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14.06.2007 11:36

Chemische Ökologie für eine ökologische Chemie

Dr. Renate Hoer Abteilung Öffentlichkeitsarbeit
Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V.

    Nach der Entdeckung der Pheromone konnte die Bekämpfung von Schadinsekten revolutioniert werden. Wird die 23. Jahrestagung der International Society of Chemical Ecology (ISCE) vom 22. bis 26. Juli 2007 in Jena, auf der Wissenschaftler aus über 20 Nationen vortragen, weitere ähnlich innovative Ansätze aufzeigen? Gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie organisiert die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) diese Tagung, die zeigt, mit welcher Chemie Pflanzen und Tiere kommunizieren. Dazu gehören Geruchswahrnehmungen - von der molekularen Erkennung bis zur Interpretation im Gehirn - oder chemische Verteidigungsstrategien der Pflanzen gegenüber Fraßfeinden.

    Jena gilt als Gründungsstätte der Chemischen Ökologie, mit der die molekularen Wechselwirkungen zwischen Organismen untereinander und mit ihrer Umwelt beschrieben werden. In der Jenaer Zeitschrift für Medizin und Naturwissenschaften erschien 1888 ein Beitrag von Ernst Stahl über "Pflanzen und Schnecken. Biologische Studien über die Schutzmittel der Pflanzen gegen Schneckenfraß". Jedoch erst in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts etablierte sich die Chemische Ökologie als Wissenschaft. Das Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena feiert in diesem Jahr sein 10jähriges Bestehen.

    Pheromone, besonders bekannt als Sexuallockstoffe, bilden ein spannendes Kapitel der Kommunikation zwischen Organismen. Der Borkenkäfer konnte als erstes Insekt mit seinen eigenen Pheromonen vom Menschen erfolgreich bekämpft werden. Die Forschung hat sich aber auch den Pheromonen anderer Insekten und Spinnen zugewandt. Zu den Aufgaben der Chemiker gehört, die chemische Struktur dieser Stoffe aufzuklären; denn sie entscheidet über die Wirkung.

    Erstaunlich ist, dass beispielsweise unterschiedliche Spinnenarten auch ganz unterschiedliche Pheromone produzieren: die europäische Baldachinspinne Linyphia triangularis einen Abkömmling der Hydroxybuttersäure, die südamerikanische Kammspinne Cupiennius salei ein Dimethylcitrat und die Wüstenspinne Agenelopsis aperta ein Methylnonan.

    Allein 16 physiologisch aktive Verbindungen konnten auf der Oberfläche/Außenhaut von brütenden Hummelköniginnen entdeckt werden. Diese Stoffe beeinflussen das Verhalten der Arbeiterinnen und die Entwicklung im Eistadium, sie sind also Signalstoffe der Königin.

    Generell spielen Pheromone für das Überleben und die Fortpflanzung von Insekten eine große Rolle. Wie Sexuallockstoffe wirken, hat man beispielsweise an Motten untersucht. Der "Pheromon-Detektor" sitzt auf den Nervenzellen in den feinen Härchen der Fühler. Ein Pheromon bindendes Protein in direkter Nachbarschaft zur Oberfläche der Nervenzelle leitet das Pheromon zu Rezeptorproteinen auf der Nervenzell-Membran. Hier wird das chemische Signal in ein elektrisches umgewandelt.

    Motten und andere Insekten fliegen im Zickzack-Kurs. Wissenschaftler sind sich sicher, dass das ursächlich mit der Geruchswahrnehmung zu tun hat. Die kleinen Tierchen reagieren sehr empfindlich auf viele in der Luft befindliche Stoffe, die sie chemisch entschlüsseln und von denen sie auch ermitteln, aus welcher Richtung sie kommen. Es ist erstaunlich, mit welcher ungeheuren Schnelligkeit eine Fülle an Informationen von den Insekten im Flug verarbeitet wird. Die Mechanismen, die dieses Navigationsverhalten steuern, sind noch nicht vollständig geklärt.

    Pflanzen senden nicht nur Duftstoffe, sondern auch andere Signalstoffe aus, die sie vor Fraßfeinden schützen. Insekten, die Pflanzen schädigen, können durch einige Pflanzen bereits bei der Eiablage gestört werden - chemisch versteht sich. Auf diesem Gebiet steht die Forschung noch in den Anfängen. Sie könnte für den Pflanzenschutz wichtige Erkenntnisse und neue Wirkstoffe bringen.

    Eine interessante Substanzklasse sind die green leaf volatiles (GLVs), kurzkettige Aldehyde und Alkohole sowie ihre Acetate, die durch oxidativen Abbau von Membranlipiden in frisch beschädigten Blättern entstehen. Diese Substanzen wirken in weiter entfernten Bereichen derselben Pflanze oder nahe benachbarten Pflanzen als Alarmsignale und bereiten so auf eine "Gefahrensituation" vor. Die "alarmierte" Pflanze kann auf einen später erfolgenden Angriff viel schneller reagieren. Andere Duftstoffe werden von der Pflanze erst Stunden nach dem Fraßschaden abgegeben. Sie werden besonders von den Parasiten der Pflanzenfresser wahrgenommen, die durch diesen Duft zu ihrer Nahrung oder Wirten für die Eiablage geführt werden. Da sie dabei den Pflanzenfresser töten, spricht man auch von einem pflanzlichen "SOS-Signal". Die molekularen Aspekte dieser Duftkommunikation werden derzeit genauer erforscht. Da die Steuerung der Abwehrprogramme genetisch fixiert ist, wird die Forschung, die sich von den Genen bis zum Verhalten spannt, im Angelsächsischen Ecogenomics genannt.

    Der Gastgeber der Jenaer Veranstaltung, Professor Dr. Wilhelm Boland, zusammenfassend: "Es ließen sich noch viele Beispiele zu Wirkungen von chemischen Signalstoffen in der Tier- und Pflanzenwelt und der Welt der Mikroben nennen. Dank einer ausgefeilten chemischen Analytik und der Möglichkeit, diese Stoffe chemisch nachzubauen, gelingt es nicht nur, die Natur besser zu verstehen, sondern auch neue Wirkstoffe für den Pflanzenschutz zu entwickeln - im Sinne einer ökologisch ausgerichteten Chemie."

    Zur Tagung, die an der Friedrich-Schiller Universität stattfindet, werden rund 300 Teilnehmer erwartet, wobei mit zahlreicher Beteiligung der Osteuropäer gerechnet wird. Den Eröffnungsvortrag hält Professor Dr. Jacques Pasteels von der Freien Universität Brüssel über die Evolution der chemischen Verteidigung. Die GDCh, mit über 27.000 Mitgliedern eine der größten chemiewissenschaftlichen Gesellschaften weltweit, veranstaltet 2007 insgesamt sieben internationale Tagungen, davon sind drei international ausgerichtete Fachgruppentagungen. Die teilnehmerstärkste GDCh-Tagung 2007 wird das Wissenschaftsforum vom 16. bis 19. September in Ulm werden.


    Weitere Informationen:

    http://www.gdch.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Informationstechnik, Meer / Klima, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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