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24.04.1998 00:00

Von der Menschenführung zur Marktführung

Dipl.-Ing. Mario Steinebach Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
Technische Universität Chemnitz

    Von der Menschenführung zur Marktführung

    VW-Stiftung will Chemnitzer Jung-Wissenschaftlerin zur Professorin machen

    Es sind die wohl beliebtesten deutschen Vornamen: Doktor und Professor. Doch während eine Lisa oder ein Fabian meist von ihren Eltern so genannt werden, müssen sich die Doktoren und Professoren ihre Namenszusätze selbst erarbeiten. Rund 38.000 Deutsche haben das mit dem Professorentitel im Laufe der Zeit geschafft. Die Titelträger sind aber - jedenfalls ihrer Herkunft nach - nicht gleichmäßig über die Lande verteilt. So kommt etwa ein Großteil der Professoren in Deutschlands Osten von westlichen Unis, sei es, weil für bestimmte Fächer - etwa Jura oder Betriebswirtschaft - keine geeigneten Leute vorhanden waren, sei es, weil etliche Professoren die Unis wegen ihrer Verstrickung mit dem SED-Regime verlassen mußten.

    Das will die VW-Stiftung jetzt ändern: Sie hat ein Sonderprogramm für die Förderung des Hochschullehrernachwuchses in den neuen Ländern aufgelegt. Rund 12,1 Millionen Mark stehen dafür in den nächsten vier Jahren zur Verfügung. Bewerben konnten sich junge Wissenschaftler aus den Geistes- und den Sozialwissenschaften, die bereits den Vornamen "Doktor" besitzen und an einer ostdeutschen Uni tätig sind. 67 Jungforscher meinten, geeignet zu sein, doch nur 31 schafften die Hürden. Wieder mal ganz vorn dabei: Die Technische Universität Chemnitz. Gleich drei Chemnitzer sind unter den Stipendiaten - gemessen an der Größe der Hochschule mehr als von jeder anderen Uni.

    Eine der Geförderten ist die aus Eilenburg bei Leipzig stammende Dr. Ramona Alt. Sie hatte zunächst Wirtschaftswissenschaften in Leipzig studiert, danach arbeitete sie vier Jahre in der Industrie. Nach der Wende ging sie an die Leipziger Uni zurück, wechselte 1992 an die Uni Tübingen und arbeitete dort gleichzeitig an einem Forschungsinstitut. Seit Ende 1994 ist sie an der TU Chemnitz, wo sie am Lehrstuhl für Arbeitswissenschaften und Organisation bei Prof. Rainhart Lang über Führungskräfte in sächsischen Klein- und Mittelbetrieben forscht. Organisation ist auch ihr ganz privates Thema: Für die berufstätige Mutter einer kleinen Tochter stellen sich da so schwierige Aufgaben wie etwa einen Kindergeburtstag in Leipzig von der Hamburger Uni aus (wo sie in diesem Semester einen Lehrauftrag hat) zu organisieren.

    Als Thema für ihre Habilitation hat sich Dr. Ramona Alt "Führungspraktiken in Wandlungsprozessen" ausgesucht. Die meisten Firmen stehen heute unter einem enormen Druck, sich zu verändern und so neuen Gegebenheiten anzupassen. "Schlanke Unternehmensführung", "Globalisierung" oder "Ausgliederung von Betriebsteilen" heißen dabei die Schlagworte. Wer nicht flexibel genug ist und im Wettbewerb nicht mehr mithalten kann, wird gnadenlos vom Markt gefegt, wie die steigende Zahl der Unternehmenspleiten zeigt. Besonders schwer haben es dabei ostdeutsche Unternehmen, mußten sie doch zusätzlich einen Systemwandel von der Plan- zur Marktwirtschaft verkraften. Das stellt gerade an die Führungskräfte im Osten große Anforderungen.

