Die komplexe Organisation von Ameisenstaaten und auch die Leistung der einzelnen Tiere sind immer wieder verblueffend. Zoologen der Universitaet Wuerzburg haben bei der Untersuchung des Kiefer-Schnappreflexes bestimmter Ameisen neue Besonderheiten dieser Tiergruppe zutage gefoerdert.
Ameisen aus der Gattung Odontomachus besitzen einen extrem schnellen Kiefer-Schnappreflex, der sie in die Lage versetzt, schnelle oder gefaehrliche Beutetiere zu fangen und sich sehr effektiv zu verteidigen. Dabei laufen die Ameisen im Prinzip mit geoeffneten Kiefern umher. Kommt in dieser Situation beispielsweise ein Beutetier mit speziellen Sinnesborsten auf den Kiefern in Beruehrung, dann schnappen diese schlagartig zusammen. Ein Vorgang, der nur 0,4 tausendstel Sekunden dauert, wie die Wuerzburger Zoologen gemessen haben - "die wahrscheinlich schnellste bisher bekannte Bewegung im gesamten Tierreich", so Dr. Wulfila Gronenberg vom Lehrstuhl fuer Zoologie II (Verhaltensphysiologie und Soziobiologie).
Ausgehend von dem Schnappreflex bei Odontomachus hat der Wuerzburger Zoologe mehrere Gebiete bearbeitet, darunter die Arbeitsweise aehnlicher Schnappkiefer bei anderen Ameisengattungen.
Sein Fazit: Schnappkiefer haben sich im Lauf der Evolution unabhaengig und wiederholt bei verschiedenen, nicht naeher miteinander verwandten Ameisengruppen entwickelt. Dabei aehnelt sich das Funktionsprinzip bei allen Gattungen: ein starker, langsamer Schliessmuskel zieht sich vor dem Schnappen zusammen, die Energie wird elastisch gespeichert. Dann rastet ein kleiner, sehr schneller Muskel die blockierten Kiefer aus und bewirkt so das Schnappen. Dieser Reflex wird immer durch besonders dicke, schnelle Nervenfasern kontrolliert. Es gibt aber auch Unterschiede zwischen den Ameisengattungen, zum Beispiel bei der Blockierung der Kiefer oder bei den beteiligten Muskeln.
Dr. Gronenberg hat sich auch mit der Kontrolle der Kieferbewegungen bei "normalen" Ameisen befasst. Denn viele Ameisen, die keinen Schnappmechanismus besitzen, koennen ihre Kiefer dennoch flink bewegen - wenn auch nicht so flink wie Odontomachus. Dies wird durch schnelle Muskelfasern ermoeglicht.
Darueber hinaus besitzen alle Ameisen langsame, aber sehr kraeftige Fasern in ihren Kiefer-Schliessmuskeln, die ihnen das kraftvolle Zubeissen beim Graben, Koernerknacken oder Holzbohren erlauben. Die Kiefermuskeln werden durch eine besonders grosse Anzahl von Nervenfasern sehr genau kontrolliert. Das erklaert, warum alle Ameisen auch zu besonders praezisen, feinfuehligen Kieferbewegungen imstande sind, etwa beim Tragen und Belecken ihrer Eier und Larven.
Als der Wuerzburger Forscher untersuchte, wie sich die Antennen der Ameisen beim Schnappreflex verhalten, stellte sich heraus, dass die Tiere ihre Antennen ebenfalls mit einem Reflex zurueckziehen. So werden diese empfindlichen und wichtigsten Sinnesorgane der Ameisen vor Verletzungen durch die eigenen Kiefer oder durch Gegner geschuetzt. Die Antennen-Rueckziehmuskeln sind besonders gross und aus besonders schnellen Fasern aufgebaut und werden ueber Rueckkoppelungskreise gesteuert. Solche Antennenreflexe fand Dr. Gronenberg bei den meisten untersuchten Ameisenarten.
Nicht nur bei Ameisen, auch bei Bienen, Wespen, Fliegen und anderen Insekten sind die Muskeln aus roehrenfoermigen Fasern aufgebaut. Fuer die meisten Muskelfunktionen scheint dies nicht von Bedeutung zu sein. "Aber dieser Fasertyp erlaubt offensichtlich bestimmte extreme Spezialisierungen, wie die Konstruktion besonders schneller oder besonders ausdauernder Muskeln", so Dr. Gronenberg. Seine Arbeiten wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefoerdert.
Auf den ersten Blick scheinen diese Untersuchungen nur fuer Spezialisten interessant zu sein. Doch die Kontrolle feinster und das Zustandekommen besonders schneller oder kraeftiger Bewegungen ist auch bei "grossen" Tieren und beim Menschen von Interesse. Die Grundlagen fuer die nervoese Bewegungssteuerung und auch Bau und Funktion der Muskeln seien bei Ameise und Mensch erstaunlich aehnlich, sagt Dr. Gronenberg. So koenne man mit Hilfe von kleinen, einfachen Systemen auch komplexere Zusammenhaenge besser verstehen.
Kontakt: Dr. Wulfila Gronenberg, Telefon (0931) 888-4305, Fax (0931) 888-4309, E-Mail: wulfi@biozentrum.uni-wuerzburg.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Informationstechnik
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Forschungsprojekte
Deutsch
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