Das Mass aller Dinge
Auf fuenf Millionstel Millimeter genau
Neues Messsystem aus Chemnitz revolutioniert industrielle Messtechnik
Gaebe es nicht die Massenherstellung technischer Produkte, gaebe es auch nicht den heutigen Wohlstand in den westlichen Laendern. Und eine solche Massenherstellung waere ohne genormte, gleichartige und gleich grosse Teile wohl kaum moeglich. Genaues, schnelles und automatisches Messen ist gefragt, und das ganz besonders bei den heutigen Maschinen, die diese Produkte fabrizieren. Moderne computergesteuerte Praezisions-Werkzeugmaschinen muessen in der Lage sein, ihre Bewegungen bis auf winzige Bruchteile eines Millimeters genau auszufuehren - andernfalls wuerden etwa die Zaehne in einem Getriebe nicht ineinander passen.
Heutige Werkzeugmaschinen benutzen meist optoelektronische Abtastverfahren, um etwa die Bewegungen eines Werkzeugschlittens zu messen. Hierbei gibt es prinzipiell zwei Wege, das Absolutmesssystem und das zaehlende oder inkrementale Messsystem. Mit einem Absolutsystem laesst sich der Messwert, etwa wie bei einem Zollstock mit seinen Zahlenangaben, direkt ablesen. In der Industrie ist jedoch das Inkrementalsystem weiter verbreitet. Es entspraeche etwa einem Zollstock mit Messstrichen, aber ohne Zahlenangaben. Man stelle sich einmal vor, ein Mensch wuerde damit die Laenge eines Tisches messen - er muesste jedesmal alle Striche zaehlen. Computergesteuerte Maschinen haben es da einfacher, schnelles Zaehlen ist ihr Metier - und die Maschine zaehlt einfach jeweils um "eins" weiter, wenn der Werkzeugschlitten an einem Messstrich vorbeikommt. Dieses System ist deshalb weit verbreitet, weil es schneller und genauer ist als derzeitige Absolutmesssysteme. Allerdings ist jeder Messwert von einem vorherigen abhaengig. Bei Stoerungen koennen Werkzeuge, etwa ein Roboterarm, daher nicht einfach auf einen Bezugspunkt zurueckfahren, sondern es muss von neuem gezaehlt werden. Um dieser Zwickmuehle zu entgehen, versucht man, beide Verfahren in einem System unterzubringen. Aber auch das hat Nachteile: es wird mehr Platz benoetigt, Abtasteinheiten, Auswertelektroniken, Datenleitungen, alles ist doppelt vorhanden - natuerlich auch die Kosten.
Ein bedeutender Fortschritt beim optoelektronischen Messen von Laengen ist jetzt Wissenschaftlern der Technischen Universitaet Chemnitz-Zwickau gelungen: Am Institut fuer Fertigungsmesstechnik und Qualitaetssicherung (IFMQ) der Uni haben Dr. Christian Troll und Diplom-Ingenieur Uwe Kipping aus der Arbeitsgruppe von Prof. Harry Trumpold und Prof. Michael Dietzsch eine Methode entwickelt, mit der sich Laengen und Winkel im technischen Bereich genauer und schneller messen lassen. Ihr Name: Transformationsmesssystem. Das neue Verfahren ist verlaesslicher als die bisherigen und kann gleichzeitig Messfehler erkennen, wie sie etwa bei Verschmutzungen leicht vorkommen. Auch das Justieren des Messsystems wird nun einfacher.
Die Forscher werden ihr mittlerweile mehrfach patentiertes Verfahren in Kuerze auf der 8. Innovationsmesse in Leipzig vom 25. bis 27.09.1996 der OEffentlichkeit vorstellen.
