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29.05.1997 00:00

Keine Angst vor 5000 Grad Celsius

Dipl.-Ing. Mario Steinebach Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
Technische Universität Chemnitz

    Keine Angst vor 5000 Grad Celsius

    Beschichtete Kohlenstoffasern in Waermeschutzschilde von Flugzeugen und Raketen

    Einem Forscherteam an der Chemnitzer Universitaet ist es als weltweit erster Arbeitsgruppe gelungen, brauchbare Bornitrid-Kohlenstoffasern herzustellen. Solche Fasern sind hochfest und gleichzeitig sehr leicht. Sie koennen zu neuartigen Keramik- oder Metall-Faserverbund- werkstoffen verarbeitet werden, etwa fuer die Raumfahrt und den Turbinen- und Fahrzeugbau. Die Wissenschaftler werden ihre Ergebnisse erstmals auf der Chemiemesse ACHEMA vom 9. bis 14. Juni 1997 in Frankfurt vorstellen.

    Eigentlich sind sie der Natur abgekupfert: die Verbundwerkstoffe. Denn ob Knochen, Baum oder Grashalm, in einen anderen Stoff eingelagerte Fasern erhoehen die Festigkeit. Auch die Babylonier und die Germanen wussten das. Die einen mischten Stroh unter ihre Lehmziegel, die anderen bauten ihre Waende aus zusammmengewundenen Binsen und Zweigen, die sie mit Lehm bestrichen. Moderne Verbundwerkstoffe bestehen zumeist aus glas- oder kohlen- stoffaserverstaerktem Kunststoff und werden laengst in Tennisschlaegern und Booten, im Stab eines Hochspringers und im Seitenleitwerk des Airbus eingesetzt. Doch der Kunststoff hat einen Nachteil: Er haelt nur Temperaturen bis allenfalls 200 Grad Celsius aus. Schon vor laengerer Zeit kam man daher auf die Idee, Kohlenstoffasern zu verwenden, die zusaetzlich mit Siliziumcarbid, Siliziumnitrid oder Bornitrid beschichtet und dann in Metalle oder Keramik eingebettet werden. Solche Fasern und die daraus hergestellten Verbundwerkstoffe sind nicht nur extrem zugfest und temperaturbestaendig, sondern auch sehr leicht und deshalb fuer voellig neue Anwendungen interessant. Es ist aber aeusserst schwierig, sie in grossen Mengen mit gleichbleibender Qualitaet herzustellen. Weltweit wetteiferten daher einige Dutzend Arbeitsgruppen darum, diese Schwierigkeiten zu umgehen.

    Dieses Rennen haben jetzt die Chemiker der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Guenter Marx vom Lehrstuhl fuer Physikalische Chemie der Chemnitzer Uni fuer sich entschieden. Es gelang den Forschern, lange Kohlenstoffaserbuendel mit jeweils mehr als 6000 Einzelfasern, sogenannte Rovings, kontinuierlich und gleichmaessig mit Bornitrid zu beschichten. Dabei kam es darauf an, dass die Einzelfasern - mit rund fuenf bis sieben Tausendstel Millimeter Durchmesser zehnmal duenner als ein menschliches Haar - nicht miteinander verklebten. Die Wissen- schaftler benutzten fuer ihr Verfahren ein Gemisch aus Bortrichlorid, Ammoniak, Wasserstoff und Argon. Bei Temperaturen zwischen 800 und 1000 Grad Celsius scheidet sich hieraus eine Bornitridschicht von nur 50 Millionstel Millimeter Dicke auf der Kohlefaser ab.

    Mit der Chemnitzer Versuchsanlage ist es erstmals moeglich, technisch bedeutsame Fasermengen zu produzieren. Mehrere Dutzend Meter Faserbuendel koennen die Chemnitzer pro Stunde beschichten - Material, das sie an ihre Industriepartner weitergeben, die daraus und aus Keramik die eigentlichen Verbundwerkstoffe herstellen und sie auch testen. Und diese Partner sind die Creme der deutschen Industrie - Bayer gehoert ebenso dazu wie die Daimler- enz-Toechter Dornier und Motoren- und Turbinen-Union (MTU).

