? Ist Französisch eine aristokratische Sprache? Gibt es "schöne" und "hässliche" Sprachen? Haben Menschen die Sprachen geschaffen? Steht es in unserer Macht, die Sprache zu verändern? Dergestalt sind die Fragen, auf die Professorinnen und Professoren der Augsburger Sprachwissenschaften und Sprachdidaktiken in der Reihe "Populäre Irrtümer über Sprache" Antworten geben oder suchen werden:

    o 19. Juni 2007, 18.30 Uhr
    "Der Dativ dem Genitiv sein Tod."
    Referent: Prof. Dr. Stephan Elspaß (Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung des Neuhochdeutschen)
    Ort: Kleiner Goldener Saal, Jesuitengasse
    "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" ist schon zum geflügelten Wort geworden. Aber stimmt das überhaupt, was in den Anführungsstrichen steht? An diesem und anderen Beispielen soll der Frage nachgegangen werden, was man vom "Zwiebelfisch" erwarten kann.

    o 28. Juni 2007, 18.30 Uhr
    "Erzählt wird im Präteritum!"
    Referent: Prof. Dr. Klaus Maiwald (Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur)
    Ort: Peutinger-Gymnasium
    Ernüchterung nach den Ferien: Deutschunterricht, Aufsatz, Erlebniserzählung ("Mein schönstes Ferienerlebnis")! Das Erzählen folgt dann einem festen Spannungsbogen ("Mauskurve"), ritualisierten sprachlichen Mitteln ("Noch mal Glück gehabt!") und dem Tempus Präteritum. Wie sinnvoll sind solche Vorgaben? Wie wird eigentlich in der "richtigen Literatur" erzählt? Inwiefern ist der Schulaufsatz Erlebniserzählung ein populärer Irrtum?

    o 5. Juli 2007, 18.30 Uhr
    "Sprache ist Übereinkunft."
    Referent: Prof. Dr. Hans-Jürgen Heringer (Lehrstuhl für Deutsche Philologie/Deutsch als Fremdsprache)
    Ort: Holbein-Gymnasium
    "Sprache ist Übereinkunft" wird schon mal gern geantwortet auf die Frage "Was ist Sprache?" Wenn Sie die Antwort googeln, finden Sie zum Beispiel die Erklärung: Es ist ein Kompromiss, den eine Gruppe eingegangen ist, um sich gegenseitig zu verstehen. Aber haben Sie je an einer solchen Übereinkunft teilgenommen? Irgendetwas scheint hier nicht zu stimmen.

    o 12. Juli 2007, 18.30 Uhr
    "Der Mensch ist einsprachig."
    Referent: Prof. Dr. Konrad Schröder (Lehrstuhl für Didaktik des Englischen)
    Ort: Zeughaus, Musiksaal
    Weltweit gesehen ist Mehrsprachigkeit die Regel, nicht die Ausnahme. Menschen in Afrika sind normalerweise drei- bis fünfsprachig, und selbst EU-Bürger sind mehrsprachiger als sie denken. Einsprachigkeit ist wie eine Krankheit, denn sie führt zu kulturellem Ethnozentrismus und zu Isolation. Doch die Krankheit ist heilbar.

    o 19. Juli 2007, 18.30 Uhr
    "Die englische Rechtschreibung ist das reine Chaos."
    Referent: Prof. Dr. Dieter Götz (Lehrstuhl für angewandte Sprachwissenschaft/Anglistik)
    Ort: Peutinger-Gymnasium
    Wie geht das zusammen: "Weltsprache Englisch" und "chaotische Rechtschreibung"? Nicht nur deutsche Schüler, auch die meisten Briten und Amerikaner halten die englische Rechtschreibung für sehr reformbedürftig. In der Rechtschreibung spiegeln sich die Eigenschaften einer Sprache, und diese Spiegelung leistet die englische Rechtschreibung, vielleicht überraschenderweise, in a perfect manner.

