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26.10.2000 16:47

Neu erschienen: Kreativität (Heidelberger Jahrbuch 2000)

Dr. Michael Schwarz Kommunikation und Marketing
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Herausgeber Rainer M. Holm-Hadulla legt im Springer-Verlag das neue Buch vor - Kreativität: alltägliche Aufgabe und dämonische Kraft - Experten aus Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik behandeln das Thema

    Kreativität ist eine Eigenschaft des Lebendigen, eine alltägliche Aufgabe und eine dämonische Kraft. Im Springer-Verlag legt Herausgeber Rainer M. Holm-Hadulla soeben das "Heidelberger Jahrbuch 2000" vor, in dem Experten aus Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik das Thema behandeln. Auf jeweils besondere Weise zeigen sie ihren persönlichen Zugang und lassen die Besonderheiten des Gebiets, in dem sie selbst kreativ sind, sichtbar werden. Die Beiträge zeigen die verschiedenen Facetten der kreativen Persönlichkeit, des kreativen Prozesses und des kreativen Produkts.

    Der für seine bahnbrechenden Arbeiten über programmierten Zelltod vielfach ausgezeichnete Mediziner und Immunologe Peter H. Krammer betrachtet das Thema in dem neuen Buch aus naturwissenschaftlicher Sicht. Der explosionsartige Wissenszuwachs in den Naturwissenschaften hat nach dem 2. Weltkrieg alle Bereiche des modernen Lebens erfasst.

    Im Rahmen der "Big Science" werden Entdeckungen zunehmend von Großgruppen oder von Forscherkonsortien gemacht. Dies ermöglicht, dass in Kürze der Bauplan des menschlichen Lebens vorliegen wird. Im Vergleich mit der Kunst dauert der Erwerb der Grundlagen für Kreativität in den Naturwissenschaften länger, dennoch sind auch hier spielerische Freude, gedankliche Freiheit und Phantasie von Bedeutung. Sorgenfreiheit, flache Hierarchien, spontane Kommunikation und sinnvolles Elitebewusstsein sind wichtige Rahmenbedingungen. Das unterstreicht der Naturwissenschaftler und Nobelpreisträger Manfred Eigen. Erstaunlich ist aus genetischer Sicht, dass herausragende Kreativität als solche nicht vererbbar ist.

    Die Oberbürgermeisterin der Stadt Heidelberg, Beate Weber, findet in "Politik und Kreativität" ein Begriffspaar, in dem Anspruch und Wirklichkeit aufeinanderprallen. Dennoch ist es möglich, Kreativität in Veränderungsprozesse einzubringen, wenn der Staat Partner des Bürgers ist. Dann ist es möglich, kreatives Potenzial zu nutzen, um eine zukunftsbeständige Lebensweise zu entwickeln.

    Manfred Lautenschläger: Neugier, Mut, Zuversicht und Beharrlichkeit sind nötig

    Manfred Lautenschläger, Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender der MLP AG sowie Ehrensenator der Universität Heidelberg, schließt sich Schumpeter an, der die Formel vom Unternehmer als Erneuerer geprägt hat. Hierzu sind Neugier, Mut, Zuversicht und Beharrlichkeit notwendig. Ein gutes Unternehmensklima, das Raum für Selbstverwirklichung gibt, ist entscheidend für die Entfaltung individueller Kreativität. Unternehmerische Kreativität ist erlernbar. Sie ist mehr eine Intelligenzleistung als Ausdruck künstlerischen Genies. Die klassischen Tugenden wie Fleiß, Ordnung und Disziplin begünstigen schöpferisches Denken und Handeln.

    Möglichkeiten zur Förderung der Kreativität beschreibt der Unternehmensberater Tilman Segler. Die Unternehmen der New Economy geben sich eine innovatorische Organisationsstruktur und Unternehmenskultur. Konflikte werden als kreativitätsfördernd angesehen. Alle Maßnahmen sind darauf gerichtet, dass sich die Mitarbeiter für ihre Aufgabe persönlich verpflichtet fühlen. Anfallende Routinearbeit ist so rationell zu gestalten, dass Zeit für kreative Aufgaben bleibt. Die Bildung von funktionsübergreifenden Teams begünstigt neue Lösungen. Mitarbeiter müssen die Möglichkeit haben, die Arbeitssituation zu ihrem eigenen und zum Vorteil des Unternehmens zu verbessern.

    Aus philosophischer und wirtschaftswissenschaftlicher Sicht kommt Thomas Petersen zu einer kritischen Einschätzung gegenüber wirtschaftlicher Kreativität. Kreativität sei kein Kennzeichen der Wirtschaft schlechthin, sondern eng mit der kapitalistischen Marktwirtschaft verbunden. Allerdings werde in der gegenwärtigen Wirtschaft mit ihrer Flexibilisierung eine wirtschaftliche und soziale Instabilität erzeugt, die zum Verlust langfristiger Bindungen und beständiger Strukturen führt. Dies beeinträchtigt Kreativität nachhaltig.

