5,5 Millionen Beschäftigte in Deutschland arbeiteten 2006 für Bruttostundenlöhne unter 7,50 Euro, das sind 900 000 Menschen bzw. knapp 20 Prozent mehr als zwei Jahre zuvor. Bei insgesamt 31,3 Millionen Beschäftigten entspricht das einem Anteil von 17,7 Prozent. Dass die Zahl der Niedriglohn-Beschäftigten weiter wächst, zeigen neue Berechnungen des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen.
Dass allerdings ein Mindestlohn - wie oft behauptet - Arbeitsplätze kostet, ist nicht belegbar. Vielmehr zeigen internationale Erfahrungen, dass es auf die Einführungsphase ankommt und dass eine politisch fixierte Lohnuntergrenze auch mit Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum einhergehen kann.
In Deutschland wächst der Niedriglohnsektor weiter: "Beachtlich ist auch die Zahl der Beschäftigten, die für weniger als 5 Euro brutto pro Stunde arbeiten", so Dr. Claudia Weinkopf, Forschungsdirektorin der IAQ-Abteilung "Flexibilität und Sicherheit". Dies betraf 2006 1,9 Millionen Beschäftigte und damit 400.000 mehr als 2004. Sie arbeiten für Löhne, die in Nachbarländern wie Frankreich, Großbritannien oder in den Niederlanden unzulässig sind.
In der Folge müssen niedrige Löhne zunehmend durch Arbeitslosengeld II aufgestockt werden - das waren im Oktober 2006 1,1 Millionen Menschen, darunter 440 000 Vollzeitbeschäftigte. "Solch sittenwidrig niedrige Löhne, die keines unserer ähnlich entwickelten Nachbarländer dulden würde, subventionieren letztlich nur Unternehmen und ungesunde Wettbewerbsstrukturen", stellt IAQ-Chef Prof. Dr. Gerhard Bosch fest. Ein Mindestlohn könnte auch die Anreize für Unternehmen fördern, in Humankapital zu investieren, um die Produktivität der Beschäftigten zu erhöhen.
Wenig plausibel erscheint ein aktuelles Horrorszenario, nach dem mittelfristig in Deutschland 1,9 Millionen Arbeitsplätze vernichtet würden, wenn die für die Briefträger der Post festgelegten Mindestlöhne in allen Branchen der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden. Die zu Grunde liegenden Berechnungen mit einem so genannten "Reaktionskoeffizienten" (1 Prozent Lohnerhöhung bedeuten danach 0,75 Prozent Jobverlust) sind zu einfach, vernachlässigen die komplexen Wechselwirkungen in der Gesamtwirtschaft und entsprechen nicht dem Stand der Wissenschaft.
"Wichtig ist nicht nur "ob", sondern auch "wie" ein Mindestlohn in Deutschland eingeführt wird" meint das IAQ. Das wohl am besten untersuchte Realexperiment in der jüngeren Sozialgeschichte ist der Mindestlohn in Großbritannien. Dort wurde die Lohngrenze zunächst niedrig angesetzt und dann schrittweise von 3,60 Pfund auf 5,52 Pfund (rund 8 Euro) im Oktober 2007 erhöht - also 35 Prozent plus, während die allgemeinen Verdienste durchschnittlich 26 Prozent wuchsen. Statt Entlassungen oder mehr Schwarzarbeit gab es in den Unternehmen mit hohen Anteilen von Mindestlöhnen Produktivitätserhöhungen durch bessere Arbeitsorganisation, Weiterbildung und weniger Fluktuation.
"Es gibt Handlungsspielräume für die Einführung von Mindestlöhnen und dafür sie so zu gestalten, dass die soziale Schieflage auf dem deutschen Arbeitsmarkt ohne Nachteile korrigiert wird" meint das IAQ. "Sicherlich nicht in einem Schritt - aber die Mindestlöhne in unseren westeuropäischen Nachbarländern mit vergleichbarem wirtschaftlichem Entwicklungsniveau haben mittlerweile alle ein Niveau von über 8 Euro erreicht."
Weitere Infos: Prof. Dr. Gerhard Bosch, Tel. 0209/1707-147, gerhard.bosch@uni-due.de, Dr. Claudia Weinkopf, Tel. 0209/1707-142, -178, claudia.weinkopf@uni-due.de
Redaktion: Claudia Braczko, Tel. 0209/1707-176, 0170-8761608, presse-iaq@uni-due.de, www.iaq.uni-due.de
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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