Pflegewissenschaftlerin untersucht Übertragbarkeiten und Mentalitäten
In Japan wurde im Frühjahr 2000 eine Pflegeversicherung eingeführt, die sich sehr stark an dem deutschen Modell orientiert. Die Pflegewissenschaftlerin Barbara Reisach hat sich in ihrer Bachelor-Arbeit an der Universität Witten/Herdecke mit dem Vergleich zwischen deutscher und japanischer Pflegeversicherung beschäftigt. Ergebnisse: Eine sechsteilige Skala (In Deutschland nur drei Stufen) macht die Einteilung der Pflegebedürftigkeit flexibler, aber dafür kommen in der Regel nur Menschen ab 65 in den Genuss der Regelung.
Japan steht vor ähnlichen Entwicklungen wie Deutschland. Einer von vier Japanern wird im Jahr 2020 über 65 Jahre alt sein, die Lebenserwartung steigt massiv an, was erfahrungsgemäß zu höherer Pflegebedürftigkeit führt und gleichzeitig fehlt es an Pflegeeinrichtungen. 4% der Einweisungen in Krankenhäuser (= 740.000 Belegungstage) werden durch pflegebedürftige alte Menschen hervorgerufen, die dort"untergebracht" werden, wo sie eigentlich nicht hingehören. Die Verweildauer in japanischen Krankenhäusern liegt mit 49 Tagen um mehr als dreimal höher als in Deutschland (West 12,3 - Ost 13,9 Tage), weil Alte dorthin "abgeschoben" werden. Gleichzeitig bricht auch in Japan die Tradition des "Drei-Generationen-Haushalts" auseinander, in dem die Pflege der Alten die Aufgabe der Schwiegertochter des ältesten Sohnes war. Doch die Mentalität der konfuzianischen Pflichterfüllung weicht auf, die Zahl der Dreigenerationen-Haushalte sank von 25,4% (1960) auf 10,5 (1995). (Zum Vergleich: In Deutschland lebten 1992 nur 1,1% der Bevölkerung mit drei Generationen unter einem Dach.) Deshalb baut die japanische Regierung viele Alten- und Pflegeheime, und mit der neuen Pflegeversicherung unterstützt sie die häusliche Pflege. Denn während in Deutschland 80% der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt werden, sind es in Japan nur 64%.
"Der Vorteil der japanischen Pflegeversicherung liegt darin, dass keine zeitliche Begrenzung für die Hausbesuche der professionellen Pfleger vorgesehen ist", fasst Barbara Reisach die positive Seite zusammen. Der Nachteil liege allerdings darin, dass nur Personen über 65 Jahre in den Genuss der Pflegeleistungen kämen und nur wenige Ausnahmen möglich seien. In Deutschland sind dagegen alle Pflegebedürftigen anspruchsberechtigt. "In Japan wird auf einer sechsstufigen Skala die Pflegebedürftigkeit festgelegt, in Deutschland sind es nur drei. Im japanischen System ist daher viel genauer zu 'dosieren', wieviel Hilfen man jemandem gibt und wieviel Anreiz zur Selbstständigkeit man belässt", nennt Reisach als zweiten Vorteil. Und der dritte Unterschied? "Wenn ein japanischer Pflegedienst jemanden gut versorgt hat und die Pflegebedürftigkeit zurückgeht, bekommt der japanische Dienst einen Bonus für seine gute Arbeit. In Deutschland würde der Patient in eine niedrigere Pflegestufe zurückgestuft und weil dann weniger Zeit für die Pflege bleibt, würde sich sein Zustand wahrscheinlich verschlimmern".
Schließlich, so Reisach, werde sich am japanischen Modell zeigen, ob und wie viel flexibeler eine Organisation der Pflege auf kommunaler Ebene sein wird, die noch dazu durch einen Fachmann, den sog. Care Manager, beaufsichtigt und koordiniert wird. "Es wird spannend sein zu sehen, ob das steuerfinanzierte japanische Modell mit seinen sechs Stufen der Einteilung vielleicht sogar preiswerter wird als das deutsche", fasst Reisach ihren Ländervergleich zusammen.
Eine längere Zusammenfassung der Arbeit ist in der Juli-Ausgabe der Zeitschrift "Die Schwester/Der Pfleger" erschienen.
Weitere Informationen bei Barbara Reisach, 02302/69 73 18
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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