OSCAR aus Chemnitz gewinnt Wettkampf gegen Großrechner Computer-Bauer tüfteln am Hochleistungsrechner für den kleinen Mann
Ob eine langfristige Wettervorhersage oder das Knacken hochgeheimer Verschlüsselungsverfahren - noch immer gibt es Aufgaben, mit denen normale Personal-Computer, so leistungsfähig sie auch inzwischen geworden sind, nicht fertig werden. Das liegt an den ungeheuren Mengen von Daten, die in solchen Fällen verarbeitet werden müssen; selbst herkömmliche Großrechner stoßen da nicht selten an ihre Grenzen.
Schon seit einigen Jahren ist jedoch eine neue Rechnergeneration auf dem Markt, die für solche Probleme wie geschaffen ist - die Parallelrechner. Solchen Rechnern, so die einhellige Meinung der Informatiker-Zunft, gehört die Zukunft. Statt eines einzelnen Mikroprozessors, wie er im PC enthalten ist, besitzen sie gleich eine Vielzahl davon. Die Probleme, die sie lösen sollen, werden in zahlreiche Einzelschritte aufgeteilt, die nicht nacheinander, sondern gleichzeitig abgearbeitet werden. Ein solcher Parallelrechner ist etwa der Parsytec GC 128 PowerPlus des Chemnitzer Unirechenzentrums, einer der stärksten Hochschulrechner Deutschlands, ausgerüstet mit 128 Hochleistungsprozessoren. Die Wissenschaftler des hier ansässigen Sonderforschungsbereichs 393 "Numerische Simulation auf massiv parallelen Rechnern" benutzen ihn zur Lösung vielfältiger Probleme.
Jetzt hat der millionenteure Rechner - gerade einmal drei Jahre ist er alt - einen empfindlichen Dämpfer bekommen: Er verlor ein Wettrechnen gegen einen wesentlich billigeren sogenannten Personal Cluster Computer Server (PC/CS, etwa: Anhäufung von Personal Computern). Den PC/CS hatte eine Gruppe von Chemnitzer Informatikern um Prof. Dr. Wolfgang Rehm zusammengebaut. Was ihn so preiswert macht: Er besteht aus ganz normalen PC-Bausteinen und ist mit insgesamt acht Pentium-Pro-Prozessoren ausgestattet. Um bei dem Wettkampf gleiche Bedingungen zu schaffen, wurden deshalb von den 128 PowerPlus- Prozessoren 120 abgeschaltet, so daß nur acht übrig blieben, die gegen die acht gekoppelten Pentium-Pros antraten.
Der Personal Cluster Computer Server muß freilich auf eine besonders intelligente Weise miteinander verkoppelt sein, um solche Leistungen zu vollbringen. Dazu stimmten die Chemnitzer Wissenschaftler die Verbindungen der Prozessoren untereinander, die Software, die diese Verbindungen steuert, und die jeweiligen Anwendungsgebiete optimal aufeinander ab. Dennoch schafften sie es, das Gesamtsystem für Weiterentwicklungen offen zu halten. Dieser besondere Aufbau, für den Rehm den Namen OSCAR (Offen skalierbare Cluster-Architektur) prägte, ist der eigentliche Grund für die Schnelligkeit. Allerdings hat man auch bisher schon Personal-Computer zu größeren Einheiten zusammengeschaltet, etwa nach dem ATM- (Asynchronous Transfer Mode, eine Art Breitband-ISDN) oder dem Ethernet-Standard, der häufig im Internet verwendet wird. Doch derartige Rechner sind wesentlich langsamer: Sie können nur zwischen 155 Millionen und 622 Millionen Zeichen in der Sekunde übertragen. Ein OSCAR-Rechner-Komplex dagegen nutzt den neueren SCI- (Scalable Coherent Interface, etwa: erweiterbare zusammenhängende Verbindung) Standard und kommt damit spielend auf das drei- bis zehnfache - fast zwei Milliarden Zeichen. Ein Grund dafür ist, daß SCI-Systeme nicht nur blitzschnell Daten austauschen können, sondern auch den Computerspeicher gemeinsam nutzen. Deshalb bringen PC/CS-Computer nicht einfach nur mehr Leistung, auch die Einsatzmöglichkeiten erhöhen sich ganz wesentlich.
