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05.06.2000 14:00

Zenons Quantenparadoxon ins Gegenteil verkehrt: Beobachtung beschleunigt einen fliegenden Pfeil

Debbie Weiss Publications and Media Relations Department
Weizmann Institut

    Ist Bewegung eine Illusion? Koennen 'Blicke' radioaktiven Zerfall aufhalten?

    Seit ueber 2500 Jahren beschaeftigen sich Wissenschaftler und Philosophen mit dem beruehmten Paradoxon des Zenon von Elea. In der juengeren Vergangenheit waren viele Wissenschaftler der Auffassung, dass die Entsprechung zu diesem Paradoxon, bekannt als Zenons Quantenparadoxon, in der von der Quantenphysik beherrschten mikroskopischen Welt verwirklicht werden kann. Nun haben Wissenschaftler des Weizmann Instituts gezeigt, dass in den meisten Faellen Zenons Quantenparadoxon nicht eintritt. Ein Artikel, der die Berechnungen beschreibt, die zu dieser ueberraschenden Schlussfolgerung fuehrten, erscheint in der heutigen Ausgabe der Zeitschrift Nature. Der Artikel wird ausserdem im 'News and Views'-Teil der Zeitschrift kommentiert.

    Der griechische Philosoph Zenon der Aeltere, der im 5. Jahrhundert v. Chr., einige Jahrzehnte vor Sokrates lebte, war Zeit seines Lebens mit dem Beweis jener logischen Paradoxa beschaeftigt, die sich aus der Idee der unbegrenzten Teilbarkeit von Raum und Zeit ergeben (z.B. dass jede Linie aus einer unendlichen Zahl von Punkten besteht). Eines dieser Paradoxa ist das so genannte Pfeilparadoxon: Wenn die Bewegung eines fliegenden Pfeils ad infinitum geteilt wird, dann steht waehrend jeder dieser unendlich kurzen Momente der Pfeil still. Die Summe einer unendlichen Reihe von Nullen bleibt Null, weshalb der Pfeil sich nicht bewegen kann. Man kann sich vorstellen, wie jemand, der einem fliegenden Pfeil wiederholt blitzschnelle Blicke zuwirft, theoretisch den Pfeil in der Luft anhaelt. Zenon leitete daraus ab, dass es keine Bewegung gibt. Darin zeigte er sich als wuerdiger Schueler und Nachfolger des Parmenides, der behauptet hatte, dass jede Veraenderung in der Natur lediglich eine Illusion sei.

    Diese philosophische Sichtweise wurde zwar von Aristoteles sowie von Wissenschaftlern und Philosophen des 19. Jahrhunderts zurueckgewiesen, die Zenons Paradoxon aufhoben, indem sie zeigten, dass eine Geschwindigkeit, die ungleich Null ist, in den Abschnitten einer infinitesimal geteilten Flugbahn existieren kann. Dennoch erhielt das Paradoxon neuen Aufwind - in den sechziger Jahren durch den Physiker Leonid A. Khalfin, der in der damaligen UdSSR arbeitete, und in den siebzigern durch die in den USA taetigen Physiker E.C.G. Sudarshan und Baidyanath Misra. Mit Hilfe der Quantentheorie kamen sie zu dem Schluss, dass ein mikroskopisch kleines Objekt, das sich im Lauf der Zeit veraendert, seine Veraenderung in der Tat einstellen wuerde, wenn ein Beobachter wiederholte, blitzschnelle Beobachtungen von dem Objekt vornaehme. Die Frequenz der Beobachtungen teile die Flugbahn, auf der sich das Objekt befindet, in unendlich viele Segmente, innerhalb derer keine Veraenderung stattfaende. Mit anderen Worten: In der Quantenwelt koennte ein Beobachter die Entwicklung eines Objekts ganz im Sinne des Paradoxons von Zenon einfrieren.