    In den vergangenen Jahrzehnten hat es eine ganze Reihe von unterschiedlichen Führungsmodellen gegeben, die allerdings für die heutige Zeit nur noch bedingt taugen. Sie erstreckten sich oft in bloßen Handlungsempfehlungen und berücksichtigen die unterschiedliche Situation der einzelnen Betriebe nur unzureichend. Mal wurde mehr innerbetriebliche Demokratie in den Mittelpunkt gestellt, mal der einzelne Mitarbeiter. In den letzten Jahren wurde häufig die Führungspersönlichkeit selbst als ausschlaggebend angesehen, die durch ihre Ausstrahlung wirkt und dadurch die Mitarbeiter mitreißt. Neuerdings hat sich jedoch mehr der Gedanke durchgesetzt, daß Führung ein wechselseitiger Prozeß ist. Wie er konkret abläuft, wird im Einzelfall in einem schwierigen sozialen Prozeß ausgehandelt.

    Ein ganze neue Sichtweise, die unterschiedliche Richtungen miteinander zu versöhnen sucht, ist die Strukturationstheorie von Giddens. Die Rahmenbedingungen in einem Unternehmen und die Handlungsweisen seiner Mitarbeiter stehen dabei in einem engen Zusammenhang und werden gemeinsam betrachtet. Für Giddens sind die Menschen in einer Firma nicht durch Vorgaben von außen fremdgesteuert, sondern sie denken und handeln selbständig auf der Grundlage ihrer Erkenntnisse und Interessen, wobei sie freilich in bestimmte Routinen eingebunden sind. Die Mitarbeiter sind also vernunftbestimmt, auf ihr Wissen und Können kommt es an.

    Dr. Ramona Alt will nun das Führungsverhalten vor dem Hintergrund dieser Giddensschen Theorie untersuchen, wobei zusätzlich geprüft werden soll, wie sich diese Herangehensweise in kritischen, also Umbruchsituationen bewährt. Dazu wird Dr. Alt umfangreiche Gespräche mit Führungskräften führen, in denen sie auch nach deren Selbstverständnis und danach fragt, wie sie ihre Mitarbeiter sehen. Um die Ergebnisse abzusichern, sind aber auch Interviews mit den Untergebenen, den Vorgesetzten und den gleichrangigen Kollegen der Führungskräfte geplant. Dabei sollen zum Beispiel die Erfahrungen mit den jeweiligen Vorgesetzten oder die Anforderungen, die die Firma an ihr Führungspersonal stellt, ermittelt werden. Daneben werden noch Daten zur Größe des Betriebs, zur Qualifikation der Mitarbeiter oder zur Produktpalette erhoben. Alle Gespräche werden auf Band aufgezeichnet und anschließend für eine genaue Auswertung abgeschrieben. Am Ende wird dann eine fundierte Analyse des Führungsverhaltens von Unternehmen stehen, die sich in einem grundlegenden Wandlungsprozeß befinden.

    Vier Jahre hat Dr. Ramona Alt für ihre Forschungen Zeit, vier Jahre, in denen sie wie eine normale Uni-Angestellte bezahlt wird und sich keine Sorgen um ihren Lebensunterhalt machen muß. Auch der Besuch von Fachkongressen oder der Kauf von Büchern und anderen Sachmitteln wird von der VW-Stiftung bezahlt. Zu den Förderbedingungen gehört auch, daß die Nachwuchs-wissenschaftlerin sich mindestens ein Jahr an einer anderen Uni aufhält und dort forscht - man will so akademische Inzucht verhindern. Am Ende wird dann die Habilitation stehen, also die Lehrberechtigung an einer Universität. Der "Vorname" Professor ist damit jedoch immer noch nicht verbunden - den begehrten Titel dürfen die jetzt Geförderten erst dann führen, wenn sie von einer Hochschule auf einen Lehrstuhl berufen worden sind.

    (Autor: Hubert J. Gieß)

    Weitere Informationen: Dr. Ramona Alt, Telefon + Fax (03 41) 9 12-20 01


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Psychologie, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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