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13.11.2000 13:45

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Dr. Christian Jung Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

    VolkswagenStiftung fördert mit 500.000 Mark in Jena und München Projekt zur Untersuchung der Biografien, Motivstrukturen und Persönlichkeitsprofile fremdenfeindlicher Gewalttäter in Deutschland

    In Oberhausen wird ein Brandanschlag auf eine Unterkunft von Asylsuchenden verübt; in Rostock werden zwei ausländische Studierende zusammengeschlagen; in Jena liegt seit einiger Zeit ein russischer Gastwissenschaftler schwer verletzt in der Klinik, nachdem er und ein Kollege von rechtsextremen Jugendlichen angegriffen wurden. Nachrichten eines vergangenen Oktoberwochenendes, die uns so oder so ähnlich - man hat sich beinahe daran gewöhnt - seit Monaten begleiten. Rückblende. Zehn Jahre ist es am 24. November 2000 her, dass in Eberswalde ein Mensch einfach so umgebracht wurde, wegen seiner Hautfarbe, wegen seiner Fremdheit. Der Angolaner Amadeu Antonio gilt als das erste Opfer rechtsextremer Gewalt in den neuen Bundesländern.

    Laut Verfassungsschutzbericht sollen rechtsextremistische und fremdenfeindliche Gewalttaten in Deutschland erheblich zugenommen haben. Doch was weiß man eigentlich über die Täter? Am Ende bisheriger Untersuchungen standen meist allgemeine Erkenntnisse über soziale Hintergründe und grob klassifizierte Tätertypen. Differenzierteres Wissen zu erlangen - gerade auch im Hinblick auf eine verbesserte Prävention - ist Ziel des von der VolkswagenStiftung mit einer halben Million Mark geförderten Projekts "Biographische Hintergründe und Motivationen fremdenfeindlicher Gewalttäter in Deutschland", das seit anderthalb Jahren läuft und demnächst abgeschlossen sein wird. Das Forschungsvorhaben wird gemeinsam getragen vom Institut für Psychologie der Universität Jena und dem Deutschen Jugendinstitut in München.

    Worum genau geht es? "Aus den Totalerhebungen von Straftäterakten der Polizei und aus Gerichtsurteilen gewinnt man zwar ein statistisch vollständiges, aber nur oberflächliches Bild der Täter, das zudem durch die selektive Wahrnehmung von Polizei und Justiz getrübt ist", sagt Professor Dr. Wolfgang Frindte vom Institut für Psychologie der Universität Jena. Insgesamt wisse man zu wenig über die unterschiedlichen Biografien, Motivationsprozesse und Täterprofile - und vor allem über die "emotionale Sozialisation" des Einzelnen, die zu einer Aggression gegenüber Fremden und Fremdem führe.

    Die Münchner und Jenaer Forscher gehen das Problem vielschichtig an.
    So zeichneten sie in 17 Justizvollzugsanstalten knapp hundert vier- bis sechsstündige Interviews auf mit Inhaftierten, die auf Grund fremdenfeindlich motivierter Gewalttaten verurteilt worden waren. Welche Lebensgeschichte haben sie, welche Einflüsse seitens der Familie und der Bezugsgruppen lassen sich erkennen? Und: Wie verläuft konkret der Weg aus den familiären Strukturen in die gewaltbereite Clique? Diese Interviews werden ergänzt durch non-verbale, also nicht an Sprache gebundene Tests. Wie etwa ist die emotionale Reaktion beim Anblick eines Fremden? "Diese Tests sind vor allem wichtig bei männlichen Straftätern, die sich erfahrungsgemäß schwer darin tun, über die eigenen Gefühle zu sprechen", meint Dr. Klaus Wahl vom Deutschen Jugendinstitut in München.

    Nach ersten Ergebnissen bestätigt sich zunächst, dass gewalttätige fremdenfeindliche Straftäter männliche Jugendliche mit geringer Bildung sind, die "rechten" Cliquen angehören. Die individuelle Sozialisation verläuft bis zur eigentlichen Tat mehrschichtig. In der Familie erleben die Heranwachsenden Gewalt als festen Bestandteil ihres Alltags, eine eindeutig ideologisch verankerte Wertevermittlung geschieht dort aber meist nicht. In der Schule dann gehen schwache Leistungen und zunehmend delinquentes Verhalten Hand in Hand; die Sozialisation in einer jugendlichen Clique, die eine rechtsextreme Ideologie vertritt, beginnt relativ früh. "Nachträglich dient dann das übernommene rechte Gedankengut dazu, die eigentlich 'apolitische' familiäre Sozialisation umzudeuten", sagt Frindte. Die eigentlichen Gewalttaten ergäben sich letztlich meist ungeplant, unter Alkoholeinfluss und: eben in der Gruppe.

    In der Kombination der Perspektiven liegt das Besondere des von der VolkswagenStiftung geförderten interdisziplinären Forschungsvorhabens, an dem Soziologen, Psychologen, Ethnologen und Statistiker beteiligt sind. Denn die Ergebnisse werden darüber hinaus integriert in eine Vollerhebung und Analyse der Polizei- und Gerichtsakten fremdenfeindlicher Gewalttäter beim Bundesministerium des Inneren. Ziel der Forscher aus Jena und München
    ist es, über ein besseres Begreifen der unterschiedlichen psychologischen Profile fremdenfeindlicher Gewalttäter und der jeweiligen sozialen Hintergründe Wege aufzuzeigen, die ein Abdriften in die rechte Szene frühzeitig verhindern helfen. Was also lässt sich tun an den kritischen emotionalen und sozialen Brennpunkten in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen?

    Letztlich ist es Wunsch der Forscher, dass es auch mithilfe ihrer Erkenntnisse gelingen möge, in den Köpfen gefährdeter Heranwachsender beizeiten einen "zivilisatorischen Mindeststandard" zu verankern. Und der besagt, dass man auf Differenz nicht mit Fußtritten reagiert und sich Demokratie zuvorderst auszeichnet durch den Schutz von Minderheiten. Dazu bedarf es des Engagements auf möglichst vielen Ebenen - eben auch auf Seiten der Wissenschaft.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik, Psychologie, Recht
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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