    o 27. September 2007, 18.30 Uhr
    "Die Eskimos haben 200 Wörter für Schnee."
    Referent: Prof. Dr. Wolfram Bublitz (Lehrstuhl für Englische Sprachwissenschaft)
    Ort: Gymnasium Maria Stern, Göggingen
    Eigentlich sollte dieser Mythos "Schnee von gestern" sein! Ist er aber nicht. Dieser angebliche Beleg für die sog. "Linguistische Relativitätstheorie" (wonach die Struktur unserer Sprache unsere Sicht der Welt festlegt) ist eine wunderbare Fallstudie für schludrige Forschung, kritiklosen Umgang mit "gesicherten" Fakten sowie für das Entstehen falscher und zudem diskriminierender Wanderlegenden. Einzig die Sprachwissenschaft vermag diese Zusammenhänge elegant zu entlarven, indem sie zeigt, wie sprachliches und kulturelles Wissen vermischt, Sprachsystem und Sprachgebrauch verwechselt sowie triviale Beobachtungen als außergewöhnliche ausgegeben werden.

    o 16. Oktober 2007, 18.30 Uhr
    "Sprachenmix führt zu Sprachverfall"
    Referentin: Prof. Dr. Christiane Fäcke (Lehrstuhl für Didaktik der romanischen Sprachen u. Literaturen)
    Ort: Gymnasium Königsbrunn
    In Deutschland spricht man Denglisch, in Frankreich Franglais. Führt Sprachenmix nun zu Sprachverfall, wie viele meinen, oder nicht? In diesem Vortrag geht es um sprachpuristische Bestrebungen und sprachpolitische Entwicklungen in Deutschland und Frankreich.

    o 23. Oktober 2007, 18.30 Uhr
    "Was nicht klar ist, ist nicht Französisch."
    Referentin: Prof. Dr. Sabine Schwarze (Lehrstuhl für romanische Sprachwissenschaft)
    Ort: Jakob-Fugger-Gymnasium
    Viele Gründe sprechen dafür, sich mit der französischen Sprache zu beschäftigen. Man schreibt ihr besonders gern die Attribute Klarheit und Präzision zu und zitiert einen bekannten Spruch Rivarols aus dem Zeitalter der Aufklärung "Ce qui n'est pas clair, n'est pas français". Kann man wirklich von einem besonderen, gewissermaßen "genetisch" angelegten Charakter der Sprachen - einem "Sprachgenie" sprechen? Befähigt ihre Sprache gerade und vor allem Franzosen dazu, ihre Gedanken klar und deutlich zu formulieren? Warum ist sie dann nicht (mehr) die europäische Universalsprache?

    o 6. November 2007, 18.30 Uhr
    "Sprache X ist schwerer/leichter als Sprache Y."
    Referent: Prof. Dr. Reinhold Werner (Lehrstuhl für Angewandte Sprachwissenschaft/Romanistik)
    Ort: Rokoko-Saal der Regierung von Schwaben, Fronhof
    Sind Aussagen des Typs, wonach eine bestimmte Sprache schwerer oder leichter zu erlernen sei als eine bestimmte andere, überhaupt begründbar? Welche mit einer zu erlernenden Fremdsprache selbst verbundenen Faktoren tragen gegebenenfalls dazu bei, dass sie schwerer/leichter zu erlernen ist? Lässt sich der Grad der Schwierigkeit, eine bestimmte Fremdsprache zu erlernen, eventuell messen?

    Sprachverfall: "(Al)so what!?

    Unser alltäglicher Sprachgebrauch führt uns oft genug an unsere Grenzen. In den seltensten Fällen genügt unsere Sprache unseren eigenen Ansprüchen an "Genauigkeit, Eleganz und Reinheit". Jeder von uns wurde vermutlich schon mal mit Sätzen konfrontiert wie:
    1. "Sprich ordentlich!" 2. "Sprich in ganzen Sätzen!" 3. "Das heißt gewinkt und nicht gewunken!" 4. "Wer brauchen nicht mit zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen."

    Das zeigt uns, dass unser "normaler" Sprachgebrauch in hohem Maße scheinbar nachlässig (1), defizitär (2) und fehlerhaft (3) ist. In "hoffnungslosen Fällen" (4) wird dem Sprachteilnehmer kraft normierter Selbstsicherheit sogar die Kompetenz korrekter Sprachäußerung auch für die Zukunft abgesprochen. Nicht umsonst haben "Deutschtests" in allen medialen Schattierungen Hochkonjunktur.

