Die Evolution des Gesanglernens von Singvögeln, Papageien und Kolibris gibt auch Hinweise auf die Evolution des menschlichen Sprachvermögens - zu diesem Ergebnis kommen die WissenschaftlerInnen um Prof. Dr. Henrik Mouritsen, Biologe an der Universität Oldenburg und Leiter der Arbeitsgruppe Neurosensorik/Animal Navigation. Die Studie "Molecular Mapping of Movement-Associated Areas in the Avian Brain: A Motor Theory for Vocal Learning Origin", die in Zusammenarbeit mit der Gruppe um Prof. Dr. Erich Jarvis von der Duke University, Durham NC, USA, entstand, ist jetzt im frei zugänglichen Online-Fachmagazin "PlosOne" erschienen.
Eigentlich ging es Mouritsen, Inhaber einer Lichtenberg-Professur der VolkswagenStiftung, und seinen Mitarbeiterinnen Gesa Feenders, Miriam Liedvogel und Manuela Zapka um die Untersuchung der Navigation von Zugvögeln. Um die für den Orientierungssinn zuständige Hirnregion lokalisieren zu können, wurden die Vögel in Ruhe- und Aktivitätsphasen untersucht. Dabei stellte sich - gleichsam als "Nebenprodukt" - heraus, dass die Bereiche im Vorderhirn, die für das Gesanglernen zuständig sind, von jenen Regionen umgeben sind, die das Bewegungssystem steuern. "Wichtige Entdeckungen", so Mouritsens Kommentar, "ergeben sich oft per Zufall, wenn man nach etwas ganz anderem sucht. Man muss allerdings auch offen dafür sein."
Was zunächst bei der Gartengrasmücke ins Auge fiel, ließ sich durch vertiefende Untersuchungen in den USA bestätigen: Singvögel, Papageien und Kolibris, die - dem menschlichen Sprachlernen vergleichbar - Melodien lernen und erzeugen können, haben bemerkenswert ähnliche Gehirnstrukturen für das Singen und das Gesanglernen entwickelt. Obwohl evolutionär weit entfernt voneinander, sind bei diesen Vögeln die Lautareale immer von den Hirnregionen umgeben, die die Bewegungsabläufe steuern.
Bemerkenswert sei außerdem, dass immer sieben Lautareale beteiligt sind, die bei den untersuchten Vögeln jeweils an unterschiedlichen Orten im Gehirn zu finden sind. Dies sei ein deutliches Indiz dafür, dass die Evolution unabhängig voneinander verlaufen sei. Die augenfällige Korrelation mit dem evolutionär älteren Bewegungssystem deute darauf hin, dass sich das Gesanglernen aus der Bewegungskontrolle entwickelt habe, indem bereits vorhandene Nervenbahnen des Bewegungssystems als Schablone verwendet wurden. "Die Vögel nutzten gewissermaßen die Vorlage für die Entwicklung der Stimme statt für Glieder und Flügel."
Der Zusammenhang zwischen Bewegung und stimmlicher Lernfähigkeit, vermutet Mouritsen, lasse sich auch auf Menschen übertragen. "Gesprochene Sprache ist die hoch spezialisierte Fähigkeit, die Bewegungen unseres Kehlkopfs zu kontrollieren. Wir vermuten, dass sich die Sprachregionen im Gehirn auf eine den Vögeln vergleichbare Weise entwickelt haben."
Die Forschungsergebnisse stützen eine Erklärung für den Ursprung menschlicher Sprache, nach der sie sich aus gestischer und mimischer Kommunikation entwickelt hat: "Mimik und Gestik sind etwas, das Hand in Hand geht mit dem Sprechen. Babys gestikulieren, bevor sie sprechen lernen. Die Hirnregionen, die verantwortlich dafür sind, wurden wahrscheinlich im Evolutionsprozess adaptiert und für das Sprechen genutzt." Sollte sich diese Hypothese bestätigen, dann ließen sich die neuen Forschungsergebnisse an Vögeln auch zur Behandlung entwicklungsphysiologisch bedingter Sprachstörungen des Menschen nutzen.
Kontakt: Prof. Dr. Henrik Mouritsen, Tel.: 0441/798-3081, E-Mail: henrik.mouritsen@uni-oldenburg.de
http://www.plosone.org
http://www.staff.uni-oldenburg.de/henrik.mouritsen
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Informationstechnik
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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