    Auf dem Gebiet von Luft- und Raumfahrt und im Motorenbau sollen die neuen hochfesten Verbundstoffe denn auch vornehmlich angewandt werden. Urspruenglich sollten die Chemnitzer Forschungen dazu dienen, die Hitzeschutzkacheln fuer den europaeischen Raumgleiter "Hermes" zu verbessern. Der wuerde sich naemlich beim Wiedereintritt in die Atmosphaere bis auf 5000 Grad Celsius erhitzen, so hatte man berechnet. Doch daraus wurde nichts, 1992 stoppte die Europaeische Raumfahrtagentur ESA das Projekt - es war schlicht zu teuer. Heute ist man realistischer: Geplant ist der Einsatz des Werkstoffs in den Turbinenschaufeln von Flugzeugtriebwerken ebenso wie in Hochleistungsbremsbelaegen, in leistungsfaehigeren Motoren und als Waermeisolation in chemischen Reaktoren.

    Das macht oekologisch und oekonomisch Sinn. Beispiel Triebwerk: Es ist erheblich leichter als die heute eingesetzten und braucht schon von daher weniger Treibstoff. Es kann aber auch bei hoeheren Temperaturen betrieben werden. Dadurch steigt der Wirkungsgrad, die Energie kann besser ausgenutzt werden. Derzeit sind etwa die Gase, die an der Brennkammer eines Triebwerks austreten, 1100 Grad heiss. Mit neuen Bauteilen aus Verbundkeramik waeren 100 Grad mehr moeglich. Allein dadurch, so rechnen die MTU-Ingenieure vor, lassen sich zwei Prozent Flugsprit sparen. Die Turbinen muessen auch nicht mehr, wie bisher, gekuehlt werden, was weitere ein bis drei Prozent Verbrauchseinsparung bringt. Durch die fehlende Kuehlung sind sie auch einfacher aufgebaut - Montage- und Wartungskosten werden geringer. Und nicht zuletzt, auch die Lebensdauer ist hoeher, was ebenfalls Geld spart. Fazit: UEber die Chemnitzer Entwicklung koennen sich sowohl die Umwelt als auch der Verbraucher freuen.

    Die Wissenschaftler sind uebrigens nicht nur bei der Bornitrid-Beschichtung Spitze. Auch bei der Beschichtung von Fasern mit Siliziumcarbid und Siliziumnitrid mischen sie ganz vorne mit. In der Mikroelektronik wendet man die Siliziumnitrid-Beschichtung schon seit langem an. Doch der Herstellungsprozess ist nicht kontinuierlich und fuer die Faserbeschichtung ueberdies viel zu teuer. Zudem wird dabei als Grundstoff die Silizium-Wasserstoff-Verbindung Silan benutzt - ein Teufelszeug. Denn Silan ist zwar preiswert, aber auch hochexplosiv; umfangreiche und teure Sicherheitsmassnahmen waeren noetig. Hier setzen die Chemnitzer Forscher andere Substanzen ein. Zudem sind sie dabei, neue, von der Firma Bayer entwickelte Fasern zu beschichten. Die bestehen nicht mehr nur aus Kohlenstoff, sondern basieren auf Silizium. Wie wichtig die Chemnitzer Forschungen in der Fachwelt eingeschaetzt werden, kann man auch daran sehen, dass das Bundesforschungsministerium sie mit weit ueber einer Million Mark foerdert.

    Weitere Informationen: Technische Universitaet Chemnitz-Zwickau, Fakultaet fuer Natur- issenschaften, Institut fuer Chemie, Strasse der Nationen 62, 09107 Chemnitz, Prof. Dr. Guenter Marx, Tel. 03 71/5 31-17 13, Fax 03 71/5 31-13 71, E-mail: guenter.marx@chemie.tu-chemnitz.de oder auf der ACHEMA, Halle 1.2, Stand A17/B18 und B25 "Forschungsland Sachsen".

    Autor: Hubert J. Giess


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Maschinenbau, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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