    Während wir uns auf der Suche nach Antworten auf die gebetsmühlenhaft immer wieder gestellte Frage "was ist richtig?" befinden, sind wir meist nur allzu bereit, uns unsere eigenen Sprachgewohnheiten von selbsternannten Sprachkennern schlecht- oder gar ausreden zu lassen. Stimmt alles, was "in der Grammatik" steht? Wenn ja, welche der vielen Grammatiken sollen wir konsultieren? Müssen wir denn immer so sprechen bzw. schreiben, wie es "die Grammatik" vorgibt? Und wie sehr beeinflussen Irrtümer v. a. unsere Haltung gegenüber unserem alltäglichen Sprachgebrauch?

    Solche Fragen zur Sprache sind nicht nur im eigenen Land, sondern auch bei unseren europäischen Nachbarn von öffentlichem Interesse. Uns allen geläufige Sprachen wie das Französische, das Englische oder das Spanische müssen sich mit Problemen wie der Auswirkung von Kolonialisierung und Globalisierung sowie der Integration von bedrohten Minderheitensprachen auseinandersetzen.

    Das Projekt "Sprachverfall: '(Al)so what!?'" schaltet sich an diesem Punkt in eine höchst virulente öffentliche Diskussion ein, in der Schlagwörter wie "Sprachverfall" und "Sprachkorrektheit" nur Symptome einer notwendigen, grundlegenden Auseinandersetzung über Sprachformen und Bedingungen unserer Kommunikation darstellen.

    Die öffentliche Auseinandersetzung über Sprache bewegt sich aber immer noch im engen Korsett schulgrammatischer Vorschriften, so die einhellige Meinung des die Veranstaltung ausrichtenden wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Existenz von Sprachnormen sei nachvollziehbar, wo das Hauptziel darin bestehe, mit klaren Regeln das Sprachlernen zu erleichtern. Es dürfe dabei aber nicht aus dem Blick geraten, dass Sprache vielfältiger und facettenreicher ist, als es uns der eine oder andere massenmediale Oberlehrer weismachen will.

    Die Vorträge der Reihe "Sprachverfall: '(Al)so what!?'" werden im Wintersemester 2007/08 an die Reihe "Populäre Irrtümer über Sprache" anschließen. Die genauen Termine und Veranstaltungsorte werden noch bekanntgegegeben. Um das "brisante" Thema "Sprachverfall" in entspannter Atmosphäre diskutieren zu können, werden die Vortragsabende voraussichtlich in einem traditionellen Augsburger Gasthaus stattfinden. Die einzelnen Themen und Referentinnen und Referenten stehen bereits fest:

    o "Zur Einführung: Unisono - das übliche Lamento"
    Referenten: Oliver Ernst/Jan Claas Freienstein (beide Deutsche Sprachwissenschaft)

    o "Netspeak - Sprachabsturz im Internet?"
    Referenten: Volker Eisenlauer/Christian Hoffmann (beide Englische Sprachwissenschaft)

    o "54, 74, 90, 2006 - sprachliche Blutgrätschen?"
    Referent: Oliver Ernst (Deutsche Sprachwissenschaft)

    o "Nachrichten heute und vor 30 Jahren - gilt die 'Sprachnorm 2000'?"
    Referent: Jan Claas Freienstein (Deutsche Sprachwissenschaft)

    o "Französisch in der Karibik - gut gestrandet oder Schiffbruch erlitten?"
    Referentin: Ursula Reutner (Romanische Sprachwissenschaft)

    o "BSE - Bad Simple English?"
    Referentin: Christina Sanchez (Angewandte Sprachwissenschaft/Anglistik)

    o "Katalanische Comics oder baskische Bomben - was rettet Spaniens
    Minderheitensprachen?"
    Referentin: Lina Schaipp (Angewandte Sprachwissenschaft/Romanistik)
    ______________________

    Kontakt und weitere Informationen:

    Christian R. Hoffmann
    Lehrstuhl Englische Sprachwissenschaft
    Universität Augsburg, 86135 Augsburg
    Telefon 08217598-5754, christian.hoffmann@phil.uni-augsburg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Sprache / Literatur
    regional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     


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