Metallocen-Katalysatoren: Ein Quantensprung in der Kunststoffsynthese
Forschung und zielgerichtete Entwicklung bei Hoechst
In einem Einmachglas begann im Jahre 1957 eine der folgenreichsten Entdeckungen der modernen Chemie. Am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr fand der Chemiker Karl Ziegler, daß sich kleine Etylen-Bausteine schon bei Raumtemperatur und ohne äußeren Druck zu langen Ketten aus Polyethylen formen. Möglich machte dies ein spezieller Katalysator aus Titantetrachlorid und Aluminiumalkylen, für dessen Erfindung und systematische Weiterentwicklung Ziegler gemeinsam mit dem italienischen Forscher Giulio Natta 1963 den Nobelpreis für Chemie erhielt.
Ziegler-Natta-Katalysatorsysteme haben seither ihren Siegeszug um die Welt angetreten. Weltweit werden zur Zeit mit ihrer Hilfe jährlich fast 40 Millionen Tonnen Kunststoffe aus Bausteinen wie Ethylen und Propylen hergestellt. Diese Polyolefine haben wie keine andere Werkstoffklasse den menschlichen Alltag geprägt. Von der einfachen Plastiktüte aus Polyethylen (PE) bis zur hochentwickelten Kondensatorfolie aus Polypropylen (PP) reicht eine fast unübersehbare Zahl von Anwendungen.
Auf diesem nach wie vor überaus attraktiven Gebiet der industriellen Chemie bahnt sich jetzt ein Generationenwechsel an: Eine neue Familie von Katalysatoren - die sogenannten Metallocene - wird in den nächsten Jahren die bisher üblichen Ziegler-Natta-Systeme in weiten Bereichen ablösen. Diese Entwicklung markiert einen Quantensprung in der Polymersynthese, denn mit Hilfe der Metallocene, deren räumliche Gestalt an ein Sandwich erinnert, lassen sich erstmals Kunststoffe mit einem in weiten Grenzen präzise steuerbaren Eigenschaftsprofil herstellen.
Metallocene - ein Quantensprung in der Polymersynthese
Bislang war eine derart genaue Abstimmung verschiedener Eigenschaften wie Temperaturbeständigkeit, Härte, Schlagzähigkeit oder Transparenz nicht möglich. Der Grund: Die konventionellen Ziegler-Natta-Katalysatoren sind in der Regel Festkörper, an deren Oberfläche sich ein relativ uneinheitliches katalytisches Geschehen abspielt. Daraus resultiert ein entsprechend uneinheitlich zusammengesetztes Polymer. Da der Katalysator selbst unlöslich ist, sind seine aktiven Zentren analytisch kaum zugänglich. Er läßt sich daher auf rationeller Basis auch nicht zielgerichtet verbessern. Im Gegensatz dazu besitzt ein Metallocen-Katalysator genau ein aktives Zentrum. Dieser Dreh- und Angelpunkt der Polymersynthese kann aufgrund der guten Löslichkeit des Komplexes eingehend untersucht werden. Aus diesem Grunde sind auch die einzelnen Schritte, in denen der Katalysator die Grundbausteine zur Kette verknüpft, im Prinzip bekannt. Aufbauend darauf lassen sich Metallocene - im Gegensatz zu den Ziegler-Natta-Systemen - so modifizieren, daß Aufbau und Eigenschaften des entstehenden Kunststoffs weitaus besser gesteuert werden können als bisher.
Bereits im Jahre 1985 startete Hoechst ein umfangreiches Forschungsprojekt, um die aussichtsreiche neue Familie der Metallocene eingehend zu studieren. Im gleichen Jahr hatten die Hochschullehrer Hans H. Brintziger (Konstanz) und Walter Kaminsky (Hamburg) in einer aufsehenerregenden wissenschaftlichen Veröffentlichung gezeigt, daß bestimmte zirkoniumhaltige Metallocen-Typen auch technisch ein interessantes Potential bieten. Mit Hilfe dieser Katalysatoren war es den Forschern gelungen, einen bestimmten Typ des Kunststoffs Polypropylen (PP) - das sogenannte isotaktische Polypropylen (iPP) - in hoher Ausbeute und Reinheit herzustellen. Die räumliche Gestalt dieses Kunststoffs zeichnet sich dadurch aus, daß die Methylgruppe des Grundbausteins Propylen - entlang der polymeren Kette betrachtet - streng einheitlich zu einer Seite hin ausgerichtet ist. Schon dieser einheitliche Aufbau (Chemiker sprechen von "Stereoregularität") verleiht dem Kunststoff in vielen Punkten verbesserte Eigenschaften. Mit Hilfe der Metallocene war es jetzt erstmals möglich, auch den Grad dieser Ordnung und damit die Eigenschaften des entstehenden Polymeren einzustellen. So läßt sich der Schmelzpunkt eines auf Metallocen-Katalyse basierenden iPP je nach Anwendung zwischen 130 und 160 Grad Celsius einstellen.
Metallocen-Forschung - im Labor ...
