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25.06.2000 23:44

Warum ein Infekt Olympioniken aus der Bahn werfen kann

Dr. Wolfgang Hirsch Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Jenaer Sportmediziner forscht über Immunabwehr und Leistungssport

    Jena. (26.06.00) In eine kritische Vorbereitungsphase steuern die deutschen Olympioniken wenige Wochen vor den Wettspielen in Sydney. Denn ausgerechnet in der Zielkurve zum Leistungshöhepunkt entsteht die größte Gefahr, durch eine Infekt-Erkrankung aus der Bahn geworfen zu werden. "Dabei wissen wir, dass Sport grundsätzlich die Immunabwehr stärkt", weist Prof. Dr. Holger Gabriel, Sportmediziner an der Universität Jena, auf ein scheinbares Paradox hin. "Das gilt natürlich für den Breiten-, aber ebenso für den Leistungssport." Mit der lapidaren Erklärung, Spitzenathleten seien eben sensibel wie die Rennpferde, hat sich der ehemalige Zehnkämpfer nicht zufrieden gegeben und umfangreiche Reihenuntersuchungen über den Zusammenhang von Immunabwehr und Leistungssport angestellt.

    An der Universität Saarbrücken als Assistent des DFB-Chefinternisten Prof. Dr. Wilfried Kindermann und jetzt in Jena klärte Gabriel auf, welche subtilen Prozesse das fein austarierte Immunsystem aus dem Gleichgewicht bringen können. "Wir haben es bei der körpereigenen Immunabwehr mit einem biologischen Regelsystem zu tun, das einerseits eine heilsame, weil erregerfeind-liche Entzündung provoziert, andererseits zeitverzögert eine entzündungshemmende Schutzwirkung entfaltet", erläutert er.

    Eine Schlüsselfunktion kommt dabei den biochemischen Botenstoffen zu: wie etwa dem Tumornekrosefaktor alpha, Interleukin 1 und 6 auf der einen und Interleukin 10 bzw. dem Hormon Kortisol auf der anderen Seite. "Diese Abwehrbremse durch Kortisol ist überlebenswichtig", weiß Gabriel, "sonst würden die einmal aktivierten Makrophagen nicht nur infizierte Zellen und Krankheitserreger vertilgen, sondern auch gesundes Gewebe angreifen." Die schlimmste Folge wäre eine lebensgefährliche Blutvergiftung.

    Bei Leistungssportlern kann dieses Gleichgewicht aber quasi zur anderen Seite kippen: nicht von einer übermäßigen Entzündung, sondern von einer unangepassten Entzündungshemmung droht die Gefahr. "Körperliche Belastung führt nun einmal zu einer erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen", erklärt der Sportmediziner. "Damit wird das sympathische Nervensystem auf Touren gebracht und vermehrt Kortisol ausgeschüttet." - Ein natürlicher Prozess, denn Kortisol aktiviert auch den Stoffwechsel, fördert also den rascheren Energieumsatz in den Muskeln und lindert mikroskopisch kleine Zellschäden, die durch exzentrische Belastungen, etwa beim Laufen, entstehen. Darauf hat sich jeder Athleten-Körper eingestellt. "Wenn die Regenerationsphasen lang genug sind, ist das kein Problem", resümiert Gabriel.

    Wird jedoch der Trainingsplan vor Wettkämpfen auf immer kürzere und schärfere Leistungsintervalle umgestellt, gerät die körpereigene Immunabwehr in verminderte Gefechtsbereitschaft. Und in der Regel kommen noch weitere Faktoren hinzu: psychischer Stress durch die Vorstartsituation, Zeitverschiebung und Klimaumstellung durch Fernreisen zum Wettkampfort und manchmal auch eine unzureichende Ernährung mit Kohlenhydraten. Dann genügt so ein kleiner äußerer Anlass wie ein Wespenstich oder ein Schnupfen in der Familie, um für den Athleten den Super-Gau auszulösen. Denn der erhöhte Kortisolspiegel behindert den Transport der körpereigenen Immunzellen vom Knochenmark durch den Blutkreislauf zum Infektionsherd, und die Erreger haben leichtes Spiel.

    Das Immunsystem befindet sich dann in einem Zustand wie ein Sportwagen, der mit angezogener Handbremse auf Hochtouren fährt. In seinen Messreihen stellte Gabriel zum Beispiel fest, dass bei Athleten, die in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung erkrankten, spezielle, für die Eiterbildung notwendige weiße Blutkörperchen nicht die üblichen acht Stunden im Blut zirkulieren, sondern 20. In dieser Situation gibt es nur eine Hand-lungsmaxime: Den Trainingsplan zurückstecken und erst den Infekt auskurieren.

    "Alles andere ist hochriskant für Leib und Leben", warnt Gabriel, dem sich regelmäßig die Nackenhaare sträuben, wenn sich etwa grippekranke Fußballer für das wichtige Ligaspiel "fitspritzen" lassen. Denn dann können selbst harmlose Erreger den Körper überschwemmen und vitale Organe schädigen: zum Beispiel den Herzmuskel. "Bei einigen gesunden Leistungssportlern haben wir geringfügige Herzrhythmus-Störungen gemessen, die auf solche Ereignisse rückschließen lassen", verrät er. Im schlimmsten Fall droht als Folge ein plötzlicher Herztod. "Auch dafür kennen wir Beispiele", wird Gabriel nachdenklich, "dabei verbietet schon jeder vernünftige Hausarzt bei Fieber alle schweren körperlichen Belastungen."

    Für die deutsche Olympia-Equipe macht er sich in dieser Hinsicht keine Sorgen. "Deren sportärztliche Betreuung ist exzellent", urteilt er - und wirbt um das Verständnis der Zuschauer am Bildschirm, wenn der eine oder andere Wettkämpfer mit Trainingsrückständen an den Start gehen muss.

    Ansprechpartner:
    Prof. Dr. Holger Gabriel
    Institut für Sportwissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Tel.: 03641/945650, Fax: 945652, E-Mail: h.gabriel@ghz.de

    Literatur: Holger H. W. Gabriel: Sport und Immunsystem: Modulationen und Adaptionen der Immunität durch Belastung und Training. Wissenschaftliche Reihe des Deutschen Sportbundes, Band 30. Verlag Karl Hofmann. 252 S. Schorndorf 2000.

    Friedrich-Schiller-Universität
    Referat Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Wolfgang Hirsch
    Fürstengraben 1
    07743 Jena
    Tel.: 03641/931031
    Fax: 03641/931032
    E-Mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Sportwissenschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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