Ob bei Parkinson, Alzheimer oder schweren Gehirnverletzungen: Untergegangene oder zerstörte Nervenzellen werden nicht mehr ersetzt. Ein Forscherteam um Professor Magdalena Götz vom Institut für Physiologie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und dem Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (GSF) Neuherberg konnte nun aus einem nicht-neuronalen Zelltyp im Gehirn funktionale Nervenzellen herstellen. Wie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "The Journal of Neuroscience" berichtet, nehmen diese so genannten Gliazellen nach einigen Tagen der Umprogrammierung die normale Gestalt einer Nervenzelle an. "Besonders interessant ist, dass sie auch deren elektrische Eigenschaften zeigen", berichtet Dr. Benedikt Berninger, Erstautor der Studie. "Das ist sehr ermutigend, weil die Erzeugung korrekt funktionierender Nervenzellen aus Gliazellen ein wichtiger Schritt sein könnte, auf Grund von Verletzung oder Krankheit zerstörte Neuronen wieder zu ersetzen."
Fast neunzig Prozent der Zellen im Gehirn sind so genannte Gliazellen, vor allem die sternförmigen Astroglia. Ihren Namen verdanken die Zellen dem renommierten Mediziner Rudolf Virchow, der diese Zellen Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckte - und ihr Potential völlig unterschätzte. Das griechische Wort "Glia" bedeutet nichts anderes als "Kitt" oder "Leim", und eben diese Funktion wurde den Zellen auch zugeschrieben: Sie sollten die Neuronen stützen, unterstützen und zusammenhalten. Lange verkannt, begann sich die Forschung erst spät für diesen Zelltyp zu interessieren. Mit überraschendem Ergebnis: So konnte Magdalena Götz nachweisen, dass sich Gliazellen während der Entwicklung des Gehirns in Neuronen umwandeln können. "Damit agieren sie als Stammzellen, haben also das Potential, andere Zelltypen zu bilden", so Magdalena Götz. "Diese Fähigkeit geht aber in späteren Entwicklungsstadien verloren, so dass Gliazellen selbst nach Verletzungen im erwachsenen Gehirn nicht mehr zu Neuronen werden können." Bislang war es nicht möglich, die Differenzierung der Gliazellen gezielt anzuregen.
Das aber wäre die Voraussetzung einer Therapie. Um die Entwicklung der Gliazellen zu Stammzellen auch umkehren zu können, untersucht das Team von Magdalena Götz seit einigen Jahren, welche molekularen Schalter für die Bildung von Nervenzellen aus Gliazellen während der Entwicklung des Gehirns wesentlich sind. Diese Regulatorproteine wurden dann in Gliazellen aus einem älteren Gehirn, also nach der embryonalen Entwicklung, eingebracht. Sie haben daraufhin tatsächlich neuronale Proteine angeschaltet. "Wir konnten zeigen, dass einzelne dieser Regulatorproteine ausreichen, um aus Gliazellen wieder funktionelle Nervenzellen zu erzeugen", berichtet Berninger. "Den über mehrere Tage verlaufenden Übergang von der Gliazelle zum Neuron haben wir sogar live in Zeitrafferaufnahmen verfolgt und auch ihre Funktionsfähigkeit nachweisen können." Damit konnte zum ersten Mal bewiesen werden, das Neuronen, die von reprogrammierten Gliazellen abstammen, physiologisch weitgehend mit funktionierenden Nervenzellen übereinstimmen.
Publikation:
"Functional Properties of Neurons Derived from In Vitro Reprogrammed Postnatal Astroglia, Benedikt Berninger, Marcos R. Costa, Ursula Koch, Timm Schroeder, Bernd Sutor, Benedikt Grothe, and Magdalena Götz, Journal of Neuroscience, 27: 8654-8664, 8. August 2007
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Magdalena Götz
Institut für Physiologie der LMU
Tel.: 089 / 2180 75255
Fax: 089 / 2180 75216
E-Mail: magdalena.goetz@lrz.uni-muenchen.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch
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