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18.09.1996 00:00

Neuer Kunststoff bricht aus der Apotheke aus

Dipl.-Ing. Mario Steinebach Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
Technische Universität Chemnitz

    Von der DFG gefoerdert

    Wissenschaftlerteam plant "Ausbruch" aus der Apotheke

    Chemnitzer Forscher erkunden neue Anwendungen fuer Super-Kunststoff

    Wenn die alten Babylonier ihre Lehmziegel formten, so mischten sie Stroh unter. Und auch die Germanen wussten, wie man eine Mauer fester und haltbarer macht. Sie wanden Binsen und Zweige zusammen (daher unser Wort "Wand") und bestrichen sie ringsum mit Lehm. Selbst die Festigkeit von Beton laesst sich noch erhoehen: durch eingelagerten Stahl, oder nach einem kuerzlich an der Chemnitzer Uni entwickelten und patentierten Verfahren durch thermochemisch behandelte Textilschnitzel. Die verstaerkende Wirkung von Fasern ist also seit urdenklichen Zeiten bekannt; schon die Natur macht uns das bei jedem Baum und bei jedem Halm seit Millionen von Jahren vor.

    Kein Wunder also, dass auch die moderne Technik dieses Prinzip nutzt. Faserverstaerkte Kunststoffe mit ihren herausragenden Eigenschaften sind laengst nicht mehr wegzudenken aus dem High-Tech-Bereich. Ob das Seitenleitwerk eines Airbusses, der Stab eines Hoch- pringers oder der Schlaeger eines Tennisprofis, alle drei sind aus kohlefaserverstaerktem Kunststoff. Ohne sie koennten weder das Flugzeug noch die Sportler ihre Spitzenleistungen vollbringen. Allerdings, fuer Grossserien eignen sich langfaserverstaerkte Kunststoffe kaum, dazu ist die Herstellung zu aufwendig. Als Alternative haben sich in manchen Bereichen kurzglasfaserverstaerkte Kunststoffe durchgesetzt. Ihr Vorteil: selbst komplizierte technische Teile lassen sich (wie bei normalem Kunststoff) durch Spritzgiessen in grossen Mengen sehr kostenguenstig herstellen. Derartige Materialien sind stabiler als unverstaerkter Kunststoff, behalten auch bei hoeheren Temperaturen ihre Form und schrumpfen bei Abkuehlung nicht so stark.

    Umsonst gibt es solche Eigenschaften freilich nicht. So verschleissen die Verarbeitungs- aschinen durch die Glasfasern schneller, die Kunsttoffe sind zaehfluessiger und daher weniger leicht zu handhaben. Auch die Verbindung zwischen Glasoberflaeche und umgeben-dem Kunststoff ist schwierig: je schlechter sie ist, desto kleiner sind die Kraefte, die uebertragen werden koennen und desto geringer ist auch die Verstaerkung. Nun bestehen Kunst-stoffe allerdings selbst aus Fasern gleichartiger Molekuele, sogenannten Polymerketten. Wenn man diese nur genuegend lang machen koennte, so ueberlegten die Chemiker, waere der Kunst-stoff aus sich heraus fest; man koennte darauf verzichten, andere Fasern einzulagern. Diese Herausforderung liess sie nicht ruhen, und das Ergebnis ist ein faszinierendes neues Material: der fluessigkristalline Kunststoff (LCP: Liquid Cristal Polymer).

    Der heisst so, weil er auch im fluessigen Zustand noch die sich regelmaessig wiederholende Ordnung von Kristallen zeigt. Dies erreicht man dadurch, dass in die Molekuelkette starre Abschnitte eingebaut werden, die - entsprechend ausgerichtet - die Fasern verstaerken. Da der Werkstoff nicht aus zwei unterschiedlichen Materialien besteht, gibt es auch keine Grenzflaechen und damit keine Probleme mit der Vertraeglichkeit und dem Verschleiss. Da die starren Abschnitte sich in Fliessrichtung ordnen, laesst sich der neue Kunststoff sogar leichter verarbeiten. Bricht er, so sieht die Bruchflaeche faserig aus, aehnlich wie bei Holz. Am weitesten angewandt wird der Werkstoff in den hochfesten Aramidfasern. Deren Festigkeit ist acht- bis zehnmal hoeher als die von Baustahl. Frueher konnten die fluessig-kristallinen Kunststoffe nur zu Fasern

    gesponnen werden, seit kurzem kann man auch dieses Material spritzgiessen. Es wird vor allem fuer hochbeanspruchte kleine Praezisionsteile verwandt, fuer Platinen oder Zahnraeder von Uhren etwa, fuer Sockel von elektronischen Bau-teilen, Leuchtdiodengehaeuse oder fuer das Schloss des Sicherheitsgurtes in Daimler-Benz-Fahrzeugen. Auch der Sockel des neuesten 200-MHz- entium-Computerchips besteht daraus - vorher war er aus schlecht zu bearbeitender Keramik. Klein sind die Teile vor allem deshalb, weil das Material mit Preisen um die 50 Mark pro Kilo nach wie vor zu den "Apothekerkunststoffen" zaehlt. Dass es in der Praxis noch nicht so verbreitet ist, liegt auch daran, dass man noch nicht alle Moeglichkeiten dieses faszinierenden neuen Materials kennt und sie damit auch nicht kostenguenstig ausschoepfen kann. Das wollen Chemnitzer Wissenschaftler nun aendern: in dem Projekt "Zum Einfluss von Fliessvorgaengen auf die Orientierung von Bauteilen aus LCP" unter der Leitung von Prof. Dr. Guenter Mennig suchen sie zur Zeit nach neuen Effekten und Anwendungen. Finanziert wird das am Institut fuer Allgemeinen Maschinenbau und Kunststofftechnik der Technischen Universitaet Chemnitz- wickau durchgefuehrte Vorhaben von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Bleibt abzuwarten, wann den Chemnitzer Forschern der "Ausbruch" aus der Apotheke gelingt.

    Kontakt: Technische Universitaet Chemnitz-Zwickau, Fakultaet fuer Maschinenbau und Verfahrenstechnik, Lehrstuhl fuer Kunststoffverarbeitungstechnik, Prof. Dr. Guenter Mennig, Reichenhainer Str. 70, 09126 Chemnitz, Tel. 03 71/5 31-23 83, Fax 03 71/5 31-37 76


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Maschinenbau, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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