"Nature Genetics" veröffentlicht Forschungsergebnisse des Instituts für Humangenetik
Stephan Niemann und Ulrich Müller vom Institut für Humangenetik der Universität Gießen ist die Aufklärung des genetischen Defekts einer familiären Tumorerkrankung des Nervensystems, den sog. hereditären Paragangliomen, gelungen. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Novemberausgabe von "Nature Genetics" (vol. 26, 268-270) publiziert. Der impact factor dieser Zeitschrift ist mit 40,3 der höchste unter den Journalen der "life sciences", die primär Originalarbeiten veröffentlichen. Die Tatsache, dass diese Entdeckung dort zur Publikation angenommen worden ist, belegt die Relevanz der Ergebnisse.
Bei dem untersuchten Tumor handelt es sich um eine autosomal dominant vererbte Variante des Paraganglioms (paraganglioma, type 3; PGL3). Paragangliome, die auch als Glomustumoren oder Chemodektome bezeichnet werden, sind meist gutartige, langsam wachsende Tumoren des parasympathischen Nervengewebes. Sie liegen vorwiegend im Kopf- und Halsbereich, wobei die Carotisgabel (Halsschlagader), das Mittelohr sowie die Schädelbasis zu den häufigsten Lokalisationen zählen. In der Regel manifestieren sich Paragangliome im Erwachsenenalter. Das Alter zur Zeit des Krankheitsbeginns kann jedoch stark schwanken. Obwohl die maligne Entartung von Paragangliomen selten ist, müssen die Tumore dann chirurgisch entfernt werden, wenn durch die Größenzunahme körperliche Beeinträchtigungen wie Lähmungen der Hirnnerven und Hörstörungen auftreten. Während die Mehrzahl der Paragangliome sporadisch auftritt, kommen mindestens 10% familiär gehäuft vor und werden autosomal dominant vererbt.
Bisher kennt man die chromosomale Lokalisation von drei autosomal dominant vererbten Formen des Paraganglioms. Zwei Formen liegen in unterschiedlichen Intervallen auf Chromosom 11 (PGL1 und 2), der dritte Genort (PGL3) wurde von dem Gießener Team entdeckt und Chromosom 1 zugeordnet. Durch einen sog. funktionellen Klonierungsansatz ist es Niemann und Müller gelungen, das Gen bei PGL3 zu identifizieren, welches für die Tumorigenese verantwortlich ist. Das Gen, SDHC, kodiert für einen Bestandteil eines Enzymkomplexes, welcher bei der oxydativen Phosphorylierung, also der "Zellatmung" und damit bei der Energiegewinnung in den Mitochondrien, den "Kraftwerken" der Zelle, eine wesentliche Rolle spielt. Wird die Zellatmung durch den funktionellen Ausfall dieses Komplexes reduziert, so kommt es schließlich zur Entartung der Zellen. Das Gen verhält sich wie ein Tumorsuppressor, das heißt, beide Kopien des Gens müssen mutiert (verändert) sein, um schließlich eine Tumorentstehung zu verursachen. Die erste Mutation liegt in der Keimbahn vor und wird an 50% der Nachkommen eines Mutationsträgers vererbt. Die zweite Kopie des Gens wird in Zellen des parasympathischen Nervengewebes durch partiellen Verlust von Chromosom 1 ausgeschaltet. Wenn beide Kopien des Gens fehlen, kommt es zur unkontrollierten Zellteilung im betroffenen Gewebe. Der genaue Mechanismus der Tumorentstehung, der bisher noch nicht aufgeklärt ist, ist Gegenstand intensiver Forschungsbemühungen. Es ist jedoch von Interesse, dass sporadische Paragangliome gehäuft bei Personen auftreten, die in großer Höhe, also unter permanentem exogenen Sauerstoffmangel leben. Außerdem finden sich sporadische Paragangliome vermehrt bei Patienten mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen. Bei der von Niemann und Müller beschriebenen genetischen Variante des Tumors führt offenbar endogener Sauerstoffmangel zur Ausbildung eines Paraganglioms.
Die Ergebnisse sind von unmittelbarem Nutzen für Betroffene mit hereditären Paragangliomen, da jetzt durch einen Gentest Risikopersonen schon frühzeitig erkannt werden können. Bei Nachweis einer Mutation können durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen Paragangliome bereits im Frühstadium erkannt und operiert werden.
Kontaktadresse:
Prof. Dr. Ulrich Müller
Dr. Stephan Niemann
Institut für Humangenetik
Schlangenzahl 14
35392 Gießen
Tel.: 0641/99-41600
Fax: 0641/99-41609
e-Mail: Ulrich.Mueller@humangenetik.med.uni-giessen.de
Stephan.Niemann@humangenetik.med.uni-giessen.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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