idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
08.04.2008 10:32

Neurowissenschaftler beschreiben Mechanismen der Handlungskontrolle bei Zwangsstörungen

Kornelia Suske Pressestelle
Klinikum der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

    Zwangsstörungen sind psychische Störungen, bei denen Gedanken und Handlungen sich entgegen eigener Einsicht immer wieder neu aufdrängen. Schwer betroffene Patienten verwenden einen Großteil ihrer Tageszeit damit, ihre Handlungen zu kontrollieren und vermeintlich falsches Verhalten zu vermeiden. Welche Kerngebiete an diesen Kontrollmechanismen beteiligt sind, haben Neurowissenschaftler der Universitäten in Magdeburg und Köln untersucht. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt im Fachjournal "frontiers in human neuroscience" (doi:10.3389/neuro.09/011.2007).

    Das Team um die Magdeburger Hirnforscher Professor Dr. Thomas F. Münte (Abteilung Neuropsychologie) und Professor Dr. Hans-Jochen Heinze (Universitätsklinik für Neurologie II) sowie den Neurochirurgen Professor Dr. Volker Sturm von der Universität zu Köln untersuchte die Nervenzellaktivität bei einem 39jährigen Mann, der seit seinem elften Lebensjahr unter einem krankhaften Waschzwang und quälenden, sich ständig wiederholenden Gedanken litt. Bei ihrer Arbeit konzentrierten sich die Neurowissenschaftler auf ein kleines Hirnareal in der Nähe des Hirnstamms, tief unterhalb der Großhirnrinde. Die Nervenzellen im so genannten Nucleus accumbens sind aktiv an der Kontrolle von Handlungen, Lernprozessen und der Entstehung von Süchten beteiligt. Bei Menschen, die an Zwangsstörungen leiden, sind diese Nervenzellen besonders aktiv. Seit sieben Jahren ist es prinzipiell möglich, diese Überaktivität der Nervenzellen mit Hilfe schwacher Stromimpulse aus implantierten Elektroden zu korrigieren und damit die Leiden der Betroffenen zu lindern. Mediziner bezeichnen dieses Verfahren, das u.a. auch bei der Therapie einer fortgeschrittenen Parkinson-Erkrankungen eingesetzt werden kann, Tiefe Hirnstimulation (engl.: DBS).

    Im Rahmen der operativen Vorbereitung einer Tiefen Hirnstimulation haben die Magdeburger Forscher erstmals die Nervenzellaktivität in dem etwa 1 cm großen Teil des Gehirns registriert, während der Patient eine Aufgabe zur Handlungskontrolle durchführte. Im konkreten Fall sollte er mit der rechten oder linken Hand auf Buchstaben reagieren, die ihm auf einem Monitor gezeigt wurden. Machte der Patient einen Fehler, wurde eine entsprechende Veränderung im elektrophysiologischen Muster des Nucleus accumbens beobachtet.

    "Die Ergebnisse sind in mehrerer Hinsicht ausgesprochen interessant: Wir können mit unseren Ergebnissen zum einen zeigen, dass innerhalb der Zielregion der Tiefen Hirnstimulation spezifisch der Nucleus accumbens an der Verarbeitung von Handlungsfehlern beteiligt ist", so der Psychologe Dr. Marcus Heldmann von der Klinik für Neurologie II, der die intraoperativen Messungen betreute. "Unsere Daten zeigen, dass zeitlich betrachtet Handlungsfehler in den Basalganglien zuerst kodiert werden, die Verarbeitung solcher Informationen in mediale Strukturen des präfrontalen Kortex aber erst 40 bis 50 Millisekunden später erfolgt."

    Dieser Kontrollmechanismus funktioniert bei gesunden Menschen vermutlich in ähnlicher Weise, "allerdings nicht in diesem pathologischen Ausmaß", so Dr. Heldmann. "Für uns sieht es so aus, dass in dem Nucleus accumbens eine Art Gewichtung ein- und ausgehender Informationen anderer Hirnregionen vorgenommen wird. Bei der 'Entdeckung' eines Fehlers wird dementsprechend der Bedeutungsgehalt zu verarbeitender Informationen in diesem Kerngebiet verändert", vermutet der Magdeburger Neuropsychologe.

    Mit der Untersuchung, die erstmals am Menschen durchgeführt werden konnte, hoffen die Magdeburger Neurowissenschaftler die Funktion dieser Hirnregion künftig besser verstehen zu können. Das ist eine Voraussetzung, um die Tiefe Hirnstimulation in Zukunft individuell noch genauer zu gestalten.

    Zwangserkrankungen zählen zu den häufigsten psychischen Störungen. Schätzungen zufolge sind davon etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung betroffen. Die Therapie mit Medikamenten und Psychotherapien ist langwierig und führt auch nicht immer zum Erfolg.

    Ansprechpartner für Redaktionen
    Dr. Marcus Heldmann
    Klinik für Neurologie II
    Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
    0391/67 17969, -13429
    marcus.heldmann@med.ovgu.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).