Mittlerweile existiert ein Prototyp des Transformationswegmesssystems. Dieser besteht aus einem von oben beleuchteten Glasmassstab, der quer zur Messrichtung durch eine Art besonders lichtempfindliche Kamera, eine sogenannte CCD-Zeile, abgetastet wird, die ihre Daten eine Auswerteelektronik weitergibt. Auf dem Glasmassstab sind in mehreren parallelen Spuren lichtundurchlaessige Striche aufgetragen. Die mittlere Spur ist die eigentliche Messspur. Dort befinden sich unterschiedlich breite Striche, die alle im gleichen Winkel gegenueber der Mess- und der Abtastrichtung geneigt sind; sie heisst deshalb auch kodierte Transformationsspur. Wird nun der Glasmassstab in Messrichtung bewegt, ergibt sich in Abtastrichtung an jeder Messposition ein anderes, aber fuer den jeweiligen Messpunkt charakteristisches Hell-Dunkel-Muster, aus dem sich die zurueckgelegte Wegstrecke eindeutig bestimmen laesst. Beiderseits der Messspur befinden sich zwei weitere schmale Spuren, mit denen das Messsystem korrigiert und neu justiert werden kann. Sie enthalten parallel zur Messrichtung und quer zur Abtastrichtung liegende Striche, die also immer die gleichen Punkte der CCD-Zeile abschatten. Sollte dies nicht mehr der Fall sein, etwa, weil der Glasmassstab schraeg liegt oder verkantet ist, kann die Elektronik dies sofort erkennen und den Messfehler korrigieren. Auf beiden Seiten weiter aussen liegen zwei weitere, zueinander spiegelbildliche Messspuren, die wiederum in einem bestimmten, aber anderen Winkel geneigte schwarze Striche von diesmal allerdings gleicher Breite (also unkodiert) enthalten. Auch bei diesen Spuren erkennt die Elektronik deutlich, ob der Glasmassstab verkantet ist. Sie sind ausserdem fuer die hohe Messgenauigkeit massgebend. Auch Fehler durch Verschmutzung und Verschleiss werden sofort durch die Auswerteelektronik beruecksichtigt. Die kodierte und die unkodierte Messspur ergeben wegen der unterschiedlichen Strichwinkel auch unterschiedliche Bildgeschwindigkeiten. Dadurch ermoeglichen sie, dass die absolute Grobposition auch noch bei sehr schnellen Bewegungen bestimmt werden kann; bei der hochgenauen Feinbestimmung muss die Ge-schwindigkeit aber niedriger sein. Doch grob und fein sind relative Begriffe: Vergleichsmessungen des Prototyps mit einem hochaufloesenden herrkoemmlichen Industriemesssystem zeigten die UEberlegenheit des Chemnitzer Verfahrens. Bis auf fuenf Millionstel Millimeter genau laesst sich eine Laenge bestimmen. Selbst bei Bewegungsgeschwindigkeiten von zehn Metern pro Sekunde (das sind immerhin 36 Stundenkilo- meter) ist noch eine Messung bis auf ein Tausendstel Millimeter moeglich - und das bei einer theoretisch beliebigen Gesamtlaenge. Selbstverstaendlich haben die Chemnitzer Uni-Wissenschaftler ihr Verfahren auch fuer die Winkelmessung modifiziert. Dabei werden die Striche auf einer Kodescheibe aufgetragen, bei den Messspuren als Archimedische Spiralen, waehrend die Bezugsspuren als konzentrische Ringe ausgebildet sind. Auf diese Weise liessen sich bei 100 Umdrehungen pro Minute noch Winkel bis zu einer Zehntel Bogensekunde (das ist der 12.690.000ste Teil eines Kreises) messen, bei 10.000 Umdrehungen immerhin noch bis zu einer Bogensekunde.
Der Fortschritt der Chemnitzer Arbeitsgruppe in der Messtechnik ist mittlerweile auch von anderer Stelle anerkannt worden: Anlaesslich eines Fachkongresses zu neuen Technologien in Zuerich bekamen sie den renommierten "Dr.-Ing.-Siegfried-Werth-Preis" verliehen.
(Autor: Hubert J. Giess)
Kontakt: Technische Universitaet Chemnitz-Zwickau, Institut fuer Fertigungsmesstechnik und Qualitaetssicherung, Reichenhainer Str. 70, 09107 Chemnitz, Dipl.-Ing. Uwe Kipping, Tel. 03 71/5 31-22 04, Fax 03 71/5 31-22 01 oder vom 25. bis 27. September auf der 8. Innovationsmesse in Leipzig, auf dem Stand "Forschungsland Sachsen", Stichwort: Absolute Weg- und Winkelmessung auf neuen Wegen
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Maschinenbau
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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