Von der 13. Europäischen Konferenz zur Entwicklungspsychologie an der Universität Jena
Jena (23.08.07) Urlauber geraten in eine Naturkatastrophe. Ob Erdbeben, Wirbelsturm oder Hochwasser - schon die Bilder im Fernsehen sind schrecklich genug. Wer mit dem Leben davonkommt, kämpft oftmals noch jahrelang mit den Erinnerungen - und mit Angst und Stress. Das kann bis zur Berufsunfähigkeit und manchmal sogar bis zum Selbstmord führen.
Manche Menschen aber können solche traumatischen Erlebnisse besser verarbeiten als viele andere. Sie erholen sich schneller und kommen mit dem Erlebten besser zurecht. Psychologen bezeichnen eine solche "Stehaufmännchen-Mentalität" als Resilienz. Wie aber entsteht Resilienz? Und ist sie eine generelle Eigenschaft bestimmter Menschen oder gilt sie vielmehr nur für eine Person zu einem Zeitpunkt und in einer konkreten Situation?
Ann S. Masten, Distinguished McKnight University Professor der University of Minnesota, Minneapolis/USA, ist eine der weltweit führenden Expertinnen in Sachen Resilienzforschung. Die Entwicklungspsychologin wurde eingeladen, den aktuellen Forschungsstand in einem wissenschaftlichen Vortrag auf der 13th European Conference on Developmental Psychology zusammenzufassen. Diese bedeutendste Tagung der europäischen Entwicklungspsychologen wird vom 21.-27. August 2007 durch das Center for Applied Developmental Science (CADS) der Friedrich-Schiller-Universität Jena ausgerichtet. Für ihren heutigen Vortrag wählte Masten das Thema "Resilience in Developing Systems: Progress and Promise as the 4th Wave Rises."
Junge Leute, die Not und Gefahr überwinden
In ihrem Vortrag gibt Ann S. Masten einen Überblick über vierzig Jahre Forschungsgeschichte. Denn erst seit derart kurzer Zeit ist das Phänomen der Resilienz ein Gegenstand der Forschung. Damit ist das Thema nicht länger ausschließlich die Domäne von Romanautoren: "Die Idee der Resilienz ist nicht neu", räumt die Professorin ein. "Geschichten über junge Leute, die Not und Gefahr überwinden, haben uralte Wurzeln in den Heldinnen und Helden von Mythen und Sagen. Aber systematische Forschung, um Resilienz zu dokumentieren und zu verstehen, begann um 1970."
Resilienz ist ein breiter Begriff, der die positive Anpassung während oder nach einer Notlage beschreibt, erläutert Masten. "Das schließt diverse Varianten ein, wie die Entwicklung zu einem erfolgreichen Erwachsenen nach einer Kindheit in schwierigen Verhältnissen, das erfolgreiche Funktionieren in überaus stressigen Zeiten oder die Erholung nach dem Erlebnis einer Katastrophe." Schon die ersten Wissenschaftler, die sich mit diesem Thema beschäftigten, waren überzeugt: Wenn man diese sozusagen natürlich vorliegende Resilienz versteht, dann könnte es gelingen, Interventionen und Verfahren zu entwickeln, um Personen zu helfen, die mit negativen Lebenserfahrungen konfrontiert sind.
Die Professorin identifizierte bislang "drei große Wellen der Resilienzforschung - und eine vierte Welle beginnt nun." In der ersten Welle dokumentierten Wissenschaftler das Phänomen der Resilienz und machten "Schutzfaktoren" ausfindig, die jungen Leuten helfen, sich positiv zu entwickeln, auch wenn sie in schwierigen Verhältnissen heranwachsen. "Diese Welle brachte Methoden für das Studium der Resilienz und die so genannte ,short list' von Faktoren, die mit diesem Phänomen im Zusammenhang stehen", sagt Masten. "Diese Liste schließt individuelle Qualitäten, wie Fähigkeit zur Selbstkontrolle oder Problemlösungskompetenzen ebenso ein, wie Familienqualitäten, wie effiziente Elternschaft oder Qualitäten der Gesellschaft, wie Ressourcen für Kinder und Familien."
Die grundlegenden Schutzvorgänge ermitteln
Die zweite Welle der Forschung begann mit der anspruchsvollen Aufgabe herauszufinden, wie Resilienz funktioniert. Die Wissenschaftler wollten die Gründe und Vorgänge verstehen, die zu Resilienz führen: "Die ,short list' lässt vermuten, dass es einige sehr grundlegende Schutzvorgänge gibt, die jungen Leuten in Not und Gefahr helfen", so Masten, "weil dieselben Faktoren in diversen Populationen und Studien aus der ganzen Welt immer wieder als bedeutsam erscheinen."
Als potentielle Schutzprozesse identifiziert waren, startete die dritte Welle der Forschung: Die Psychologen untersuchen nun, ob es möglich ist, Personen gezielt in ihrer Resilienz zu stärken. Mit Hilfe speziell entworfener Interventionen sollen dazu Schutzvorgänge gefördert werden. "Diese Experimente dauern bis heute an", meint die Amerikanerin, "aber die ersten Resultate sind sehr vielversprechend."
Mittlerweile habe jedoch im Bereich der Entwicklungswissenschaften eine Revolution stattgefunden, unterstreicht Masten. Als Ergebnis des technischen Fortschrittes rücken gänzlich neue Fragestellungen in den Fokus der Forscher: Hirnentwicklung, Erbanlagen oder wie sich Menschen im Verlauf der Zeit verändern. Denn inzwischen existieren Methoden zur bildlichen Darstellung des Hirns und der Vorgänge darin, die Erfassung des menschlichen Genoms ist abgeschlossen, leistungsfähige Computer ermöglichen den Einsatz neuer statistischer Methoden. "All dies hat dazu beigetragen, dass es möglich wurde, Entwicklung auf einer Vielzahl von Analyse-Ebenen zu studieren - sozusagen ,von den Neuronen bis zur Nachbarschaft'", sagt die Entwicklungspsychologin, "quer durch die Spezies und über die gesamte Lebensspanne."
Wird es möglich sein, Lern- oder Verhaltensdefizite durch Hirntraining zu korrigieren?
Zur selben Zeit stellten die Wissenschaftler fest, dass das menschliche Hirn in Funktion und Entwicklung eine beeindruckende Plastizität zeigt, abhängig von und in Antwort auf konkreten Erfahrungen. Fasziniert haben die Forscher festgestellt, dass es Möglichkeiten gibt, die Arbeit des Hirns zu beeinflussen. "Irgendwann wird es vielleicht möglich sein, Lern- oder Verhaltensdefizite durch Hirntraining zu korrigieren", so Masten.
Die vierte Welle der Resilienzforschung arbeitet daran, diese neuen Erkenntnisse über alle Ebenen der Forschung hinweg zu integrieren. "Resilienz wird nun gesehen als allgemeine Eigenschaft eines komplexen Systems, was menschliche Individuen ebenso einschließt wie Öko- oder soziale Systeme", erklärt die Professorin. "Die Integration von Erkenntnissen über Resilienz aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen kann eine wissenschaftliche Basis für Aktivitäten zur Vorbereitung auf Katastrophen wie Wirbelstürme oder Anschläge von Terroristen liefern. Sie erleichtert aber auch die Entwicklung von präventiven Interventionsprogrammen und Strategien, um eine gesunde Entwicklung zu fördern."
http://www.esdp2007.de/index.htm
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Psychologie
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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