Wie Sinnesreize trotz neuronaler Hintergrundaktivität verlässlich verarbeitet werden können
Das Gehirn ist ständig aktiv. Egal ob wir wach sind, schlafen, denken oder entspannen, die Nervenzellen senden Signale. Wissenschaftler vom Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience (BCCN) und der Universität Freiburg haben in einem Computermodell untersucht, wie Sinnesreize oder andere Informationen angesichts einer solchen Hintergrundaktivität verlässlich verarbeitet und weitergeleitet werden können. Ihre Arbeit gibt Aufschluss darüber, welche Form der neuronalen Informationsverschlüsselung eine optimale Weiterleitung ermöglicht.
Wenn wir sehen, hören oder riechen verarbeitet das Gehirn die aufgenommenen Informationen Schritt für Schritt in aufeinander folgenden Verschaltungsebenen. Neurone in jeder Ebene geben Signale in Form von elektrischen Impulsen an die nächste Ebene weiter. Die neuronalen Verschaltungen, die einem solchen "Feed Forward System" zu Grunde liegen, wurden schon vielfältig untersucht. Meist wurde dabei aber nicht berücksichtigt, dass das Feed Forward System in die komplexe neuronale Architektur des Gehirns eingebettet ist, von dessen Hintergrundaktivität beeinflusst wird und seinerseits auf diese zurückwirkt. Der Frage, wie verlässlich Signale in einem solchen System weitergegeben werden können, sind nun Arvind Kumar, Stefan Rotter und Ad Aertsen vom BCCN und der Universität Freiburg nachgegangen. Mit einem komplexen Computermodell simulierten die Wissenschaftler die Funktion von 50.000 Neuronen möglichst realitätsnah.
Jede Sinnesinformation wird im Gehirn in elektrische Impulse der Neurone übersetzt. Nach welchem Prinzip Informationen dabei verschlüsselt werden, ist noch nicht im Detail bekannt und unterscheidet sich von Fall zu Fall. Ein Sinnesreiz kann zum Beispiel die Impulsrate bestimmter Neurone erhöhen. Je stärker der Reiz, desto mehr Impulse sendet das Neuron pro Zeiteinheit - man spricht von einem "Ratencode". Ein Sinnesreiz kann aber auch dazu führen, dass mehrere Neurone gleichzeitig ein Signal aussenden, so dass synchrone "Impulspakete" durch das Feed Forward System transportiert werden. Auch die Hintergrundaktivität des Gehirns ist nicht immer gleich - je nach mentalem Zustand senden einzelne Zellen des Gehirns ihre Signale mehr oder weniger regelmäßig und synchron. In ihrem Modell untersuchten die Wissenschaftler, wie diese verschiedenen Formen der Informationsweitergabe und der Hintergrundaktivität sich gegenseitig beeinflussen.
Wie Kumar und seine Kollegen zeigten, ist nicht jede Form der Informationsweitergabe bei jeder Art von Hintergrundaktivität möglich. Eine allzu synchrone neuronale Hintergrundaktivität macht nahezu jede gezielte Signalweiterleitung unmöglich. Ein asynchrones Hintergrundrauschen hingegen erlaubt eine zuverlässige Verarbeitung von Sinnesinformationen und kann sogar konstruktiv zur stabilen Weitergabe des Signals beitragen. Die Wissenschaftler zeigten außerdem, dass sich Impulspakete synchroner neuronaler Aktivität weit verlässlicher weiterleiten ließen, als eine erhöhte Impulsrate. Ihre Arbeiten geben wichtige Hinweise darauf, wie Sinnesinformation verschlüsselt sein muss, um effektiv im Gehirn verarbeitet zu werden.
Originalveröffentlichung: Kumar, A., Rotter, S. und Aertsen, A. Conditions for propagating synchronous spiking and asynchronous firing rates in a cortical network model.
J Neurosci. 2008 May 14;28(20):5268-80. doi:10.1523/JNEUROSCI.2542-07.2008
Kontakt:
Prof. Dr. Ad. Aertsen
Institut für Biologie III
Albert-Ludwigs-Universität
Schänzlestr. 1
79104 Freiburg i. Br.
Tel.: 0761/203-2718
http://www.brainworks.uni-freiburg.de
http://bccn-freiburg.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Mathematik, Medizin, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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