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26.06.2000 17:08

Schipanski zu Humangenomprojekt

Urte Lemke Pressestelle
Thüringer Kultusministerium

    In einem Namensartikel für die Tageszeitung "Die Welt" vom 27. Juni 2000 schreibt die Thüringer Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Prof. Dr. Dagmar Schipanski zum Humangenomprojekt:

    Jede wissenschaftliche Erkenntnis kann bis zu ihrem Abschluß noch viele Vertiefungen im Detail erfahren. Als Naturwissenschaftlerin ist mir das aus eigener wissenschaftlicher Arbeit sehr bewußt. Und doch ist die gestern vorgelegte Arbeitsversion des menschlichen Erbgutes auch für mich beeindruckend, und ich bin stolz, daß daran auch Forscher aus Thüringen beteiligt waren.

    Wie aber sollen wir Politiker jetzt mit diesem Meilenstein umgehen - einem Meilenstein, mit dem wir nach landläufiger Meinung dem Schöpfer ins Handwerk pfuschen können?
    Zunächst steht fest: Eine wissenschaftliche Erkenntnis ist nicht aus sich heraus gut oder böse. Entscheidend ist das, was der Mensch damit anfängt. Und deshalb muß die Genforschung vor allem transparent gestaltet werden. Die Ergebnisse müssen von den Wissenschaftlern in die Öffentlichkeit gebracht werden, so wie dies vom Humangenomprojekt gestern getan wurde.

    Der Wissenschaftler selbst sollte den Diskurs mit der gesellschaftlichen Öffentlichkeit suchen, seine Ergebnisse nicht allein im eingeengten, abgeschirmten Kreis der "scientific community" diskutieren. Diese Auffassung wird sicher nicht von allen meiner Kollegen geteilt werden. Ich bin mir auch bewußt, daß es Anstrengungen erfordert, wissenschaftliche Erkenntnisse in allgemeinverständlicher Sprache darzulegen und sie mit ihrem Für und Wider zu verdeutlichen. Dies gilt auch für die Anwendung der Forschungsergebnisse. Denn die Erkenntnisse sind kein geheimes Verkaufsgut, sondern sie sind öffentliches Gut - und zwar unabhängig von der Finanzierung der Forschung.

    Die Forschung und die Weiterverarbeitung der Forschungsergebnisse muß gerade auf diesem wissenschaftlichen Feld von Anfang an ethisch begleitet werden. In unserer offenen Gesellschaft gibt es keine Ziele, auf die alle Bereiche des Lebens "von oben her" ausgerichtet werden. Wohl aber kann und muß es einen möglichst breiten Konsens über die Richtung geben, die wir in den nächsten Jahren einschlagen wollen, insbesondere in der Genforschung.

    Ein solcher Konsens ist das Ergebnis freier Debatten, die Gegensätze nicht unter den Teppich kehren, sie aber auch nicht ideologisch stilisieren. Die "Bürgergesellschaft" der Bundesrepublik kann eine solche Debatte leisten, moderiert werden sollte sie von der Politik, der Wissenschaft und den Medien im gleichen Maße. Dabei geht es mir nicht nur um die Teilnahme der Naturwissenschaftler. Hier ist die Einbeziehung von Philosophen, Theologen, Ethikern und vielen anderen erforderlich. Weitere Gesprächspartner müssen vor allem auch Vertreter der Wirtschaft im Bereich der Biotechnologie sein - nur dann kann eine "Verantwortungsgesellschaft" entstehen.

    Der Rückzug aus der Forschung oder gar ein Verbot solcher Forschung wäre töricht und für Deutschland schädlich, denn die Arbeit der Forscher wird ja auf jeden Fall weitergehen, sie muß weitergehen.

    Was können die Kriterien bei der Beurteilung der Forschungsergebnisse sein? Zunächst: Das Tabu der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens muß erhalten werden. Aber dieses Tabu darf nicht das medizinische Weiterkommen blockieren, das Kranken ihr Leben zu erleichtern verspricht. Die Gentechnologie bietet neue Möglichkeiten, Leiden zu lindern. Und allein aus meiner Arbeit als Präsidentin der Krebshilfe halte ich das für eine ganz große Chance.

    Gleichzeitig muß klar sein: Veränderte Gene bedeuten aber auch Manipulationen von Erbanlagen, die irreversibel und schädlich sein können. Daher kann nicht alles erlaubt sein, was machbar ist. Dafür müssen wir Politiker den Rahmen setzen. Der sollte in meinen Augen aber eher weit, als eng gesteckt sein. So ist für mich zum Beispiel eine Grenze bei der verbrauchenden Embryonenforschung zu ziehen. Die Wissenschaft muß hier Methoden erarbeiten, die ohne das ethische - und ich halte mich jetzt zurück - Ärgernis der überzähligen Embryonen auskommt, die einfach weggeschüttet werden.

    Es liegt in der Gesamtverantwortung der Gesellschaft, nicht nur des einzelnen Wissenschaftlers, wie die Erkenntnisse genutzt werden. Dabei hat der Wissenschaftler aber die Pflicht zur Information der Gesellschaft, zur Information über Chancen und Risiken. Wobei ich gerade uns Deutsche dazu ermutige, die Chancen stärker in den Vordergrund zu rücken. Manches, was an Bedenken artikuliert wird, scheint mir Ergebnis einer deprimierten Grundbefindlichkeit zu sein - sie nimmt in vielfältiger Hinsicht kommenden Generationen Zukunftschancen und uns Möglichkeiten positiver Lebensgestaltung, und dazu gehört auch die Freude - übrigens nicht nur an der wissenschaftlichen Entdeckung.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Informationstechnik
    überregional
    Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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