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30.11.2007 10:05

Was macht Menschen zu Helfern?

Dr. Christian Jung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
VolkswagenStiftung

    VolkswagenStiftung fördert mit rund 348.000 Euro interdisziplinäres Projekt zu altruistischem Handeln unter nationalsozialistischer Herrschaft

    Was hat das katholische Kindermädchen Elisabeth Hedwig Leja dazu bewogen, im besetzten Polen die Kinder ihres jüdischen Arbeitgebers für die ihren auszugeben und sie damit unter Einsatz ihres eigenen Lebens zu retten? Sie selbst kann zu ihren Motiven und den Jahren der tödlichen Bedrohung nicht mehr befragt werden, denn sie starb 1983. Erst vor kurzem, im Oktober 2007, wurde sie mit dem israelischen Ehrentitel "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet, der - in vielen Fällen posthum - bis heute rund 22 000 Menschen zuerkannt wurde, die ähnlich gehandelt haben.

    Untersuchungen zum Holocaust haben sich bisher hauptsächlich auf die Entstehungsbedingungen des Massenmords und auf das Handeln der Täter konzentriert. Das Verhalten derjenigen, die sich in Situationen extremer Gewalt dem Töten verweigerten oder zu Helfern oder Rettern von potenziellen Opfern wurden, ist dagegen bislang kaum beachtet und erforscht worden. Jetzt will man am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) in Essen dem Verhalten dieser Menschen auf den Grund gehen: in einem interdisziplinären Vorhaben mit dem Titel "Referenzrahmen des Helfens. Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zum prosozialen Verhalten unter restriktiven Bedingungen". Die Federführung liegt bei Professor Dr. Harald Welzer; er ist Direktor des Zentrums für Interdisziplinäre Gedächtnisforschung am KWI Essen, einem Forschungskolleg der Universitäten Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen. Das Projekt wird von der VolkswagenStiftung mit rund 348.000 Euro gefördert.

    Die Basis der Untersuchung bilden zum einen rund 2500 Fallgeschichten, die in den Jahren 1997 bis 2002 vom Institut für Antisemitismusforschung in Berlin gesammelt wurden und nun bei der Gedenkstätte Deutscher Widerstand archiviert sind. Sie sollen in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte aufbereitet und ausgewertet werden. Zum anderen sind Interviews mit den letzten überlebenden Geretteten und ehemaligen Helfern und Rettern geplant.

    In dem Projekt geht es vor allem darum, die sozialen Bedingungen zu entschlüsseln, unter denen geholfen wurde. Hierdurch wird es möglich zu ermitteln, was Menschen in bestimmten Situationen dazu veranlasst zu helfen, obwohl dies nach den Normen der Zeit als abweichendes Verhalten gilt und mit Gefahren für sie selbst verbunden ist. Das bedeutet auch: Die Essener Wissenschaftler müssen in ihrem Vorhaben die - im Vergleich zur bisherigen Forschung über "prosoziales Verhalten" - völlig anderen Rahmenbedingungen für Hilfeverhalten berücksichtigen: Was heute als richtiges, menschliches Handeln bewertet wird, also zum Beispiel das Verstecken jüdischer Flüchtlinge, galt im Nationalsozialismus als antisozial und kriminell. Ziel ist es, die Handlungssituationen der Helfer sowie ihre Situationswahrnehmungen, ihre Hintergrundannahmen und sozialen Verpflichtungen zu rekonstruieren. So sollen die Variablen identifiziert werden, die für selbstloses Handeln entscheidend sind.

    Um ihre auf die Bedingungen unter der NS-Herrschaft fokussierten Untersuchungen in einen breiteren Rahmen zu stellen, wollen die Forscher darüber hinaus Material zum Hilfeverhalten aus anderen historischen und kulturellen Kontexten wie zum Beispiel Ruanda, Ex-Jugoslawien und Argentinien zum Vergleich heranziehen. Auf diese Weise kann das Projekt wertvolle Erkenntnisse liefern auch über gegenwartsnahe Fälle von prosozialem, altruistischem Verhalten unter den Bedingungen von Massengewalt und eskalierenden Menschenrechtsverletzungen.

    Das Forscherteam geht davon aus, damit eine Forschungslücke im Bereich der Holocaust- und Massengewaltforschung schließen zu können; zugleich sollen die Ergebnisse auch für Strategien der politischen Bildung, der Gedenkstättenpädagogik und des Geschichtsunterrichts relevant sein.

    Kontakt
    VolkswagenStiftung
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Christian Jung
    Telefon: 0511 8381 - 380
    E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de

    Kontakt Projekt
    Professor Dr. Harald Welzer
    Kulturwissenschaftliches Institut (KWI) Essen
    Telefon: 0201 7204 - 211
    E-Mail: harald.welzer@kwi-nrw.de

    Der Text der Presseinformation steht im Internet zur Verfügung unter http://www.volkswagenstiftung.de/service/presse.html?datum=20071130


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik, Psychologie, Recht, Religion
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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