Von der 13. Europäischen Konferenz zur Entwicklungspsychologie an der Universität Jena
Jena (22.08.07) Wie finden Jugendliche ihre Identität? Mit dieser Frage beschäftigt sich Prof. Dr. J. Douglas Coatsworth von der Pennsylvania State University/USA. Der Entwicklungspsychologe ist eingeladen, die Forschungen seines Teams in einem wissenschaftlichen Vortrag auf der 13th European Conference on Developmental Psychology vorzustellen. Diese bedeutendste Tagung der europäischen Entwicklungspsychologen wird vom 21.-27. August 2007 durch das Center for Applied Developmental Science (CADS) der Friedrich-Schiller-Universität Jena ausgerichtet. Für seinen Vortrag am 22. August wählte Coatsworth das Thema "Activities Involvement, Expressive Identities, and Positive Youth Development".
"Jugendliche sind auf der Suche nach sich selbst", erläutert Coatsworth. "Identität - das ist die Antwort auf die Frage, wer ich bin und wer ich in der Zukunft sein möchte. Es ist zugleich eine Vorstellung davon, dass ich verschiedene Möglichkeiten habe zu handeln, mit anderen zu kommunizieren und mein zukünftiges Leben zu gestalten." Um das herauszufinden, wählen die Jugendlichen bestimmte Aktivitäten aus, bei denen sie sich ausprobieren und verschiedene Erfahrungen machen.
"Dabei geht es nicht nur darum, die eigenen Stärken zu erkunden - ein Mensch beispielsweise liebt den Fußball und trainiert mehrmals wöchentlich, der andere hingegen spielt nicht gerne Fußball, sondern er malt lieber oder er spielt ein Musikinstrument", so Coatsworth. "Es geht vielmehr auch darum: Wenn ich Fußball spiele oder mit anderen musiziere - wie fühle ich mich dabei?" So kann der leidenschaftliche Fußballer über sich selbst beim Sport herausfinden, dass er gerne mit anderen wetteifert und die Herausforderung durch den sportlichen Wettkampf liebt. "Durch solche Aktivitäten bekomme ich eine Vorstellung davon, was ich wirklich bin, was mich ausmacht und auszeichnet."
Was machen Jugendliche, um ihre Identität zu definieren?
Coatsworth stellt in seinem Vortrag auf der 13th European Conference on Developmental Psychology zwei Studien vor über die Erfahrungen Jugendlicher mit den verschiedenen Arten von Aktivitäten, die sie nutzen, um ihre Identität zu definieren. "Diese Studien basieren auf einem philosophischen und theoretischen Modell der Identitätsentwicklung, welches davon ausgeht, dass Heranwachsende in der heutigen, postmodernen Welt aus einer breiten Vielfalt möglicher Identitäten auswählen können - aber einige davon werden besser zu den natürlichen Anlagen und den Kompetenzen einer konkreten Person passen", sagt der amerikanische Professor.
Für die erste Studie wurden 493 Jugendliche aus den USA, Chile und Italien befragt. "Dabei hatten wir vier Hauptziele", berichtet Coatsworth: "Wir wollten Übereinstimmungen und Unterschiede bei den Arten von Aktivitäten herausfinden, die Jugendliche aus diesen drei Ländern als selbstdefinierend identifizieren. Wir wollten zudem testen, ob ein allgemeines Modell subjektiver Erfahrungen in diesen Aktivitäten, bestehend aus den Dimensionen Persönlichkeitsausdruck, Flow und zielgerichtetem Verhalten, für die Jugend in allen drei Ländern passen würde". "Persönlichkeitsausdruck bietet eine Aktivität dann, wenn sie einer Person ein starkes Gefühl gibt, genau dies zu tun, was sie schon immer tun wollte", erläutert der Professor. "Ein Student beispielsweise, der an einer Schulaufführung teilnimmt, stellt dabei fest, dass er Schauspieler werden möchte. Flow ist eine Erfahrung hoher Konzentration, bis hin zum gänzlichem Verlust der Zeitwahrnehmung, und guter Balance zwischen der Herausforderung und den eigenen Möglichkeiten." "Wir wollten drittens", so Coatsworth weiter, "untersuchen, ob die Ausprägung dieser drei Dimensionen der subjektiven Erfahrung je nach Aktivität, Nationalität oder der Wechselwirkung zwischen Aktivität und Nationalität variiert. Und wir wollten viertens erkunden, ob sich männliche und weibliche Jugendliche in ihren Aktivitäten und Identitäts-Erfahrungen unterscheiden."
