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07.07.2000 14:56

RUBIN 1/2000: Wie Geschichte die Gegenwart bestimmt

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Auch über 50 Jahre nach Kriegsende ist die NS-Vergangenheit in Deutschland präsent: Zahlreiche Fernsehbeiträge und Kinofilme widmen sich dem Thema, und die Diskussion um die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter nimmt kein Ende. Die verschiedenen Ansätze zur Bewältigung dieser Geschichte von 1949 bis heute haben RUB-Historiker um Prof. Dr. Norbert Frei (Neuere und neueste Geschichte) unter die Lupe genommen. Um die Vergangenheit geht es auch beim Projekt des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung (Dr. Mihran Dabag, Dipl.-Soz. Kristin Platt): Anhand von Interviews mit Überlebenden des Völkermords an den Armeniern 1915/16 versuchen sie herauszufinden, wie diese Erfahrung das spätere Leben dieser Menschen beeinflusst: Das Trauma ist Alltag. Über beide Themen und viele mehr berichtet RUBIN 1/2000 - Wissenschaftsmagazin der RUB, das soeben erschienen ist.

    Bochum, 07.07.2000
    Nr. 188

    RUBIN 1/2000: Wie Geschichte die Gegenwart bestimmt
    Eine lange Geschichte: Die Deutschen und ihre NS-Vergangenheit
    Überlebende des Völkermords in Armenien berichten

    Auch über 50 Jahre nach Kriegsende ist die NS-Vergangenheit in Deutschland präsent: Zahlreiche Fernsehbeiträge und Kinofilme widmen sich dem Thema, und die Diskussion um die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter nimmt kein Ende. Die verschiedenen Ansätze zur Bewältigung dieser Geschichte von 1949 bis heute haben RUB-Historiker um Prof. Dr. Norbert Frei (Neuere und neueste Geschichte) unter die Lupe genommen. Um die Vergangenheit geht es auch beim Projekt des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung (Dr. Mihran Dabag, Dipl.-Soz. Kristin Platt): Anhand von Interviews mit Überlebenden des Völkermords an den Armeniern 1915/16 versuchen sie herauszufinden, wie diese Erfahrung das spätere Leben dieser Menschen beeinflusst: Das Trauma ist Alltag. Über beide Themen und viele mehr berichtet RUBIN 1/2000 - Wissenschaftsmagazin der RUB, das soeben erschienen ist.

    "Vergangenheitsbewältigung": Deutsche wollten einen Schlussstrich ziehen

    Wie sollen die Deutschen umgehen mit ihrer NS-Vergangenheit? An dieser Frage scheiden sich die Geister: Wo die einen in der anfänglichen Verdrängung dieser Geschichte eine zweite "Kollektivschuld" sehen, glauben die anderen an eine produktive Kraft in dieser Verdrängung. Tatsache ist, dass bis in die 60er Jahre ein großes Schweigen herrschte: Statt einer normativen Abgrenzung von den Taten der NS-Herrschaft wurde eine Politik der Bewältigung der frühen Bewältigung betrieben - man versuchte die Folgen der Säuberungsaktionen der Alliierten rückgängig zu machen. Ende 1949 wurden sämtliche Straftaten amnestiert, die vor dem 15. September dieses Jahres begangen worden waren und mit bis zu sechs Monaten Haft bestraft werden konnten. Außer den nichtpolitischen Straftätern der Schwarzmarktzeit betraf das natürlich auch nicht verjährte NS-Verbrechen. Ende 1950 wurde die Entnazifizierung "liquidiert" - eine Art Schlussstrichdenken brach sich Bahn und führte zu einer Begnadigung von Kriegsverbrechern und zu einer Wiedereinstellung von Beamten besonders in der Justiz. Die Bereitschaft, NS-Strafsachen überhaupt noch zu ahnden, sank auf Null.