    Der Politikwissenschaftler Frank R. Pfetsch weist Wege zu kreativen Konfliktlösungen im Wirtschaftsleben und politischen Handeln. Verhandlungen sind zu den wichtigsten politischen Instrumenten der demokratischen Kultur geworden. Das so genannte Harvardkonzept führt vier Verhaltensmaximen im privaten und öffentlichen Bereich für erfolgreiches Verhandeln ein: Trennung von persönlicher und sachlicher Ebene; Konzentration auf Interessen und nicht auf Ideologien; Entwicklung von Optionen zum Vorteil aller; Einführung objektiver Kriterien als Argumente.

    Kulturelle Hintergründe moderner Kreativitätskonzepte werden sichtbar

    Um die kulturellen Hintergründe moderner Kreativitätskonzepte sichtbar zu machen, analysiert der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann ägyptische Schöpfungsvorstellungen. In Schöpfungsmythen verständigte sich der frühe Mensch über den Aufbau der Wirklichkeit und seinen Platz in ihr. Im alten Ägypten wird die Welt nicht als ein abgeschlossener und vollendeter Bau aufgefasst wie in der abendländischen und biblischen Tradition, sondern als ein Prozess beständiger Kreativität. Entgegen dem modernen Verständnis der Kreativität als Innovation, die im Gegensatz zur rituellen Repetition steht, verbinden die Ägypter mit Riten ein bedeutungsvolles, Chaos beseitigendes Handeln.

    Die Ursprünge abendländischer und chinesischer Kreativität beschreibt der Kunsthistoriker Lothar Ledderose. Der abendländische Kreativitätsbegriff leitet sich von der biblischen Schöpfungsgeschichte ab. Erst durch den Schöpfungsakt gewinnen Himmel und Erde Existenz. Diese creatio ex nihilo ist dem chinesischen Denken fremd. Kreativität wird eher als Verwandlung von etwas schon Bestehendem gedacht. Sie wird als ein Prozess verstanden, an dem viele Individuen teilhaben.

    Der Germanist Peter Huber stellt die Entwicklung von Genialitäts- und Kreativitätskonzepten in der Literatur dar. Die ersten Schriftkundigen, die zumeist Priester waren, sahen sich nur als Verkünder göttlicher Kreativität an. Erst in der Genieästhetik des ausgehenden 18. Jahrhunderts setzte sich die Auffassung des originellen und kreativen Dichters durch. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird zum Beispiel bei Nietzsche und Wagner das Genie als Kult inszeniert. In dieser Zeit verlagert sich der Geniekult in den politischen Bereich. Die Führer totalitärer politischer Systeme profitieren nun von der zunehmenden Popularisierung des Genialischen. Der Geniegedanke wird durch seine Politisierung und Pervertierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts obsolet und durch den Terminus "Kreativität" ersetzt.

    Ein weiterer Höhepunkt der Beiträge zur Kreativität ist der Essay von Hanns-Josef Ortheil. Er enthüllt die Entstehungsbedingungen literarischer Kreativität und beschreibt, wie kreative Phantasiebildung zustande kommt. Der kreative Einfall bereitet sich unbewusst im Schweigen vor. Den kreativen Funken zu spüren, ist gar nicht so schwierig. Ihn über mehrere hundert Seiten zu bewahren und zu gestalten ist demgegenüber eine Anstrengung, die nur gelingt, wenn im Romanuntergrund ein anderes Spiel läuft: Das Spiel mit dem autobiographischen Selbst, das erlaubt, die Masken der Romanfiguren immer wieder zu tauschen und diesen Tausch als Spiegelung eigener Erfahrungen zu verstehen.

    Die Sozialphilosophin Marie-Sybille Lotter beschäftigt sich mit der Ethik authentischer Individualität. Selbstverwirklichung ist eine kreative Aufgabe, in der Individualität als Selbstgeschaffenes zum Ausdruck kommt. In der Moderne werden Originalität und eine beständige Steigerung des inneren Lebens zu Maximen. Dies kann jedoch keine soziale Verantwortung begründen. Nur durch die Institutionalisierung von Kritik entsteht Verantwortungsbewusstsein.

