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19.10.2000 19:13

Hiob - gottesfürchtiger Dulder oder Rebell?

Dr. Wolfgang Hirsch Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Jena (20.10.00) Hiob, der Leidensmann, der Dulder. Wie kaum eine andere alttestamentliche Gestalt ist der Gottgetreue noch in unserem säkularen Alltag präsent, und sei es nur als sinnbildhafter Empfänger schlechter Nachrichten, der Hiobsbotschaften eben. Dass die Hiobfigur in der Literatur- und Religionsgeschichte aber durchaus ambivalent, in der jüdischen Texttradition lange Zeit sogar eher negativ gesehen wurde, hat die Schweizer Judaistin PD Dr. Gabrielle Oberhänsli-Widmer in einem einjährigen Forschungsprojekt herausgearbeitet.

    Als Mercator-Gastprofessorin der DFG an der Friedrich-Schiller-Universität, kooperierte sie dabei eng mit den Theologen Prof. Dr. Jürgen van Oorschot und Prof. Dr. Karl-Wilhelm Niebuhr. Über Jahrhunderte hinweg galt Hiob den gläubigen Juden - im Gegensatz zur christlichen Rezeption - als frecher Gotteslästerer und Rebell. Zwar erträgt er viele Schicksalsschläge mit beispielloser Gleichmut, schließlich aber, in Armut gefallen, mit Aussatz geschlagen und von allen guten Geistern verlassen, hadert er mit dem Schicksal und mit seinem Gott.

    Als Inbegriff der Theodizee-Frage, also des Zweifels an der Existenz eines wissend-allmächtigen höchsten Wesens, erkannten ihn daher die frommen Rabbinen, die talmudischen jüdischen Schriftgelehrten. Bekanntlich brachte ja erst die mahnende Stimme Gottes den "verlorenen Sohn" wieder auf die rechte Bahn des Glaubens und belohnte ihn schließlich mit altgewohntem Glück und Reichtum. Als Vorbild taug-te der "Mann im Lande Uz" den spät-antiken Rabbinen folglich kaum, sie identifizierten ihn sogar als Nicht-Juden.

    Im 1./2. nachchristlichen Jahrhundert hat Gabrielle Oberhänsli-Widmer die Bruchstelle ausgemacht. Im frühjüdischen "Testament Hiobs", einer auf Griechisch verfassten Nacherzählung der biblischen Geschichte in Ich-Form, werden Hiob neue theologische Botschaften in den Mund gelegt: Hier erscheint er als Apologet für die Auferstehung der Toten und wird zum positiven Heilsverkünder stilisiert. - Die Schweizer Judaistin wertet dies als ein Signal für das Auseinanderdriften von jüdisch-hellenistischen und rabbinischen Judentum.

    "Hiob ist im Judentum eine Figur, die mit verschiedensten Inhalten gefüllt wurde", erläutert sie, "diese frühe Bruchlinie lässt sich im Grunde nachvollziehen bis heute." Kannte ihn das Christentum eigentlich schon immer, seit dem neutestamentlichen Jakobus-Brief, als selbst in tiefstem Leid letztendlich unerschütterlich Gottgetreuen ("Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben."), so entdeckten jüdische Schriftsteller Hiob spätestens Ende des 19. Jahrhunderts als Deutefigur für ihre eigene Situation in der Diaspora.

    In Isaak Leib Peretz Erzählung "Bontsche Schweig" (1894), einem Klassiker der jiddischen Literatur, erträgt die am alttestamentlichen Hiob orientierte Titelfigur symbolhaft für das ganze jüdische Volk alle Schmähungen und Erniedrigungen - und wird dafür im Jenseits reich belohnt: "Alles, im Himmel gehört dir. Nimm, was du willst", verkündet ihm der Richter aller Lebenden. Das deute auf eine womöglich weit verbreitete fatalistische Haltung unter den Juden hin, statt in offensivem Widerstand das Heil lieber in tröstender Metaphysik zu suchen, interpretiert Oberhänsli.

    Auch in Joseph Roths grandiosem "Hiob"-Roman (1930), den man aus heutiger Sicht als eine Prophetie auf den Untergang des Ostjudentums lesen mag, ist der Hauptfigur Mendel Singer letztlich doch ein seliges und trostvolles Ende beschieden. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Holocaust erhält der Hiob-Stoff eine grausige Aktualität. Erstmals zeigt ihn Margarete Susman, eine deutsche Jüdin, die im Schweizer Exil überlebte, als Deutemodell der Schoa und konstruiert in ihrer Adaption Parallelen zwischen biblischem Text und jüdischer Geschichte. Auch Dichter wie Nelly Sachs und Karl Wolfskehl schlossen sich in ihrer Lyrik einer solchen parabelhaften Deutung an.

    Erst im modernen Staate Israel benötigt man offensichtlich den literarisch-symbolischen Helfer bei der Überwindung kollektiver Traumata nicht mehr. Bei Meir Shalev, Yoram Kaniuk oder Amos Oz wird Hiob wieder für seinen aufsässigen Wesenspart benötigt: für Angriffe gegen das orthodoxe Judentum etwa oder gegen einen grassierenden Materialismus, dem, bei Oz, die stoizistische Haltung Hiobs in beinahe fernöstlicher Färbung entgegengestellt wird. "Da sieht man die ganze Bandbreite der ambivalenten Hiob-Rezeption", meint Oberhänsli-Widmer. Ihr Beitrag als Grenzgängerin zwischen Literatur- und Religionsgeschichte soll im nächsten Jahr bei Neukichener als Buch erscheinen.

    Ansprechpartnerin:
    PD Dr. Gabrielle Oberhänsli-Widmer
    E-Mail: g.oberh@bluewin.ch

    Friedrich-Schiller-Universität
    Referat Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Wolfgang Hirsch
    Fürstengraben 1
    07743 Jena
    Tel.: 03641/931031
    Fax: 03641/931032
    E-Mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de


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    Diese Abbildung zum Buch Hiob aus der historischen Lutherbibel, Wittenberg 1541, zeigt Hiob am Tiefpunkt seines Leidensweges. Bild: Handschriftenabteilung der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena
    Diese Abbildung zum Buch Hiob aus der historischen Lutherbibel, Wittenberg 1541, zeigt Hiob am Tiefp ...

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    Gabrielle Oberhänsli-Widmer
    Gabrielle Oberhänsli-Widmer

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Philosophie / Ethik, Religion, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Diese Abbildung zum Buch Hiob aus der historischen Lutherbibel, Wittenberg 1541, zeigt Hiob am Tiefpunkt seines Leidensweges. Bild: Handschriftenabteilung der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena


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