Aufgrund einer traditionell starken Position im Bereich der Organischen Synthese gelang es Forschern bei Hoechst, für die überaus schwierige, komplexe Herstellung der Metallocene in relativ kurzer Zeit eine Reihe eleganter Syntheseverfahren zu erarbeiten. Auf dem Gebiet der technisch für Hoechst besonders wichtigen Metallocene vom Typ der Bis-(indenyl)-Zirkoniumkomplexe markieren diese Arbeiten heute die Grenze des weltweit technisch Machbaren. Zwischen 1987 und 1995 wurden im Rahmen dieses Projekts mehr als 100 neue Zirkonocene synthetisiert und eingehend getestet. Die aktivsten Vertreter dieser Gattung übertreffen die konventionellen Katalysatoren bei weitem: Aus 100 Gramm Metallocen können einige 100.000 Kilogramm Kunststoff entstehen. Herkömmliche Systeme erreichen höchstens Bruchteile dieser Leistungsfähigkeit.
... am Computer ...
Auf der Basis dieser umfangreichen experimentellen Erfahrungen unterstützte die Arbeitsgruppe Scientific Computing in der Zentralforschung mit dem Einsatz leistungsfähiger Simulations- und Modellingprogramme die zielgerichtete Entwicklung hochaktiver Metallocene. So gelingt es heute, die Einzelschritte des katalytischen Geschehens auf molekularer Ebene zu veranschaulichen. Auf diese Weise läßt sich die zielgerichtete Optimierung von Metallocen-Katalysatoren effektiver gestalten.
... und in der Anwendung
Die Metallocene selbst sind in gelöster Form für die meisten großtechnischen Prozesse nicht geeignet. Damit sie im technischen Maßstab ihre volle Leistungsfähigkeit entfalten können, müssen sie auf ein pulverförmiges, unlösliches Trägermaterial aufgezogen und dort fixiert werden. Jedes dieser Pulverkörner ist bei der späteren Polymerisation der Startpunkt für das Wachstum der Polymerketten. Da die aktiven Zentren auf der Oberfläche jedes Katalysator-Korns identisch sind, wachsen alle Ketten einheitlich mit hoher Präzision. Auf diese Weise entsteht ein Kunststoff mit einer sehr engen Molekulargewichtsverteilung - eine begehrte Eigenschaft, die mit den bisherigen Katalysatoren so nicht zu erzielen war.
Die Metallocen-Aktivitäten bei Hoechst sind in den kommenden Jahren unter anderem auf die großtechnische Herstellung von isotaktischem Polypropylen (iPP) gerichtet. Die Eigenschaften dieses Kunststoffs übertreffen konventionell katalysierte PP-Typen in einigen Punkten (hohe Steifigkeit, variabel einstellbarer Schmelzpunkt, erhöhte Transparenz, geringe extrahierbare Anteile) und erschließen dem altbekannten Werkstoff damit neue und anspruchsvollere Anwendungsfelder. Polypropylen erobert dabei Einsatzgebiete, die bis vor kurzem noch den Technischen Kunststoffen vorbehalten schienen. Die Trägerung der Metallocene zur Herstellung dieses Kunststoffs wird im Rahmen einer F+E-Kooperation zwischen Hoechst und Exxon seit Mitte 1994 zur Anwendungsreife entwickelt.
drop-in-Technologie: Metallocene erobern den Markt
Ein wesentlicher Vorteil der neuen Metallocene: Ihr Einsatz bei der Herstellung von Kunststoffen erfordert keine grundsätzlich neuen Produktionsverfahren, sondern kann in den vorhandenen großtechnischen Produktionsanlagen erfolgen. Man muß dazu den konventionellen Katalysator gegen die deutlich leistungsfähigeren und an den jeweiligen Prozeß angepaßten Metallocen-Katalysatoren austauschen (drop-in-Technologie).
Hoechst arbeitet zur Zeit intensiv daran, die neuen Metallocen-Katalysatoren im Rahmen dieses Konzepts in die eigenen Produktionsanlagen zu übertragen. Dazu ist in diesem Jahr ein erster Betriebsversuch geplant. Mit einer Kommerzialisierung von Metallocen-basierendem iPP ist in den nächsten zwei Jahren zu rechnen. Auf der Basis umfangreicher Erfahrungen und der eigenen starken Patentposition möchte Hoechst die Metallocen-Katalysatoren künftig auch im kommerziellen Maßstab herstellen und diese im Rahmen einer drop-in-Technologie zu einem späteren Zeitpunkt auch anderen Interessenten zugänglich machen.
Die Entwicklung auf dem Gebiet der Metallocene und das Know-how im Zusammenhang mit ihrer Anwendung werden die Polyolefin-Industrie in den nächsten Jahren stark prägen. Diesem Wirtschaftszweig - und hier insbesondere dem stark wachsenden PP-Markt - wird diese neue Technologie zusätzliche Wachstumsimpulse verleihen. Schon in 10 bis 15 Jahren könnte die Hälfte der weltweiten Polyolefin-Kapazität auf Metallocen-Katalysatoren basieren.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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