    Aus denkpsychologischer Perspektive behandelt Joachim Funke das Thema. Die kreative Person zeichnet sich durch gute Intelligenz aus. Aus der Hochbegabtenforschung folgt jedoch, dass oberhalb eines Intelligenzquotienten von 120 eine Erhöhung der Intelligenz keine Auswirkungen mehr auf kreative Leistungen hat. Unabhängigkeit, Nonkonformismus, unkonventionelles Verhalten, weitgespannte Interessen, Offenheit für neue Erfahrungen, Risikobereitschaft sowie Flexibilität sind wichtige Faktoren. Kreatives Denken ist für den Fortbestand unserer Welt unerlässlich.

    Die Psychologin Annette Kämmerer zeigt, dass Frauen nonverbale Signale besser verstehen als Männer. Sie sind in der sozialen Interaktion kreativer. Frauen neigen aber auch zu sozialer Konformität. Die Geschlechtsstereotype stehen in Wechselwirkung mit Rollenanforderungen, die in unserer Gesellschaft an Frauen und Männer gestellt werden. Rollenstereotype sind zu verflüssigen, damit Frauen ihre Originalität und Authentizität entwickeln können.

    Das Vorurteil, dass die Kreativität bei Juristen von untergeordneter Bedeutung sei, relativiert der Sozial-, Staats- und Verwaltungsrechtler Görg Haverkate. Viele Beispiele belegen die Reichweite des Kreativen in der Rechtsanwendung. Da das Gesetz mehr Lücken als Regelungen enthält, wird in der Epoche des Richterrechts seine rechtsschöpferische Tätigkeit zunehmend anerkannt. Das Recht ist ein Medium, das sehr viel mehr kreative Vernunft ermöglicht, als bereits verwirklicht ist.

    Der Medizinpsychologe Rolf Verres gibt Anregungen zu mutigen Innovationen für das Lehren und Lernen im Medizinstudium. Das Erleben von Resonanz zwischen körperlicher und geistiger Lebenskraft ist ein wichtiger Bestandteil der Heilkunde. Deshalb sollten in der ärztlichen Ausbildung neben dem notwendigen Wissenserwerb auch die Lebenskunst und die Persönlichkeitsentwicklung als Aufgaben zukünftiger Heilkundiger thematisiert werden.

    Der Psychotherapeut und Berater Rainer M. Holm-Hadulla beleuchtet die emotionalen Grundlagen der Kreativität. Leidenschaft, Spielfähigkeit und Frustrationstoleranz sind psychodynamisch von besonderer Bedeutung: Bei kreativen Persönlichkeiten findet sich eine besondere Fähigkeit zu "autotelischer" Hingabe und die Bereitschaft, trotz Niederlagen und Enttäuschungen produktiv zu arbeiten. Auch die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, die Gestaltung einer Partnerschaft, die Erziehung von Kindern und erfülltes Altern sind kreative Aufgaben. Aus der Analyse psychodynamischer Konflikte und Ressourcen lassen sich Strategien zur Förderung der Kreativität ableiten. Erfolgreiches Coaching verstärkt Durchhaltevermögen und Authentizität. In schwierigen Phasen des kreativen Prozesses hilft Coaching, "produktive Krisen" zu bewältigen und besondere Leistungen zu erreichen. Ein gut ausgebildeter, in der Domäne erfahrener und unabhängiger Coach fokussiert auf drei Bereiche: Erkennen und Fördern individueller Begabung, Realisierung domänenspezifischer Chancen und verantwortungsvolles Nutzen betrieblicher und gesellschaftlicher Ressourcen. Kreativität ist ein Lebensstil und eine fortwährende Aufgabe.

    Kreativität (Herausgeber: Rainer M. Holm-Hadulla), Springer-Verlag, ISBN 3-540-67757-7, ca. 400 Seiten, Preis 78 DM, kann für Rezensionen mit dem beiliegenden Formular angefordert werden

    Am 10. November 2000 findet in der Aula der Alten Universität ein Symposion zur Kreativität statt (14.00-18.00 Uhr, Am Universitätsplatz, 69117 Heidelberg). Eine gesonderte Einladung geht den Medien in den nächsten Tagen zu.

    Rückfragen bitte an: Priv.-Doz. Dr. Rainer M. Holm-Hadulla, Teil. 06221 600026, Fax 600028, Rainer.Holm-Hadulla@urz.uni-heidelberg.de

    oder: Dr. Michael Schwarz, Pressesprecher der Universität Heidelberg, Tel. 06221 542310, Fax 542317, michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de

    FAX
    06221/487-691
    E-mail: pr@springer.de

    Springer-Verlag
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Tiergartenstraße 17

    D - 69121 Heidelberg

    Ich bestelle zur Rezension:

    Autor: R. M. Holm-Hadulla (Hrsg.)
    Titel: Kreativität
    Heidelberger Jahrbuch 2000
    ISBN: 3-540-67757-7

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    fachunabhängig
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    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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