Münster (ukm/sh). "Wir sind Ärzte. Wir wollen Menschen heilen", sagt Privat-Dozentin Dr. Anette Kersting. Aber die Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Münster (UKM) musste erkennen, dass sie in ihrer Arbeit mit Situationen konfrontiert wurde, in denen sie nicht heilen konnte: "Todgeburten kann man nicht heilen", konsterniert Kersting. Dennoch wollte sie Eltern, die ihr Kind während oder kurz nach der Schwangerschaft verloren hatten, helfen. Denn die Trauer der Eltern, mit der sie konfrontiert wurde, war so stark wie kaum ein Gefühl, dass ihr während ihrer Arbeit als Psychotherapeutin begegnete. Also sammelte sie Kolleginnen und Kollegen um sich und gründete eine Arbeitsgruppe zum Thema Trauerforschung - die bislang einzige in Deutschland. Ein Ergebnis dieser Gruppenarbeit geht nun online: Ab sofort können trauernde Eltern eine Internetbehandlung in Anspruch nehmen.
"Unser Konzept beruht darauf, dass die meisten Eltern jung und daher vertraut mit dem Internet sind und wir auf diese Weise die Eltern bundesweit erreichen können", berichtet Kersting. Denn es sei vielen Eltern auf Grund der räumlichen Distanz zum UKM nicht möglich, regelmäßig zu Therapiesitzungen zu kommen. Das Behandlungskonzept besteht aus zwei Schreibtherapiesitzungen pro Woche, die die Eltern über fünf Wochen durchführen. Nach einem festgelegten Plan bekommen die Eltern demnach zwei Aufgaben pro Woche gestellt, die sie in mindestens 45 Minuten schriftlich beantworten müssen. Die Essays dieser Sitzungen werden per Internet an Kerstings Team geschickt "Wir garantieren eine Bearbeitung dieser Antwort innerhalb eines Werktages", betont sie.
Für die Eltern sei die schriftliche Auseinandersetzung mit dem traumatischen Erlebnis hilfreich. "Es geht ums Erinnern", sagt Kersting. "Darum, die einzelnen Situationen noch einmal durchzugehen." Natürlich bietet die Psychotherapeutin so eine Aufarbeitung auch auf herkömmliche Weise - also als Sitzung von Angesicht zu Angesicht - an. Aber die Erfahrung hat ihr gezeigt, dass die Inanspruchnahme eines Therapeuten für viele immer noch mit einem Makel behaftet sei. "Wir glauben, dass das Internet für eine bestimmte Gruppe Menschen eine gute Lösung ist, quasi anonym Hilfe zu bekommen."
Das sieht auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend so und fördert das Internetprojekt für ein Jahr mit 65.000 Euro. "Unsere Internetberatung ersetzt keine herkömmliche Therapie", betont die Ärztin. Und auch nicht jeder könne von dem Angebot der psychiatrischen Klinik Gebrauch machen, Menschen, die selbstmordgefährdet sind oder an schweren Depressionen leiden, gehören zum Beispiel dazu. Hier sind die herkömmlichen Therapieangebote vorzuziehen.
"Mir geht es auch darum, den Eltern zu vermitteln, dass ihre Trauer ganz normal ist - auch noch nach vielen Jahren." Denn die Trauer über den Verlust dieses einen Kindes bleibe. Egal, ob die Eltern später noch ein Kind bekommen haben. "Und dann kommt dazu, dass das tote Baby für viele Eltern der erste tote Mensch ist, den sie sehen", berichtet Kersting. Auch wenn es den meisten Eltern gelingt, sich nach einer Zeit intensiver Trauer wieder den Anforderungen ihres Alltags zuzuwenden, gibt es doch immer wieder Menschen, die den Verlust nicht bewältigen können, im Trauerprozess stecken bleiben und in Folge dessen an einer psychischen Störung wie einer Depression oder Angsterkrankungen leiden. Sie will ihre Forschungen zum Thema "Trauer" in jedem Fall weiter betreiben. Denn eines scheint ihr ziemlich klar: "Es gibt Hinweise darauf, dass ein stecken gebliebener Trauerprozess ein eigenständiges Krankheitsbild darstellt. Und so sollte es auch wahrgenommen werden."
http://www.internettherapie-trauernde-eltern.de
Dr. Anette Kersting bietet eine Internetbehandlung für trauernde Eltern an.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsprojekte
Deutsch
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