Das zeigte sich bereits im vergangenen Juli bei dem schon erwähnten Vergleichstest. Aufgabe war es, die Ausbreitung eines Brandes nachzuahmen. Dies gilt gemeinhin als extrem schwierig, da Gleichungen mit mehreren Millionen Unbekannten nach einer besonderen Verfahrensweise, der Finite- Elemente-Methode, berechnet werden müssen. Schon die Software für derartige Simulationen stellt besonders hohe Anforderungen. Sie war von Mathematikern des Parallelrechner-Sonderforschungsbereichs um Prof. Dr. Arnd Meyer entwickelt und von den Chemnitzer Informatikern eigens an symmetrische Multiprozessor-Clustersysteme angepaßt worden. Eine solche Brandsimulation ist für Feuerwehren und Versicherungen von großem wirtschaftlichem Interesse, läßt sich doch so etwa klären, ob eine Brandstiftung oder ein Unglücksfall vorliegt. Auch besonders feuerbeständige Baumaterialien lassen sich auf diese Weise herausfinden, und das könnte später vielleicht sogar einmal Menschenleben retten. Der OSCAR-PC/CS aus Billigbausteinen des Massenmarktes war dabei mehr als doppelt so schnell wie der Großrechner - er schaffte mehr als anderthalb Milliarden Fließkommarechnungen pro Sekunde. Eine hollywoodreife Leistung, die wahrlich den Oscar verdient hätte. Kein Wunder, daß derartig aufgebaute Rechner ein extrem günstiges Preis/Leistungs- Verhältnis haben.
Um ihren Cluster-Rechner noch weiter zu optimieren, arbeiten die Wissenschaftler um Prof. Rehm mit einer Reihe weiterer deutscher und europäischer Forschungszentren und Firmen zusammen. Dazu gehören etwa die norwegische Firma Dolphin Interconnect Solutions, ein Vordenker auf dem Gebiet des SCI-Standards, und das Weltruf genießende Paderborn Parallel Computing Center.
Der weiteren Verbesserung des Chemnitzer Koppel-Computers soll auch der Wissenschafts-"Workshop Cluster-Computing" dienen, der am 6. und 7. November stattfindet. Zu diesem Kongreß wird die Creme der deutschen Computerforscher erwartet. Willkommen sind aber auch Computer-Fachleute aus der Region. Denn gerade hier, in der aufblühenden Mikroelektronik-Stadt Chemnitz, gibt es besonders viele kleine, dafür aber umso pfiffigere High-Tech- Schmieden.
(Autor: Hubert J. Gieß)
Weitere Informationen: TU Chemnitz, Fakultät für Informatik, Straße der Nationen 62, 09107 Chemnitz, Prof. Dr. Wolfgang Rehm, Tel. (03 71)5 31-14 20, Fax (0371)5 31-18 06, E-mail: rehm@informatik.tu-chemnitz.de, Internet:http://noah.informatik.tu-chemnitz.de/ hpra. html
Hinweis für die Medien: Zu diesem Beitrag können Sie ein Foto in der Pressestelle anfordern. Es zeigt den OSCAR-Rechner gemeinsam mit seinen Entwicklern.
Übrigens: Beim Unitest des Magazins "Focus" in diesem Sommer landeten die Chemnitzer Informatiker im Gesamturteil unter 39 Unis auf Platz 6 - als beste Uni in Deutschlands Osten. Im Urteil der Studenten - hier wurden unter anderem Betreuung und technische Ausstattung benotet - belegten sie sogar mit weitem Vorsprung vor allen anderen Unis den ersten Platz.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Informationstechnik, Mathematik, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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