    Skeptiker, die diese Berechnungen anzweifelten, waren aeusserst ueberrascht, als im Jahr 1990 der Physiker John Wineland von der Universitaet Colorado in einem Experiment bewies, dass 'gefrierende Blicke' tatsaechlich in der realen Welt funktionieren (oder zumindest in einer 'simplen' Welt mit nur zwei Energieniveaus). Seither arbeiten Physiker hart daran, die Auswirkungen dieses Experiments zu verstehen. Kann Zenons Paradoxon zum Beispiel radioaktiven Kernzerfall 'blickgefrieren' und damit Strahlung aufhalten? Die vorherrschende Meinung in den vergangenen 30 Jahren besagte, dass solch ein Gerfrieren moeglich sei, vorausgesetzt, die Observationen wuerden mit der noetigen Frequenz durchgefuehrt.

    Prof. Gershon Kurizki und Dr. Abraham Kofman vom Weizmann Institut haben kuerzlich gezeigt, dass es dieses 'Gefrieren' in der Realitaet nicht gibt und der Zerfall nicht wirklich aufgehalten werden kann, wenn man das System mit Blicken 'bombardiert'. Nach ihren Berechnungen haengt die Faehigkeit, Veraenderungen durch schnelle Blicke zu 'gefrieren', vom Verhaeltnis zwischen Memory-Zeit des Zerfalls und Zeitintervall zwischen aufeinanderfolgenden Beobachtungen ab. Jeder Zerfallsprozess hat eine Memory-Zeit. Beim radioaktiven Zerfall zum Beispiel ist dies der Zeitraum, in dem die Strahlung noch nicht aus dem Atom ausgetreten ist, wodurch das System seinen Zustand vor dem Zerfall noch 'im Gedaechtnis' hat. Die Memory-Zeit beim Strahlungszerfall eines angeregten Atoms (ein Atom, das einen instabilen Energiewert hat), betraegt weniger als ein Milliardstel einer Milliardstel Sekunde. Um den Zerfall zu 'gefrieren', muessten die Observationen in Intervallen weit unter einer Milliardstel Milliardstel Sekunde stattfinden.

    Eine Sequenz von so rasch aufeinanderfolgenden Observationen wuerde jedoch zum Auftreten neuer Teilchen fuehren, was das System vollkommen veraendern und zerstoeren wuerde, wodurch sich die Frage nach dem Aufhalten des Zerfallsprozesses eruebrigen wuerde. Sind - auf der anderen Seite - die Zeitintervalle zwischen einzelnen Observationen laenger als die Memory-Zeit des Zerfalls, steigen Zerfallsrate und Strahlung sogar an. Zenons Paradoxon ist in diesem Fall nicht nur wirkungslos, sondern es tritt sogar der umgekehrte 'Anti-Zenon-Effekt' ein.

    Prof. Kurizki: 'Mit anderen Worten: Wenn wir eine Analogie zwischen einem Objekt, das sich im Lauf der Zeit veraendert - beispielsweise einem zerfallenden Atomkern oder einem angeregten Atom - und Zenons fliegendem Pfeil herstellen, dann beschleunigt sich der Pfeil, je haeufiger die 'Blicke' werden. Die ueberraschende Schlussfolgerung dieser Studie ist, dass der Anti-Zenon-Effekt (d.h. die Beschleunigung des Zerfalls durch haeufige Beobachtung) bei allen Zerfallsprozessen auftreten kann, waehrend der urspruengliche Zenon-Effekt, der den Zerfall verlangsamen oder sogar stoppen koennte, Bedingungen voraussetzt, die bei derartigen Prozessen nur selten bestehen.

    Professor Gershon Kurizki ist Inhaber des George-W.-Dunne-Lehrstuhls fuer chemische Physik. Seine Forschungsarbeit wird unterstuetzt von der Minerva Stiftung und dem Marcus-Sieff-Fonds.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Mathematik, Philosophie / Ethik, Physik / Astronomie, Religion
    überregional
    Forschungsprojekte, Studium und Lehre
    Deutsch


     


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