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass das dreidimensionale Modell auf alle drei Länder gut passt. Auch die Aktivitäten und die Erfahrungen, die die Jugendlichen mit Hilfe dieser Aktivitäten gemacht haben, sind in allen drei Ländern ähnlich: "Benannt wurden vor allem Sport, Bildende oder Darstellende Kunst und Musik, aber auch religiöses und soziales Engagement", so Coatsworth. "Erstaunlicherweise erfährt die Jugend bei solchen Freizeitbetätigungen sehr viel mehr über sich selbst als in der Schule oder bei der Arbeit, vor allem in den Dimensionen Persönlichkeitsausdruck und Flow." Schule und Arbeit, so der Professor, helfen den Heranwachsenden dabei, ihre Lebensziele zu formulieren, aber sie bringen diesen wenig Erfahrungen in den beiden anderen Dimensionen. Bemerkenswert fand Coatsworth die Variabilität der Erkenntnisse, zu denen Jugendliche durch Aktivitäten ein und derselben Klasse gelangten: "So benannten einige Jugendliche zwar Sport als selbstdefinierende Aktivität, aber sie berichteten zugleich über sehr niedrige Grade subjektiver Erfahrungen durch diese Aktivität."
Eltern haben enorme Bedeutung für die positive Entwicklung der Jugendlichen
Der Psychologe verweist auf die enorme Bedeutung, die Eltern und Familie für die positive Entwicklung der Jugendlichen haben. Zur Identitätsfindung tragen sie gleich doppelt bei, so der Professor: "Einerseits direkt über die Erfahrungen, die die Heranwachsenden in ihrer Familie sammeln, und andererseits dadurch, dass die Familie die Jugendlichen ermutigt, an den unterschiedlichsten Aktivitäten teilzunehmen und sich auszuprobieren." Eltern können ihre Kinder dabei unterstützen, diejenigen Aktivitäten zu finden, die ihnen helfen, eine Identität zu entwickeln. Sie können diesen Prozess aber auch stören, merkt Coatsworth an. "Diese Gefahr besteht besonders dann, wenn Eltern überengagiert sind und ihren Kindern unrealistische Ziele vorgeben, wenn beispielsweise der Vater den Sohn zum Fußballspielen zwingt, obwohl dieser das gar nicht möchte."
"Insgesamt fanden wir sehr wenig kulturelle Unterschiede. Darüber waren wir selbst überrascht", sagt Coatsworth. "Auch Geschlechtsunterschiede fanden wir in allen drei Ländern nur bei den Arten der Aktivitäten, nicht aber bei den subjektiven Identitätserfahrungen durch diese Aktivitäten. Das ist wichtig, weil es zeigt, dass - selbst wenn einzelne Aktivitäten, wie Sport, möglicherweise stärker von Jungen benannt werden - dann, wenn Jungen oder Mädchen dieselbe Aktivität als selbstdefinierend benennen, sie auch vergleichbare Erfahrungen beschreiben."
An der zweiten Studie nahmen etwa 120 Jugendliche im High-School-Alter aus den USA teil. Damit wollten die Entwicklungspsychologen die Beziehungen zwischen der Beteiligung an Aktivitäten, dem Ausdruck von Identität und anderen Aspekten der Entwicklung von Jugendlichen einschließlich ihrem Wohlbefinden und ihrer Zukunftsperspektive erforschen.
Auch diese Studie bestätigte, dass - obwohl Jugendliche eine große Anzahl verschiedener Aktivitäten als selbstdefinierend bezeichnen - ihnen nicht jede Aktivität dieselben Erfahrungen bringt. "Unsere Analysen haben zudem einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem allgemeinen Grad der Beteiligung einer Person an selbstdefinierenden Aktivitäten und ihrem Wohlbefinden gezeigt", unterstreicht Coatsworth: "Aber es war nicht die Teilnahme allein, sondern letztendlich die Qualität der subjektiven Erfahrungen aus diesen Aktivitäten, die zum Wohlbefinden führten."
http://www.esdp2007.de/index.htm
http://www.uni-jena.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Psychologie
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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