    "Vergangenheitsbewältigung": Verdrängung provoziert Gegenkräfte

    Von einer Produktivität der Verdrängung kann man also nur dann sprechen, wenn man die Entwicklung über längere Zeit und mit Sinn für Dialektik betrachtet: Ein solch skandalöser Umgang mit der Vergangenheit musste Gegenkräfte auf den Plan rufen, die Anfang der 60er Jahre zum politischen Generationenkonflikt und schließlich zu den Ereignissen von 1968 führten. Die Vergangenheitspolitik der 50er Jahre wurde abgelöst durch eine Phase, die vom Begriff der "unbewältigten Vergangenheit" geprägt war und zwanzig Jahre dauerte. Am Ende der Flut von Skandalen und Enthüllungen steht nun die Frage nach der Bewahrung der Erinnerung: Was muss erhalten bleiben, damit die Geschichte als warnende Botschaft in die Zukunft weist?

    "Überlebende des Völkesmordes": Reden über das Leben mit dem Trauma

    Die Erinnerung ist es auch, die den Alltag der Überlebenden des Völkermords an den Armeniern bestimmt. Die meisten Überlebenden waren zum Zeitpunkt des Verbrechens zwischen zwei und neun Jahre alt - ihre Wunden bleiben bis ins hohe Alter spürbar. Die Bochumer Forscher befragten die Betroffenen, die zwischen 80 und 100 Jahren alt sind, in Frankreich, Italien, den Niederlanden, Deutschland, Belgien und Österreich. Die Fragen sollten zu längeren Erzählungen anregen. Um auch die Gestik der Befragten, die häufig Unsagbares ausdrückt, in die Forschung miteinbeziehen zu können, zeichneten die Wissenschaftler die Interviews auf Video und Tonträger auf. Häufig stießen sie zuerst auf Erstaunen: "Sie wollen wirklich mein Leben hören?" wurden sie ungläubig gefragt, denn bisher hatten sie geschwiegen. Dann aber wagten sie die Reise in die Vergangenheit - gerade die Genauigkeit ihrer Schilderungen verblüffte die Interviewer.

    "Überlebende des Völkesmordes": Die Unsicherheit bleibt

    Die Auswertung der Aufzeichnungen zeigte trotz der großen Unterschiede zwischen den befragten Personen eine erstaunliche Ähnlichkeit ihrer Orientierungen: Viele versuchten, ihre Kindheit vor dem Genozid als verlorenes Paradies darzustellen, für viele waren die einstigen Lebensziele der Eltern bedeutend für die eigene Wertung. Allen Erzählungen war eine nicht näher bestimmte Sehnsucht, Unerfülltheit und Unzufriedenheit gemeinsam. Die Forscher erkannten deutlich den Einfluss von armenischer Geschichtsüberlieferung als Muster der Erzählungen wieder. Außerdem erkannten sie, dass die Folgen einer Traumatisierung auf das folgende Leben vom Alter der betroffenen Person abhängt: Menschen, die beim Völkermord unter drei Jahre alt waren, bildeten z. B. häufig charakterneurotische Persönlichkeiten aus.

    RUBIN 1/2000 erschienen

    Die vollständigen Beiträge lesen Sie bitte in RUBIN 1/2000, wo Sie außerdem folgende Artikel finden: Überleben ohne Amputation, Schlaganfall, schnell und sicher diagnostiziert, Bilder im Recht und Bilder vom Recht, Der "Doppelpass": verfassungswidrig?, Mini-Kreisverkehr: "Eine runde Sache", Bis das Getriebe kracht: Statistik ersetzt teure Tests. RUBIN ist bei der Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum für 5 DM erhältlich, und im Internet: http://www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/rubin.htm

    Weitere Informationen

    Prof. Dr. Norbert Frei, Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-22540, Fax: 0234/32-14-351

    Dr. Mihran Dabag, Kristin Platt, Institut für Diaspora- und Genozidforschung der Ruhr-Universität, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-29700/-29701, Fax: 0234/32-14-770


    Weitere Informationen:

    http://www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/rubin.htm


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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