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30.06.2000 11:52

Zeitbewirtschaftung in Familien

Dr. Michael Schwarz Geschäftsleitung
ISO Institut zur Erforschung sozialer Chancen Köln

    Wie bewältigen abhängig Beschäftigte, die in Familien leben, das Problem der Vereinbarung von Beruf und Familie? Eine neue Publikation untersucht, wie gemeinsames Familienleben zwischen den Anforderungen der Arbeitswelt, der Haushaltsführung und der Kinderbetreuung gestaltet werden kann. Der erste Teil präsentiert Ergebnisse einer repräsentativen Untersuchung über die berufliche und außerberufliche Zeitverwendung von Beschäftigten in Familien. Anschließend werden anhand von Fallstudien unterschiedliche Typen familialer Praxis aufgezeigt.

    Die Familie steht unter Transformationsdruck: In dem Maße, wie traditionell verbürgte Orientierungen ihre Verbindlichkeit verlieren, müssen die Familienmitglieder autonom Konsens in einer Vielzahl biographisch relevanter Entscheidungen erzeugen, aber ebenso über Arbeitsteilungsmuster und Erwerbsbeteiligungsformen.

    Die Familie steht damit vor einer doppelten Anforderung, die sich lediglich analytisch trennen läßt: Einerseits muß die familiale Lebenspraxis konstituiert und konsolidiert werden; andererseits müssen typische familiale Aufgaben wie die Subsistenzsicherung durch Erwerbsarbeit, Hausarbeit und Kindererziehung erbracht werden. Die Integration der Familie als Gruppe ist eine Voraussetzung für die gemeinsame Leistung, die zeitlichen Anforderungen von Erwerbssystem, Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen, Geschäften und Behörden zu koordinieren und zu synchronisieren. Das Gelingen dieser Koordinations- und Synchronisationsbemühungen wiederum ermöglicht es, eine gemeinsame familiale Zeitverwendung überhaupt sicherzustellen.

    Zeitverwendungsprofile bilden den Kern der quantitativ angelegten empirischen Untersuchungen über Arbeitszeiten und Arbeitszeitformen bei Beschäftigten, die in Paarhaushalten mit Kindern leben. Für Westdeutschland zeigt sich ein eindeutiger Trend der zunehmenden Erwerbsbeteiligung von Müttern auch jüngerer Kinder. Dieser Trend ist als Gegenbewegung zu den traditionellen Erwerbsbeteiligungs- und Arbeitsteilungsmustern, die immer noch dominieren, zu deuten. In Ostdeutschland dagegen ist nach wie vor das dominante Erwerbsbeteiligungsmuster die Doppel(-vollzeit-)erwerbstätigkeit beider Elternteile. Zwar sinkt im Zuge der Umstrukturierung am Arbeitsmarkt die Erwerbsbeteiligung von Müttern, doch die starke Erwerbsorientierung ostdeutscher Frauen, die in Familien leben, wird davon nicht tangiert.

    Die Zeitverwendungsprofile für formelle und informelle Arbeit belegen: Unabhängig von der West-Ost-Differenz dominieren bei den Männern stets die Anteile der formellen gesellschaftlichen Arbeit, bei den Frauen ist es umgekehrt. Männer und Frauen, die ein egalitäres Arbeitsteilungsmodell verfolgen, haben auch die längsten Hausarbeits- und Kinderbetreuungszeiten. Und diese Männer haben kürzere erwerbsarbeitsgebundene Zeiten als Männer mit traditionellen Arbeitsteilungsmustern; die betreffenden Frauen haben dagegen längere Erwerbsarbeitszeiten als diejenigen, die ein traditionelles Muster pflegen. Zentrales Ergebnis der Zeitverwendungsprofile ist schließlich, daß vor allem vollzeiterwerbstätige Frauen eine immense Gesamtarbeitsbelastung aufweisen, die besonders dann, wenn die Kinder noch klein sind, weit über dem Vergleichswert der Männer liegt.

    Die vier Sequenzanalysen von Interviews mit Beschäftigten in Familienhaushalten verdeutlichen, daß familiale und berufliche Zeitanforderungen um ein begrenzt zur Verfügung stehendes Zeitkontingent konkurrieren. Es ist eine Frage der fallspezifischen Gewichtung, welchem Bereich Priorität eingeräumt wird: ob angesichts beruflicher Interessen oder finanzieller Bedarfe manifeste familiale Zeitnot in Kauf genommen wird oder ob aufgrund einer Orientierung am vom Zeitdruck entlasteten Umgang mit den Kindern die berufliche Karriere unterbrochen oder aufgegeben wird. Derartige Gewichtungsprozesse sind eingebettet in kollektive familiale Identitäten, aber zugleich konfliktreiche Aushandlungsprozesse zwischen den Familienmitgliedern. Interessanterweise hat sich in allen vier Sequenzanalysen gezeigt, daß die Frage der Erwerbsbeteiligung der Frau in den Kontext der Dynamik von Egoismus und Solidarität gestellt wird: Für die beruflich qualifizierten Frauen ist die Erwerbsarbeit eine Möglichkeit der individuellen Selbstverwirklichung und der gesellschaftlichen Wertteilhabe. Der Verzicht auf Erwerbsarbeit ist kehrseitig eine familiale Solidaritätsleistung.

    Die Untersuchung ist der erste Band der neuen Reihe "Soziale Chancen", die vom Institut zur Erforschung sozialer Chancen (ISO) in Köln herausgegeben wird. In ihr sollen Publikationen veröffentlicht werden, die den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem Wandel und den Arbeits- und Lebensbedingungen analysieren.

    Frank Bauer: Zeitbewirtschaftung in Familien. Konstitution und Konsolidierung familialer Lebenspraxis im Spannungsfeld von beruflichen und außerberuflichen Anforderungen, Soziale Chancen, 1, Opladen: Leske + Budrich, 2000, ISBN 3-8100-2734-0, 373 S., DM 68,-, erhältlich beim Verlag oder im Buchhandel

    Kontakt zu Dr. Frank Bauer: frank.bauer@iso-koeln.de oder 0221/97 30 43 20


    Weitere Informationen:

    http://www.iso-koeln.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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